Andrei Stoian sieht blass aus. Langer Tag für den Taxi-Fahrer. Seine Stimme büßt von ihrer Stärke nichts ein. „Wohin soll’s gehn?“ fragt er entschlossen und wirft einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Bis in die Innenstadt, antworte ich kühl. Auf die Eugen von Savoya Straße gleich vor der Weinhandlung, kurz vor der Kreuzung mit der Vasile Alecsandri Straße. Er entgegnet mir ein schneidiges „Jawohl“ und schaltet den Taxameter ein. Ein kleines Kreuz baumelt von der Sonnenblende nach unten. Es steht in der Gesellschaft eines Duftspenders, einer Plüschfigur und einem Kalender worauf sich Disneys Kultfigur „Goofy“ lustig tanzt. Hinter seinem Dacia Logan hat sich längst eine ellenlange Schlange gebildet. „Nicht viel los heute“, werfe ich ein. In letzter Zeit immer öfters, antwortet er prompt. Die neuen Preise schrecken die Kunden ab. Früher ging es noch. Jetzt würde man zweimal überlegen, ob man ins Taxi einsteigt oder eher auf den Bus wartet. Die Tankanzeige blinkt. „Wir haben uns auf die Tariferhöhung gefreut, weil der Sprit so verdammt teuer geworden ist,“ erklärt Stoian. Doch einen Vorteil hat es nicht gebracht. Jetzt zahlen Kunden zwar mehr, dafür sind es weniger geworden. Das Autoradio tönt für sich selbst. Man muss zweimal hinhören, um das Lied auszumachen: Disco Band von Scotch. 29 Jahre altes Lied übertönt vom zehn Jahre alten Funksprecher. Auf dem Funkkanal herrscht anscheinend reger Betrieb. „Da blödeln nur wieder manche herum“, meint er. „Nutzen die Funkanlage für private Gespräche über Dummheiten. Die ziehen den Beruf ins Lächerliche.“
Von Politik über Religion
Seit 1990 arbeitet Andrei Stoian als Taxi-Fahrer. Der inzwischen 55-jährige war damals nur neugierig gewesen, wollte halt sehen, wie es denn so ist. Und er wollte gerne Menschen kennenlernen. Viele Menschen sind mit ihm gefahren, darum würde er inzwischen die Art der Menschen bestens kennen. „Alles nur Klone, Mutanten und menschliche Verpackungen“, schlussfolgert er.
Auf dem Beifahrersitz liegt ein schwarzes Notizbuch. Darauf ein Abziehbild mit einem der PP-DD-Kandidaten für die verstrichenen Parlamentswahlen. „Die einzige Partei, der man trauen kann“, meint Stoian. Er selbst ist Mitglied. Alle anderen sind doch nur Kommunisten, findet er. „Ceauşescu war nur ein ungebildeter Schuster gewesen. Natürlich konnte es der mit jemanden wie Iliescu nicht aufnehmen, der in Moskau studiert hat.“ Die würden alle unter einer Decke stecken und dabei dem rumänischen Bürger vorgaukeln wollen, das Land wäre demokratisch. Er sagt wie es ist. Seine Kollegen würden ihn anders gar nicht kennen.
Von der zugeklappten Sonnenblende ragen zwei Bilder der orthodoxen Heiligen „Dumitru“ und „Maria“ heraus. Darauf angesprochen, meint er schnell, dass er nicht wirklich ein gläubiger Mensch ist. „Aber man müsse seine Geschichte kennen.“ Die beiden Heiligen stünden für seine Eltern, die die gleichen Namen tragen. „Ich und meine Frau stellen die Gegenwart dar und wir sind das Bindeglied zwischen der Vergangenheit, also meinen Eltern, und der Zukunft, also meinen Kindern.“ Inzwischen ist Stoian stolzer Großvater. Beide Kinder sind längst selbst Eltern geworden.
Es ist fünf Uhr Nachmittags.
Stau in der Innenstadt. Schon vor der Michelangelo-Brücke kommen wir nur noch schwer voran. Der Taxameter läuft. Schon 6,5 Lei. Hole das Aufnahmegerät raus und frage ihn, ob ich seine Aussagen aus Interesse aufnehmen darf. Das möchte er nicht. Interviews geben würde er schon, aber nur wenn er sich zuerst vorbereiten kann. Worum soll sich das Interview drehen, fragt er.
Es geht um den kürzlich ermordeten Taxi-Fahrer. Persönlich kannte er das Opfer nicht, so Stoian. Aber an Sicherheit fehlt es allerdings. Man müsste zumindest ein Sicherheitsgitter anbringen. Doch wer würde dafür zahlen? Die Stadt hätte dafür kein Geld. „Uns Geld aus der Tasche ziehen, wissen die aber schon.“ Wenn ich schon über etwas berichten soll, dann darüber, wie die Stadt mit den Taxifahrern umgeht, meint Stoian. Nicht nur Tarife und mangelnde Kunden seien ein Problem, sondern auch die Überfülle an Taxifahrern. „Es gibt Kollegen, die kennen die Straßen nicht. Viele glauben, dass man als Taxifahrer nur einen Führerschein besitzen muss und ein Auto.“ In vielen Fällen würde selbst das Auto keine Notwendigkeit sein. „Es gibt diese armen Schlucker, die Autos mieten. Ich zahle nur monatlich eine Gebühr für den Funkdienst, also dafür, dass ich an dieses Ding hier angeschlossen bin.“ Andere dagegen, die kein eigenes Auto haben, müssen auch noch die Mietkosten tragen. Da bleibt nicht viel Geld übrig.
„Ich habe vor einigen Jahren bei der Bank einen Kredit aufgenommen, um mir dieses Auto zu kaufen.“ Davor fuhr er nur ausländische Gebrauchtwagen bis es für ihn nicht mehr rentabel war. Sowieso halten die Autos allgemein nicht lange, wenn man sie als Taxi nutzt.
Vom Alltäglichen erneut zur Politik
Wir bewegen uns schleppend durch den stockenden Verkehr. „Die Stadtverwaltung“, setzt er fort. „Vergibt Taxi-Lizenzen an jeden. Zu einem Preis versteht sich.“ In Temeswar gebe es viel zu viele Taxifahrer. Darum sind auch die Haltestellen immer voll. Als wir auf dem Ion C. Brătianu Bulevard einbiegen, zeigt er auf das Schild in der Haltestelle vor dem Continental Hotel. „Sehen Sie das? Da steht ‚Mindestens zehn Plätze’. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist bei der Zahl an Taxis extrem wenig.“ Und dafür werden Bußgelder verhängt, meint Stoian aufgebracht.
„Alles nur Klone, Mutanten und menschliche Verpackungen“, wiederholt er sich. Die Gesellschaft würde einen für Dumm verkaufen. Er hat immer versucht ehrlich und fair zu sein. Weil es die anderen nicht sind. Angefangen bei den Beamten in der Stadtverwaltung, die Taxi-Lizenzen gegen Bestechungsgelder aushändigen und es reicht bis hin zur Regierung, die weiterhin nur aus Kommunisten besteht. „Năstase ist der Zögling von Iliescu und Ponta ist der Zögling von Năstase. Băsescu hat sich zwar von ihnen losgeeist, dafür aber ihm Einvernehmen“, ist sich Stoian sicher. Er gestikuliert mit den Händen. „Băsescu übernimmt die Rechten, Pota die Linken und die machen es wie bei den Amerikanern.“
Ankunft Weinhandlung auf der Eugen von Savoya Straße. 13,25 Lei eine Fahrt. Um drei bis vier Lei mehr als im Vorjahr. Die Tankanzeige blinkt. Das Gesicht weiterhin blass. Stille. Ich suche das Geld. Runde auf 14 Lei hoch. Der gesprächige Andrei Stoian seufzt. Er schaltet die Funkanlage aus. „Feierabend!“