Man geht zu einem Manu Chao-Konzert niemals wie ein Bourgeois übertrieben vornehm angezogen mit einer Schultertasche voller Bücher, die in solchen Augenblicken nur Ballast sind. Dann kann man gleich auch den Martini einpacken, um ihn mit einer frischen Olive zu schlürfen. Man darf dann natürlich nicht die vom Etikett vorausgesetzte steife Haltung vergessen, die nur möglich ist, wenn die Nase korrekt um mindestens 45 Grad gehoben ist.
Solche Augenblicke der Erkenntnis schlagen wie Steine auf den Kopf ein und haben zumindest einen wenn nicht zwei nette Nebeneffekte: Man fällt taumelnd von seinem hohen Ross runter und erkennt in den schwirrenden Sternen, dass man nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Bei einem Therapeuten würde man sich dann am liebsten zusammenkauern wollen, bei Manu Chao fallen dagegen weitere Steine und zwar nicht mehr auf den Kopf sondern vom Herzen. Und obwohl man die Lieder des Franzosen nur vage kennt, nur flüchtig im Radio in den letzten Jahren gehört hat, kann man dem Drang nicht widerstehen, mitzusingen: „Solo voy con mi pena/ Sola va mi condena/ Correr es mi destino/ Para burlar la ley.“
In Wahrheit geht der Liedtext nicht so perfekt von der Zunge, stattdessen murmelt man vor sich hin und summt eifrig bis zum Refrain mit, bis man endlich was festgreifen kann: „Mano Negra CLANDESTINA/ Peruano CLANDESTINO/ Boliviano CLANDESTINO/ Marijuana ilegal.”
Und die Beine entwickeln ein Eigenleben, der Körper will sich aus seiner Steifheit lösen und sich der stimmungs- und schwungvollen Musik hingeben. Von außen wirkt es wie der verzweifelte Kampf eines gefesselten, im Innern geschieht eine Explosion. Könnte man doch die Zeit um einige Stunden zurückdrehen, das schicke Hemd mit einem T-Shirt austauschen, die schwere Tasche, die man wie eine Fußfessel schultert, ablegen und statt den Jeans eine Sommerhose anziehen, trotz des strömenden Regens.
Und man wünscht sich dieser Clandestino zu sein, ein Reisender ohne Pass. Denn seine Geschichte ist so romantisch wie sie traurig ist. Und sie drückt die Bewegung, die einem selbst fehlt durch die Musik aus.
Darum verstehe ich auch die euphorischen Ausbrüche anderer Konzertbesucher, die nach einer Veränderung in ihrem Leben suchen und man wundert sich, wieso Manu Chao von manchen als sinkender Stern bezeichnet wird. Vielleicht handelt es sich hier auch nur um das Palaver Etikettsüchtiger, die Musik nicht anders begreifen können, außer durch Katalogisierung.
Darum ist Weltmusik zu einer Schublade für alle geworden, die in kein festes Genre reinpassen, die so viele Gattungen umspannen, das man selber nicht mehr mitkommt.
Muss man auch nicht. Manu Chao muss einfach erlebt werden. Dann kann es auch wie aus Kübeln schütten, dann darf man auch nur mitsummen und so gut es geht, überzeugend mitmurmeln.
Was man aber um Himmels Willen nicht machen sollte, ist, steif mit einem Martini Glas in der Hand stehen, während man mit dem kleinen Finger nach einer Olive fischt und mit der Nase auf die Sterne zeigt. Es sei denn man sucht dort nach dem, wofür Manu Chaos Musik steht, Freiheit, Freude am Leben, Ausbruch aus der Routine und weg von dem ach so veralteten Bourgeoisie-Gedanken, der niemals In war, aber stets in uns. Zumindest in einigen von uns.