Nicht wegen „Adidas“-Schuhen ausgesiedelt

Interview mit dem in Deutschland und in Rumänien lebenden Bildhauer und Autor Bata Marianov

Der Bildhauer Bata Marianov Foto: Dieter Penteliuc-Cotoşman

Der aus Temeswar gebürtige Bildhauer Bata Marianov (*1943) studierte an der Bildhauerei-Abteilung des Instituts für Bildende Künste „Nicolae Grigorescu“ in Bukarest. In den 1980-er Jahren übersiedelte er nach Deutschland. Nach der Wende erstand er ein Haus in Wolfsberg/Gărâna (Karasch-Severin), wo er seinen Sommersitz einrichtete. Im Banater Bergland veranstaltete bzw. leitete er die Holzbildhauer-Pleinairs in Wolfsberg und Karansebesch. Über sein Studium, die Ausreise nach Deutschland, die Rückkehr nach Rumänien, die Bildhauer-Pleinairs im Banater Bergland und die heutige Monumentalplastik im öffentlichen Raum sprach die BZ-Mitarbeiterin Iulia Sur mit Bata Marianov.

In Temeswar gab es in den 1960-er Jahren eine Zeichenfakultät. Wieso haben Sie nicht hier studiert?

Es war ein dreijähriges Pädagogisches Institut, eine Art Rettung für diejenigen von uns, die Kunst studieren wollten und an den großen Instituten nicht angenommen wurden. Da ich nicht das Kunstlyzeum absolviert hatte, war die erste Aufnahmeprüfung schwer für mich, denn ich hatte wenig Zeit zur Vorbereitung. Die Konkurrenz war riesig: 29-30 Kandidaten für einen Studienplatz, manchmal auch mehr.

Mit wem haben Sie sich für die Aufnahmeprüfung vorbereitet?

Mit dem Bildhauer Octavian Maxim, der mein Zeichenlehrer am Lyzeum Nr. 5 in der Fabrikstadt war und der mich als Lehrling in sein Studio aufnahm. Dort zeichnete, modelliert ich und versuchte, das nachzuholen, was die anderen im Kunstlyzeum jahrelang gelernt hatten. Ich bestand die Aufnahmeprüfung am Ion-Andreescu-Institut in Klausenburg nicht. Ich hatte Glück, nach zwei Jahren, bei der dritten Aufnahmeprüfung. Die ersten zwei Male versuchte ich es in Klausenburg, dann entschloss ich mich für Bukarest. Das Bukarester Kunstinstitut unterscheidet sich von dem in Klausenburg. Das Institut in Klausenburg ist eher auf eine österreich-ungarische Tradition mit einer bürgerlichen Bildhauerei eingestellt: Bronzeplastiken, Madonnen, Kruzifixe, geschliffene, polierte Porträts.

Und die Bukarester Schule?

Bar dieser kaiserlichen Tradition, fußte die Bukarester Schule auf dem rumänischen archaischen Volksgeist, was bis zu einem bestimmten Zeitpunkt für uns besser als Klausenburg war. Es war die Substanz, aus der sich auch Brâncuşi und die wahre rumänische Bildhauerschule nährten, Paciurea, Anghel...

Nach Hochschulabschluss waren sie in Temeswar Lehrer...

Im fünften Studienjahr wollte ich Bildhauer und nicht Zeichenlehrer werden. Als ich mein Studium antrat, war der Vertrag mit dem Bildungsministerium nicht verpflichtend, aber im fünften Studienjahr mussten wir einen Vertrag unterzeichnen, in dem wir uns für ein zweites, das pädagogische Diplom, bewerben mussten, damit wir eine Lehrerstelle kommen.  Wir rebellierten selbstverständlich, wollten nicht unterzeichnen. Sie wollten uns deshalb exmatrikulieren. Dann überlegten wir: uns zwingen, aus der Fakultät auszutreten, wieder Aunahmeprüfungen usw.? So unterzeichneten wir. Anschließend wurde ich Lehrer am Kunstlyzeum in Temeswar. Drei Jahre lang, laut Vertrag.

Anfang der 1980-er Jahre sind Sie nach Deutschland ausgesiedelt...

Ja, 1984 siedelte ich um. Nicht weil ich die Soja-Salami satt war. Nicht das war das große Handicap: die Soja-Salami, die Schweinehufe oder die halben Schweinsköpfe, die wir „Computer” nannten. Der Rest des Schweines wurde nach Italien und Russland exportiert. Also nicht die „Adidas”-Schuhe (= das Spitzbein), Computer, „Bestecke” (=die Hühnerkrallen) - nicht diese haben mich zum Umsiedeln veranlasst, sondern dieser Zustand der Verzweiflung, der Zerrissenheit, der sich wegen des Ceauşescu-Terrors eingestellt hatte.

Sie haben in Deutschland und Frankreich gelebt und geschaffen...

1984 beschäftigte ich mich drei Jahre lang damit, mich in Deutschland einzurichten, ein Studio zu finden, einen Sprachkurs zu belegen. Aber meine Suche ging in Richtung Dalmatien, woher die Großeltern mütterlicherseits stammten und wo ich einen Ort suchte, um mich niederzulassen. Ich wanderte dort herum, suchte Kontakte und als sich die 1990-er Jahre näherten, als die Tragödie auf dem Balkan begann, sind wir hingefahren, aber das Gespenst des Krieges, des Todes und der Unsicherheit und die grassierende Inflation hatten bereits eingesetzt. Dabei hatte ich fast einen Ort gefunden und mich fast schon niedergelassen. Nachher versuchte ich, etwas zu finden, und dachte, mich an einem anderen Ort im Mittelmeerraum anzusiedeln, nicht unbedingt an der Adria. Wanderte die ganze nördliche Mittelmeerküste ab: Griechenland, Jugoslawien, Italien und ließ mich letztendlich in Südfrankreich nieder, aber auch das hielt nicht lange.

Wie lange haben Sie in Frankreich gelebt?

Fünf-sechs Jahre. Ich mochte und mag Frankreich noch immer, besonders Südfrankreich, ein wunderbarer Ort, voller Geschichte. Es sollte nicht sein. Ich verstand, dass für uns Südfrankreich ein Bluff ist, denn die Franzosen kommen dir scheinbar entgegen, nett, sehr lateinisch, entgegenkommender als die Deutschen. Aber ich sagte mir, dass ich trotzdem allein sein muss, in einer frommen Stille und nach oben zu Frankreichs Herrlichkeit aufblickend. So erstand ich dann das Haus in Wolfsberg...

Wann war das?

1990, als die Deutschböhmen aus Wolfsberg weggezogen sind. Beflügelt von neuer Hoffnung, dass man von nun an auch in Rumänien ein normales, europäisches Leben führen werden kann, sagte ich mir, dass es sich lohnt, mich wieder hier niederzulassen. Dachte, dass mein Platz doch hier sei. Ich tat diesen Schritt nicht voll, denn ich bin nicht endgültig umgezogen, ich wohne nur im Sommer hier, so lange schönes Wetter ist. Das Haus in Wolfsberg habe ich in ein mediterranes Terrassenhaus umgewandelt, damit ich den Himmel sehen kann. Wenn ich mich ganz einschließe, sehe ich den Himmel, die Schönheiten der Natur nicht mehr. Aber wenn der Winter kommt, fahre ich fort.

Sie haben begonnen, das Bildhauer-Pleinair in Wolfsberg zu organisieren...

Ich habe mit Wolfsberg 1996-1997 begonnen, als ich begriffen hatte, dass nicht einmal in Frankreich mein Platz war, der Ort meiner Träume, den ich mir gewünscht hätte. Zu einem gewissen Zeitpunkt verlor ich einfach meine Begeisterung.

Wieso gab es nur drei Auflagen?

Weil die rumänischen Politiker alle Diebe sind. Sie dachten sich, dass sie mit mir Geschäfte aller Art machen würden, also zum Beispiel die Hälfte der Unterstützung einstreichen. Als sie sahen, dass sie mit mir Geschäfte dieser Art nicht machen können, gaben sie mir keine Finanzierung mehr. Das war alles. Geh mal jetzt auf den Domplatz und lies die Plakate der demonstrierenden jungen Leute: „Ihr habt unser Land bestohlen!”, „Ihr seid Diebe!” Das habe ich gewusst und lange davor gesagt.

Die Holzskulpturen aus dem Bildhauer-Park in Wolfsberg sind bereits vom Wetter betroffen...

Ja, ihr Zustand verschlechtert sich. Niemand kümmert sich um sie, obwohl sie von der „Nomenklatur” der Kulturministeriums übernommen sind. Ich hatte gute und talentierte Bildhauer gebracht. Die Skulpturen zerfallen, denn sie sind sich selbst überlassen. Ich habe weder das Geld, noch die Gesundheit, um draufzuklettern und sie anzustreichen. Sie werden zerfallen, wenn niemand Maßnahmen ergreift... 

Und das Bildhauer-Pleinair in Karansebesch?

Mit dem Bildhauer-Pleinair in Karansebesch stehen die Dinge ein bisschen anders. Es wird seitens des Bürgermeisteramtes Karansebesch veranstaltet. Ich war nur der Leiter, eine Art kulturell-künstlerischer Manager, derjenige, der die Leute auswählte, die Probleme bezüglich Aufstellung, Ensemble erledigte. Ich kümmerte mich um alles, das Drucken der Werbematerialien, alles was zum künstlerischen Teil gehört. Um alles Technische kümmerte sich das Bürgermeisteramt, einschließlich die Finanzen. 

Wie lange haben Sie das Bildhauer-Pleinair in Karansebesch geleitet?

Sieben Jahre. Zwischen 2003-2010. Sieben Auflagen waren es insgesamt. Ich habe einen Monumentalpark mit Holzskulpturen, 33 Monumentalplastiken, gemacht.

Wieso haben Sie die Zusammenarbeit abgebrochen?

Weil der Teiuş-Park voll und kein Platz mehr war. Aber sie haben ohne mich weitergemacht, mit Steinskulpturen, die überall in der Stadt zerstreut sind, nicht dort, zusammen mit den Holzskulpturen. Also, ich habe etwas Rundes, in sich Abgeschlossenes gemacht.

Sie sind mehrfacher Buchautor. Wieso der Übergang von Bildhauerei zum Schreiben?

Weil man in Form nicht protestieren kann. Die Form ist das Ergebnis einer Energiedichte. Die Form ist bejahend. Ein Bildhauer baut auf, ist ein Baumeister, kein Zerstörer, wobei der zeitgenössische Geist der einer Zerstörung, der Negation ist...

Wie sehen Sie die heutige Monumentalplastik im öffentlichen Raum in Rumänien?

In erster Linie ist die Idee des öffentlichen Raumes und der Denkmäler nirgendwo mehr üblich. Die westlichen Industrieländer haben ihre letzten Denkmäler bereits im 19.-20. Jahrhundert angefertigt. Nachträglich wurde der öffentliche Raum mit sogenanntem „städtischen Mobiliar” ausgestattet, wie z.B. Oldenburgs „Wäscheklammer” zwischen den Wolkenkratzern in Philadelphia. Wir haben unsere Denkmäler während des Ceauşescu-Regimes und danach angefertigt, weil wir keine Denkmäler hatten oder solche wie Meštrović[1] Werk in Bukarest, das die Kommunisten zerstörten und das nachträglich wieder hergestellt werden musste. Aber es waren wenig Denkmäler in Bukarest und es hat Mühe gekostet, nachzuholen, was früher nicht getan wurde. Was hieß, entweder heldenhafte Herrscher zu erfinden oder die Büsten des „beliebtesten Sohnes des Volkes”, des Schusters ausScorniceşti, und dessen „wunderschöner Dame Leana”, anzufertigen. An die Arbeit, Mensch, an die Arbeit, Künstler! Kämpfe und arbeite für die vergangene und künftige Herrlichkeit der großen rumänischen Nation!

Wie finden Sie die Monumentalplastiken nach der Wende?

Die sind genauso schlecht wie jene, die vor 1989 angefertigt wurden. Es gibt keinen Unterschied. Wurden sie nicht etwa von den selben Leuten angefertigt?

 


[1]Ivan Meštrović (1883-1962) war ein amerikanisch-kroatischer Bildhauer, der in Bukarest das Reiterstandbild König Karl I. (1939) anfertigte, dass 1947 abgetragen wurde. Ein neues Reiterstandbild König Karl I. wurde 2010 vom Bildhauer Florin Codre in Bronze gegossen.