Die Zeiten ändern sich für die Nikolaus-Lenau-Schule aus Temeswar. Das klingt nach einer Plattitüde, aber besser könnte man die Grundstimmung nicht umschreiben, die in der Schule herrscht. Es hat nichts mit dem Alltag in den Schulpausen zu tun. Noch immer wuseln, subjektiv wahrgenommen, Hunderte auf den Schulfluren herum, schreien sich nachmittags die Kehle aus dem Leib oder schauen ehrfürchtig auf die Schautafeln, worauf die Absolventen aller Jahrgänge minus 2006 verewigt sind.
Die riesigen, eingerahmten Wandbilder zeugen von Tradition und sogar von Prestige. Darauf findet man schließlich auch eine junge Herta Müller wieder, die 2009 den Literaturnobelpreis erhielt. Das Einzige was visuell im Widerspruch zu den Schautafeln steht, sind die sanierungsbedürftigen Korridore: Das alte Schulgebäude auf der Gheorghe-Lazar-Straße Nr. 2 ist seit über einem Jahr eine Baustelle.
Sein Zustand passt zum gegenwärtigen Problem der Bildungseinrichtung. Auf einer Tradition aufbauend müssen Lösungen gefunden werden, um das zu bewahren, was die Nikolaus-Lenau-Schule von den anderen hervorhebt: Deutsch als Unterrichtssprache auf Muttersprachenniveau.
Mit Lehrkräften, die der deutschen Minderheit angehörten oder selber die Nikolaus-Lenau-Schule in einer Zeit absolvierten, als der Großteil der Schüler aus Deutschen bestand, war auch die Sprache kein Problem. Obwohl die verschiedenen Dialekte das Hochdeutsch verdrängten.
Bestimmt herrschte auch zu Herta Müllers Zeiten Hektik auf den Schulfluren und im Gymnasium wurde auch damals so laut geschrien, wie es der eigene Kehlkopf erlaubte. Allerdings wurde damals auf Deutsch gebrüllt, was dazu führte, dass die Sprache nicht nur im Unterricht geübt wurde.
Nach der Wende nahm die Zahl der Muttersprachler kontinuierlich ab. Zuerst wurden es immer weniger Schüler, was sich auf die Schulpausen auswirkte.
Jetzt werden es auch immer weniger Lehrer, die der deutschen Sprache mächtig sind. Die Gefahr besteht, dass Deutsch auch aus dem Unterricht verdrängt wird.
Schüler Ja, Lehrer Jein
An der Nikolaus-Lenau-Schule unterrichten in diesem Schuljahr 91 Lehrkräfte. Davon 63 im Gymnasium und im Lyzeum. Die größte Herausforderung ruht auf den Schultern der Grundschullehrer. Denn viele der fast 700 Grundschüler sprechen von zu Hause aus kein Deutsch. Die ersten Kenntnisse wurden im Kindergarten erworben. Allerdings nimmt die sprachliche Leistung der Kinder deutlich ab.
Trotz der sprachlichen Voraussetzung schreiben viele Eltern ihre Kinder in die Nullklassen der Nikolaus-Lenau-Schule ein. Mit sechs Vorschulklassen und sieben Erste Klassen ist der Ansturm gewaltig. Viele erhoffen sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass Deutsch dem Sohn oder Tochter ein besseres Studium und eine bessere Arbeitsstelle sichern wird.
Das Interesse an der deutschen Sprache spiegelt die aktuelle Lage in Europa und Rumänien wieder. Während viele EU-Länder aus der Schuldenfalle nicht mehr rauskommen, steht Deutschland als Beispiel, wie man die Wirtschaftskrise meistern kann. Die lokale Wirtschaft wird von deutschen Unternehmen angetrieben und mit dem wachsenden Fachkräftemangel ist auch die Nachfrage nach kompetenten jungen Menschen gestiegen. Sie müssen allerdings auch Deutsch können.
Allerdings warnt Schulleiterin Helene Wolf, die hohe Schüleranzahl in der Ersten und der Nullklasse als Zukunftsprognose zu deuten. In zwölf Jahren bis zum Abiturabschluss kann vieles passieren.
Sie vertraut allerdings auf die Leistung der Schüler und würde dies nicht als Faktor für einen möglichen Rückgang der Schülerzahlen in den weiteren Lehrstufen betrachten. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass selbst einige unserer schwächeren Schüler, über die man sich eher öfters als selten wundern musste, erfolgreiche Karrieren aufgebaut haben“, sagt Wolf.
Sorgen müsste man sich auch nicht um die Schüler machen, sondern eher um die Lehrer. Viele erfahrene Lehrkräfte haben das Rentenalter erreicht und somit eine Leere hinterlassen. Aufgrund des Bedarfs unterrichten viele weiterhin. Die Deutschlehrerin Magdalena Balogh unterrichtet seit 40 Jahren. Zahllosen Generationen hat sie die Sprache beigebracht. Viele ihrer ehemaligen Schüler sind heute in den verbliebenen deutschsprachigen Einrichtungen in Temeswar tätig. Es ist schwer Ersatz für sie zu finden. Junge GermanistikabsolventInnen ziehen es vor, in anderen Bereichen zu arbeiten, statt Lehrer zu werden. Dafür sind die Gehälter nicht attraktiv genug.
An der Grundschule unterrichtet die Rentnerin Marlene Krakker. Hinzu kommen 22 fest angestellte GrundschullehrerInnen und noch sechs auf Probezeit. Für eine Festanstellung müssen sie Erziehungswissenschaften studieren mit Schwerpunkt auf Vor- und Grundschulpädagogik. Die West-Universität in Temeswar sowie die Universität „Vasile Goldis“ in Arad bieten den Studiengang im Westen des Landes an.
„Lenau-Deutsch“ ein Standard mit Fragezeichen
Der Fachunterricht stellt das größte sprachliche Problem dar. Es werden nicht nur Lehrkräfte gebraucht, die zum Beispiel gut in Biologie, Mathematik oder Geschichte sind. Sie müssen den Lehrstoff auch auf Deutsch unterrichten können. Gerade hier werden Kompromisse gemacht. „Die Lehrer müssen nur die deutschen Begriffe kennen, erklären können sie auch auf Rumänisch“, so Helene Wolf.
Für Schüler kann es dann schnell verwirrend sein, wenn der Biologielehrer von Desoxyribonukleinsäure also „DNS“ spricht, die Definition aber auf Rumänisch ist.
Somit wird aus dem oft scherzhaft erwähnten „Lenau-Deutsch“ eine tatsächliche Mischsprache ähnlich wie Esperanto.
Das Bildungsministerium verlangt von den DFU-Lehrkräften, also den Lehrern die den Fachunterricht in deutscher Sprache unterrichten, Deutsch auf dem Niveau A2 zu beherrschen. Das heißt, sie müssen Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen können, die mit Bereichen von ganz unmittelbarer Bedeutung zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung).
Es gibt auch keine deutschsprachigen Studiengänge an den rumänischen Universitäten, außer mit ein Paar Ausnahmen, die den Einstieg in den deutschsprachigen Fachunterricht erleichtern könnte. Das bedeutet, man ist auf sich allein gestellt. Wer nicht im deutschsprachigen Ausland auf Lehramt studiert hat, muss das Erlernte mühevoll selber übersetzen und zwar soweit, dass man den Stoff auch Schülern beibringen kann, die selber keine Muttersprachler sind und Probleme mit der deutschen Sprache haben. Und diejenigen, die im Ausland studieren, kommen selten zurück, um im rumänischen Bildungssystem zu arbeiten. Eben weil die finanzielle Entschädigung zu klein und der Aufwand dafür zu groß ist.
Somit wird die Nikolaus-Lenau-Schule in den nächsten Jahren mit einer weiteren Baustelle zu kämpfen haben. Und diese wird noch schwieriger zu bewältigen sein, eben weil das Grundmaterial fehlt.
Irgendwann könnte auch das Fundament zusammensacken und davon wird nicht nur die Schule betroffen sein, sondern auch alle anderen, die von der Arbeit ihrer Lehrkräfte ihren Nutzen ziehen. Das betrifft neben den den deutschsprachigen Kultureinrichtungen, dem Deutschen Forum und den deutschen Unternehmen auch die deutschsprachigen Abteilungen an den Universitäten aus dem Westen des Landes.