Das Tier quietscht laut, als sich ihm die drei Männer nähern. Stricke sind an seine Vorder- und Hinterbeine gebunden, es will davonlaufen, aber der Anglerknoten wird fest zusammengeschnürt und das Tier fällt zu Boden. Dann trifft es Daniel B. mit einem Schlagbeil auf den Nacken, so dass es im Nu in Ohnmacht fällt. Erst dann holt der Schlächter das Messer hervor und sticht in seine Halsschlagader. Alles geschieht ruckzuck - die drei Männer scheinen ein eingespieltes Team zu sein. Das, was für manchen Westeuropäer ein Horror-Szenario darstellen könnte, ist in Rumänien alte Tradition: Kurz vor Weihnachten wird auf dem Dorf das Hausschwein geschlachtet. Die perfekte Gelegenheit, mit Verwandten, Bekannten und Freunden zusammenzukommen und bei der Herstellung von Leber- und Blutwurst, Schwartenmagen, Grieben und Wust gemeinsam Hand anzulegen.
Für Alex C. aus Lugosch/Lugoj gehört das Schweineschlachten zu seinen Erinnerungen an die Kindheit. Der 31-jährige Mann hat es seit Jahren nicht mehr hautnah erlebt und beschloss daher, in diesem Jahr auf Einladung eines Freundes aufs Dorf zu fahren, um beim Schlachten dabei zu sein. Zwei Schweine hat Daniel in Ohaba Forgaci bei Lugosch gezüchtet – das eine wird für seine Familie geschlachtet, das andere teilen sich Alex und sein Kumpel aus Temeswar/Timişoara. „Ich habe es für sieben Lei das Kilo gekauft – bei diesem günstigen Preis lohnt es sich nicht mal, selbst ein Schwein zu halten“, glaubt der junge Mann zu wissen. 120 Kilo schwer ist das Tier, Lebensgewicht, das er und sein Freund gekauft haben. „Wir kennen den Bauern und wissen, dass das Schwein unter guten Bedingungen und ohne Wachstumshormone gehalten wurde“, sagt er. Nachdem die beiden Tiere tot auf dem Boden liegen, fährt einer der Anwesenden mit einem Stück Fleisch zum Gesundheitsamt. Hier wird dieses auf Krankheitserreger wie beispielsweise Trichinen geprüft. Ist das „OK“ schon mal da, kann man weitermachen.
EU-weit wurden im vergangenen Jahr mehr als 248 Millionen Schweine geschlachtet. Spitzenreiter in Sachen Schlachtungen war Deutschland mit 58 Millionen Tieren, gefolgt von Spanien mit mehr als 43 Millionen und Frankreich mit über 23 Millionen geschlachteten Schweinen. In Rumänien lag diese Zahl bei 4,4 Millionen Tieren, um 2,2 Prozent weniger als im Jahr davor, berichtete das Statistikamt der Europäischen Union Eurostat. In diese Statistik wurden allerdings nur jene Tiere einbezogen, die in autorisierten Schlachthöfen ihr Ende fanden. Eine Wochenendrundfahrt durch die rumänischen Dörfer im Monat Dezember reicht völlig aus, um festzustellen, dass es an Hausschlachtungen nach wie vor nicht mangelt. Dieses Fleisch ist jedoch ausschließlich für den Eigenverbrauch bestimmt und darf nicht in den Handel gelangen. Dass der eine oder andere Landwirt das Schweinefleisch an Verwandte und Freunde verkauft, ist keine Seltenheit. Die Preise für die lebenden Tiere schwanken im Banat zwischen 6,5 und 8 Lei das Kilogramm.
Nachdem das Blut in einem Topf aufgefangen und gut verrührt wird, um die Koagulierung zu verhindern, machen sich die Männer an die Arbeit. Das Schwein wird in Stroh gehüllt und mit Feuer versengt. Danach kommt die Flüssiggasflasche zum Einsatz, damit es mit dem Abbrennen der Borsten schneller vorangeht. „Früher wurde das ausschließlich mit Stroh gemacht“, erinnert sich Alex. Dann ist wieder Daniel dran. Mit seinem Schlachtermesser spaltet er sorgfältig den Bauch des Tiers, die Innereien werden herausgeholt und bei Seite gelegt. Vor 20 Jahren hatte man noch Dünn- und Dickdarm gewaschen, heute macht man sich nicht mehr die Mühe. Für die Würste werden nur noch Därme aus dem Laden verwendet. Nachdem das Schwein tranchiert ist, übernimmt jeder der Anwesenden seinen Teil der Arbeit: Der eine ist für Blutwurst zuständig, der andere macht die Leberwurst, wiederum ein anderer sorgt dafür, dass die Würste zubereitet und in die Räucherkammer kommen. Die Frauen kochen den Männern frischen Schweinseintopf und bereiten die Grieben zu. In die Räucherkammer gelangt sechs Wochen später auch der mit Salz eingepökelte und mit Knoblauch gewürzte Schinken, der wahrscheinlich erst an Ostern – erst mal gekocht, und zwar traditionell nach den Metten, die die Fastenzeit beenden – auf den Tisch kommt. Bis dahin aber ist noch ein Weihnachtsfest zu feiern. „Ohne Braten, geräucherte Wurst und andere Leckerbissen vom Schwein kann ich mir das Fest nicht vorstellen“, schwärmt Alex müde, als er abends, nach 19 Uhr, in die Stadt zurückkehrt.
Am Freitag, dem 19. Dezember, wird in Hatzfeld/Jimbolia das traditionelle Ignat-Fest begangen. Metzger aus dem Dreiländereck Rumänien, Serbien und Ungarn kommen, um den Anwesenden zu zeigen, wie eine traditionelle Schweineschlachtung bei ihnen, in diversen Teilen des Banats, stattfindet. Die Gäste können die Produkte verkosten. Zum Schluss wird das beste Metzger-Team ausgezeichnet.