Die Pandemie hat die Säle geschlossen und die YouTube-Kanäle erst richtig geöffnet. Was bedeutet diese neue Art auf das Publikum einzugehen? Auf diese und eine Reihe anderer Fragen haben einige der Leiter von Kulturinstitutionen aus Temeswar geantwortet. Was bedeutet die Umstellung für den Spielplan oder den Kulturkalender? Wie ist es als Künstler bei der Aufführung vor einem leeren Saal – wie bei einer Probe – zu stehen, während das Publikum vor einem Laptop sitzt? Wie stark braucht man als Künstler die Nähe zu seinem Publikum? Auf welche technischen Mittel musste man greifen, um streamen zu können? Was hat sich noch alles verändert? Und: Wie ist das Publikum zu Hause?
Christian Rudik, Direktor der Rumänischen Oper Temeswar:
„Es ist Überlebensstrategie. Vor Kurzem gab es das Weihnachtskonzert live auf YouTube. Erstaunenswert viele Menschen haben zugeschaut. Frage bleibt offen, wann wir von einer Normalität wieder träumen können... Es gibt keine Vielzahl an Normalitäten.
Für den Spielplan bedeutet es Planen und ewiges Umplanen. Der Traum bleibt bestehen, dass Kultur lebenswichtig ist. Der Wind in den Segeln des Schiffes genannt Oper bleibt die schöne menschliche Stimme und im Falle des Ballettes der schöne, kultivierte menschliche Körper. Aber die Oper lebt auch aus Gastsolisten und Gastdirigenten. Oper ist eine internationale Sprache und wir sind international streng eingeengt.
Der Sinn des Genres ist, die Gefühle der Bühne mit den Gefühlen des Publikums in philosophischer Harmonie zusammenzuschwingen. Mit dem virtuellen Publikum funktioniert diese Energie fast ausschließlich einbahnmäßig, one way... Es ist eine hoffentlich bald aufhörende Übergangsphase. Theater, ob musikalisch oder nicht, ist vor mehr als 2000 Jahren aus einem natürlichen Bedürfnis der menschlichen Seele entstanden, nämlich der Empathie, des Zusammenfühlens, des Teilens. Theater ist über Wahrheit. Ein Kind wird aus einem Holzlöffel und einem Fetzen vielleicht nicht die schönste Puppe bauen können, aber es wird an diese Prinzessin mehr glauben als jede andere 'wahrere' Wahrheit... Theater ist eng mit dem Kind-Sein des Menschen verbunden. Mit der göttlichen Qualität der Adoration, die die menschliche Seele innehat. Also ist die Nähe des Publikums für das Genre lebenswichtig. Dazu muss man auch erörtern, dass ein Musiker ein Leben lang eine gewisse Qualität seines Tones, des natürlichen, nicht verstärkten Tones, bestrebt.
Was die Übertragung angeht: Die heutige Technik erlaubt das Übertragen auf hohem, qualitativen Niveau, aber das Endprodukt ist doch nur mit einer Konserve zu vergleichen. Es ändert sich alles an der Produktion und nicht in die Richtung der Entstehungsgeschichte des Musiktheaters...
Was das Publikum betrifft: Hauptschlagader bleibt nach wie vor das echte Opernpublikum der Stadt. Ich wünsche unserem Stammpublikum, aber nicht nur diesem, vor allem Gesundheit, langes Leben, und glaube fest, dass die Menschheit auch weiterhin des Künstlers bedarf!“
Ioana Iacob, Intendantin des DSTT:
„Wir wollen die Verbindung zu unserem Publikum nicht verlieren, und durch diese Plattformen versuchen wir diese Verbindung zu erhalten, obwohl das meiner Meinung nach etwa bis zu 20 Prozent passiert, weil Theater an sich kann mit diesen Medien nicht konkurrieren: Theater braucht Publikum im Saal, Nähe, Kontakt. Das ist der Sinn des Theaters. Es entstehen wegen dieser Situation aber auch interessante Produktionen, die online passieren, die man als Kunstform nicht so leicht einordnen kann, sind es Theatervorstellungen oder auch etwas Anderes. Wir können kaum noch die Vorstellungen spielen, die vor der Pandemie entstanden sind, denn damals musste man nicht an Schutzmaßnahmen denken, da hatte man Nähe, Kontakt. Alle Produktionen, die jetzt entstehen, halten auch die Distanzierung zwischen den Schauspielern ein.
Wir haben keine Erfahrung mit dem leeren Saal, denn wir bieten keine Live-Online-Vorstellungen an. Die Vorstellung mit Olga Török („V.I.P.“ – nach Tschechows „Die Möwe“ N. Red.) ist über Zoom übertragen und passiert von ihrem Zuhause aus. Und mit Niko Becker („Après Ski – Ruhe da oben!“ N. Red.) haben wir die Generalprobe aufgenommen. Es wird immer dieselbe Vorstellung gestreamt. Aber es gibt viele Theater in Rumänien, die live spielen und streamen. Es ist wie eine Probe mit leerem Saal, die aufgenommen wird. Und natürlich ist es traurig, wenn man ständig nur so spielt. Vom technischen Standpunkt aus hatten wir alles was wir brauchten, manchmal brauchen wir noch einen Kameramann, aber meistens sind wir mit unserer Ausstattung und mit unseren Leuten klargekommen.
Bei den Zuschauern auf Facebook stelle ich mir vor, dass sie ein Teil unseres Stammpublikums sind. Ob wir mehrere erreichen, weiß ich nicht, die Leute sind schon satt vom Online-Theater und es kann nicht mehr lange dauern, aber ich denke schon, dass wir einen Teil unseres Publikums erreichen“.
Mona Petzek, die Leiterin des Deutschen Kulturzentrums Temeswar:
„Das Deutsche Kulturzentrum hat eher vermieden, zu viele online Veranstaltungen anzubieten. Dies aus dem Grund, dass man schon früh eine Übersättigung der Medienkanäle und des Publikums in dieser Hinsicht beobachten konnte. Soweit es möglich war, haben wir im Sommer und am Anfang des Herbstes Konzerte und Ausstellungen mit Präsenz der KünstlerInnen und des Publikums organisiert. Bei Konzerten und Filmstreamings, die auf YouTube stattgefunden haben, war das Deutsche Kulturzentrum nur als Partner dabei.
Diese neue Art auf das Publikum einzugehen erschöpft schnell die Werberessourcen, da das Angebot an kulturellen Veranstaltungen im Netz riesig ist. Plötzlich konkurriert man nicht mehr mit einer überschaubaren lokalen Szene, sondern mit der ganzen Welt. Da muss man höchst kreativ sein, um das übliche Publikum aus Temeswar für sich zu gewinnen – da hilft natürlich der gute Ruf des Kulturzentrums, der durch jahrelange qualitative Aktivität gewonnen wurde. Und um die Reichweite auf nationaler Ebene zu erweitern hilft unser Netzwerk geleitet vom Goethe Institut Bukarest.
Ein Projekt, nämlich CoLaboratory – digitale Künstlerresidenzen, das wir in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut Bukarest und den anderen Deutschen Kulturzentren aus Rumänien und aus Kischinow/Chi{inău organisiert haben, fand hybrid statt. Die Künstlerpaare (DT + RO/MD) haben im Online zusammengearbeitet und ein digitales Werk genau zum Thema „künstlerisches Schaffen in Pandemiezeiten“ entworfen. Alle sieben Werke wurden schließlich aber im Herbst in verschiedenen Festivals in Rumänien und der Republik Moldau gezeigt.
Gänzlich online hat das Kulturzentrum nur ein Interview mit der in Temeswar gebürtigen Schriftsellerin Katharina Eismann organisiert und auf facebook gestreamt. Dies fand innerhalb der Interview-Reihe Rendezvous@Goethe, das vom Goethe Institut Bukarest initiiert wurde, statt.
Die Arbeit mit Online-Instrumenten bleibt natürlich in der Zukunft, auch nach der Pandemie, erhalten. Es gibt Vorteile - z.B. im Ressourcen-Sparen und des Zusammenbringens vieler Beteiligten aus den verschiedensten Orten – die nicht zu ignorieren sind. Man muss nur das Gleichgewicht zwischen Präsenz- und Online-Formate finden – natürlich zu Gunsten der Präsenzveranstaltungen. Für 2021 planen wir hybride Veranstaltungen und für den Sommer und Herbst Outdoor-Veranstaltungen mit Präsenz der KünstlerInnen und des Publikums.
Vor dem Bildschirm zu stehen raubt dem künstlerischen Akt seine primäre Funktion, nämlich das Hinreißen des Publikums zum Mitfühlen und / oder –denken. Mit allen Nachteilen und in der Hoffnung einer baldigen Rückkehr in die Normalität, Theaterstücke oder Musikveranstaltungen im Online zu verfolgen ist eine Chance sowohl für die Künstler als auch für das Publikum, nicht komplett von der Kunstszene und voneinander abgeschaltet zu werden. Es ist eine vorübergehende Überlebensphase der Branche und seiner Genießer. Zum Glück gibt es diese Möglichkeit! Im Falle des Kulturzentrums ist der Anteil an (sehr) junges Publikum auf YouTube größer als in den Präsenzveranstaltungen, da dieses Alterssegment ohnehin mehr gewohnt ist, seine Aktivitäten im Online durchzuführen“.
Eleonora Ringler-Pascu, Univ.-Prof. Dr., West Universität Temeswar, Fakultät für Musik und Theaterwissenschaften
„Die Pandemie hat uns alle überrascht und verpflichtet, neue Arbeitstechniken zu finden, die teilweise den frontalen Unterricht ersetzen können. Die Schauspielstudenten hatten dementsprechend manche Projekte zu bewältigen, die ihre digitalen Kenntnisse in Anspruch nahmen. Zum Glück kamen aber auch sehr kreative Vorschläge hinzu. Zum Beispiel kam von der Theaterakademie aus Jekaterinburg in Zusammenarbeit mit der Universität der Künste Berlin die Einladung, am „Global ShakespeareSonnets Project“ teilzunehmen, an dem Studierende aus der ganzen Welt ihr Können anhand der Sonette des englischen Dichters zum Ausdruck brachten. Fünf Studentinnen des zweiten Studienjahrgangs der Deutschen Schauspielabteilung der Hochschule für Musik und Theater Temeswar wurden selektiert; die Ergebnisse sind auf YouTube zu sehen.
Ebenfalls für Abwechslung sorgte das online Projekt TIMVAL mit Studenten der Erasmus+ Partneruniversität Valencia, mit denen schon seit längerer Zeit ein reger Austausch besteht. Das der Situation angepasste, digitale Projekt beschäftigte die Studierenden das gesamte Wintersemester und wird im Januar dieses Jahres abgeschlossen.
Weiter hatten einige Studierende das Glück, an der Produktion des Deutschen Staatstheaters Temeswar Der Gott Kurt von A. Moravia in der Regie von Alexander Hausvater mitzuwirken. Also dennoch ein Trostpflaster, wenn auch die Premiere ohne Publikum stattfand – aber es wurde intensiv geprobt und schließlich auch gespielt.
Ein Vorteil dieser beklemmenden Zeiten ist die Möglichkeit, sämtliche wertvolle, von bedeutenden Theatern ausgestrahlte Vorstellungen über Livestreaming zu erleben; wobei aber das echte live Erlebnis fehlt.
In der Pandemiezeit gab es keine Studenten-Produktionen. Insbesondere in Bezug auf die praktischen Aktivitäten, die ihre künstlerischen Fähigkeiten voraussetzen und herausfordern, ist die Pandemie für die angehenden Schauspieler ein regelrechtes Hindernis, da sie den Präsenzunterricht vermissen. Vor dem Laptop ist es praktisch unmöglich, mit dem Partner zu arbeiten, Energien aufzubringen, so wie es eine Produktion unter normalen Umständen erlaubt. Wir dürfen nicht vergessen, dass an unserer Hochschule Schauspieler ausgebildet werden, die in realen Theatern auftreten sollen und sich nicht für künstlerische Darbietungen auf online-Plattformen vorbereiten. Die aktuelle Lage darf nicht zu einem Dauerzustand werden, auch wenn die gesundheitliche Lage Vorsicht erfordert. Die Nähe zum Publikum ist vital. Nur vor dem Publikum bzw. im Einklang mit diesem kann sich die Kunst entfalten.“