Wohin mit dem eigenen Kind, das an einer geistigen Behinderung leidet? In Rumänien stellen sich über 232.000 Eltern diese Frage täglich. Die erforderliche Behinderungshilfe fehlt in Rumänien fast ganz. Landesweit setzen sich eine Handvoll Hilfsorganisationen für die Rechte behinderter Menschen ein. Die meisten sind Nichtregierungsorganisationen, die finanziell und logistisch überfordert sind. Auch viele rumänische Familien wissen oft nicht weiter.
Erfolgreiche Hilfsorganisationen, wie die „Pentru Voi“-Stiftung sind rar. „Pentru Voi“ selbst ist eine Ausnahmeerscheinung. Seit 15 Jahren versucht die Stiftung, Menschen mit geistiger Behinderung und deren Familien unter die Arme zu greifen. „Pentru Voi“ hat durch zahlreiche Pilotprojekte in Rumänien eine Vorreiterrolle übernommen: Die Stiftung führte 1997 das erste Tageszentrum für Erwachsene mit einer geistigen Behinderung ein. 1999 richtete „Pentru Voi“ die ersten Sozialhilfewohnungen für behinderte Menschen her. Finanziert wird die Organisation teilweise durch die Stadtverwaltung Temeswar/Timişoara. Heute betreut „Pentru Voi“ 180 Personen. Damit wird nicht einmal ein Prozent des eigentlichen Bedarfs abgedeckt. Laut den jüngsten Statistiken leben in Rumänien 116.119 geistig behinderte Menschen. In den letzten zwei Jahren hat die rumänische Regierung sämtliche Sozialausgaben zurückgestuft. Rumänien gibt 14 Prozent für die Behinderungshilfe aus. In Vergleich dazu gibt Bulgarien 15 Prozent aus. Rumänien gehört zu den Schlusslichtern in der Europäischen Union, was die Pro-Kopf-Sozialausgaben betreffen. Gegenpol sind Länder wie Schweden, Frankreich oder Deutschland, wo in die Behinderungshilfe bis zu 31 Prozent der Sozialausgaben gesteckt wird.
„Pentru Voi“ organisierte vor Kurzem eine Tagung in Temeswar, bei der andere Hilfsorganisationen aus Rumänien eingeladen wurden. Zu den wichtigsten Tagungspunkten gehörte auch die prekäre Situation geistig behinderter Personen auf dem Arbeitsmarkt. Das rumänische Arbeitsgesetz erlaubt geistig behinderten Personen nicht, einen Beruf anzustreben, unabhängig davon, wie intellektuell anspruchsvoll die Arbeit wäre. „Pentru Voi“ hat im vergangenen Jahr ein Projekt gestartet wodurch man eine Änderung des Arbeitsgesetzbuches anstreben wollte. „Pentru Voi“ arbeitete zusammen mit lokalen Unternehmern, um Arbeitsplätze für Menschen mit einer geistigen Behinderung zu schaffen. Bei den Partnerfirmen handelte es sich vorwiegend um Ausländische Großkonzerne wie Procter&Gamble, Vodafone, Contitech Continental u.a. Auch in den „Pentru Voi“-Hilfszentren werden kleinere Arbeiten von geistig eingeschränkten Personen verrichtet. Ob in der Telefonzentrale oder in der Kantine, „Pentru Voi“ bemüht sich darum, Tätigkeiten zu finden, die sie nicht überfordern. Das Gesetz selbst geht auf die Arbeitsfrage dürftig ein.
Für Laila Onu, die die Stiftung „Pentru Voi“ leitet, ist die Lage in Rumänien desastruös. Nicht nur, dass der Staat im Sozialhilfesektor massive Einsparungen unternommen hat, aber er raubt auch teilweise Menschen, die an einer Behinderung leiden, jedwelche Chance sich finanziell selbst zu versorgen oder ihre Familien zu unterstützen. Als konkretes Beispiel wurde eine 28-jährige junge Frau genannt, die in dem Erwachsenenzentrum der „Pentru Voi“-Stiftung kleine Arbeiten verrichtet. Sie selbst würde gerne arbeiten, um ihre Eltern und ihre älteren Geschwister zu unterstützen. Was sie verlangt ist eine faire, gleichberechtigte Behandlung. Die Verfassung spricht ihr und anderen, die in der gleichen Lage sind, Recht zu. Auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen würde ihr Recht sprechen. Was dazwischen steht ist nur ein kleiner Artikel im Arbeitsgesetzbuch des Landes, der aber für diese Menschen die Welt ausmacht.