Gemütliches Fußwerk, lockere Hose, legere, blaue Bluse und kleine, rote Ohrringe: So sieht Schauspielerin Isolde Cobeţ aus, wenn sie als Workshopleiterin beim Jugendtheaterfestival in Temeswar/Timişoara vor die Teilnehmer tritt. Sie hat stets ein Lächeln im Gesicht, wenn sie den Schülerinnen und Schülern erklärt, was denn bei dem einen oder anderen Monolog zu beachten sei. In Dreier- und Vierergruppen setzen sich die Workshopteilnehmer zusammen und versuchen, die Texte, die sie bekommen haben, zu interpretieren. Isolde Cobeţ macht selbst in einer Gruppe mit, dabei fallen ab und zu auch russische Sätze. „Da ich Russisch spreche, versuche ich, den Schülern aus der Ukraine die Wörter, die sie nicht verstehen, auf Russisch zu erklären“, sagt die Workshopleiterin.
Mit zwei anderen Schülerinnen aus Bukarest, die wiederum kein Deutsch sprechen, unterhält sich Isolde Cobeţ auf Rumänisch. Für sie hat sie extra eine Szenette in rumänischer Sprache mitgebracht. Sonst kann man beim 14. Internationalen Deutschsprachigen Jugendtheaterfestival auch noch Serbisch hören. Multi-kulti pur.
Von den Profis lernen
„Ich wollte, dass die Schüler und Studenten erfahren, wie sie Schritt für Schritt an einen Text herangehen müssen, warum man einen Text nicht einfach nur liest, sondern dabei auch gewisse Gefühle zum Ausdruck bringt“, sagt die Schauspielerin. Seit 14 Jahren ist Isolde Cobeţ das Herz des Internationalen Deutschsprachigen Jugendtheaterfestivals. Ihre Motivation kann sie mit wenigen Worten und vielen Emotionen beschreiben: „Es gibt keine größere Freunde, als wenn ich auf der Bühne stehe mit Leuten, die ich kenne, seit sie in der fünften Klasse waren und bei der NiL-Theatergruppe mitmachten“. Die Mitglieder der NiL-Theatergruppe, alles Schülerinnen und Schüler des deutschen Nikolaus-Lenau-Lyzeums, tragen auch in diesem Jahr zum guten Gelingen des Festivals bei, das vom Deutschen Staatstheater Temeswar und der Lenau-Schule veranstaltet wird.
Helle Stimmen ertönen aus einem Saal im ersten Stock des Lenau-Lyzeums, ein Klavier begleitet sie: „Wenn ich mir was wünschen dürfte, käme ich in Verlegenheit..“ Der deutsche Musiker Boris Steinberg aus Berlin steht vor dem kleinen Chor und dirigiert, am Klavier sitzt Valentina Peetz. „Wow, sehr gute Energie!“ lobt Steinberg zum Schluss der kurzen Darbietung und gibt jedem Mädchen ein High-Five. „Ich würde mir wünschen, dass die Kinder ein Gefühl für Chanson bekommen. Chanson ist eine Musikrichtung, die in dieser Zeit fast tot ist“, sagt Boris Steinberg bei seinem ersten Besuch in Rumänien. „Alle hören nur noch Lady Gaga und Rap-Musik“, fügt der Workshopleiter hinzu. Der charismatische Musiker hat mit seiner Gruppe an der Interpretation einiger Chansons gearbeitet. „Es gefällt mir sehr, es macht viel Spaß, denn es ist eine fröhliche Atmosphäre“, sagt Luana, die in der Theatergruppe Alpha Bukarest aktiv ist und einen kurzen Solo-Teil im Chanson „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ interpretieren muss. Luana ist bereits zum dritten Mal beim Jugendtheaterfestival in Temeswar dabei, allerdings gab es erst in diesem Jahr einen Chanson-Workshop, in den sich die Schülerin sofort einschrieb. Musik ist praktisch ein Teil von ihr. Die Jugendliche besucht in Bukarest die Musikschule „Music Experience“ von Crina Mardare.
Zehn unterschiedliche Workshops stehen in diesem Jahr auf dem Programm. Zu den Workshopleitern gehören die Schauspieler des Deutschen Staatstheaters Temeswar Isolde Cobeţ, die Schwestern Olga und Silvia Török, Radu Vulpe, Dana Borteanu, Georg Peetz und der Gastschauspieler Konstantin Keidel. Die rumänische Künstlerin Veronica Solomon ist ebenfalls dabei, aber auch ausländische Workshopleiter wie Boris Steinberg und Simon Schlingplässer konnten für das Theaterfestival gewonnen werden. Zu den gewohnten Gästen des Jugendtheaterfestivals zählt Ionu] Chiriac, der seine Leidenschaft fürs Theater bei der NiL-Theatergruppe entdeckt hat und zur Zeit als Schauspieler in Berlin tätig ist. „Ich habe gelernt, dass man immer untersuchen muss, welchen Charakter der Darsteller hat und was er fühlt. Nachdem wir den Text gründlich durchgelesen haben, versuchen wir, den Charakter darzustellen“, sagt Diana aus Tschernowitz/Cernăuţi in der Ukraine, die zum ersten Mal beim Jugendtheaterfestival mitmacht. „Zu Hause machen wir selten solche Workshops, deswegen genieße ich jede Minute hier“, sagt die Schülerin.
Zum ersten Mal auf einer „echten“ Theaterbühne
Das, was die Schülerinnen und Schüler bei den Workshops mitbekommen, lässt sich am Nachmittag auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters Temeswar sehen. Nachmittags führen die aus Klausenburg/Cluj-Napoca, Kronstadt/Braşov, Bukarest, Jassy/Iaşi, Tschernowitz und Nis angereisten Schülertheatergruppen ihre einstudierten Stücke auf – für viele ist es ihr erster Auftritt auf einer „echten“ Theaterbühne. Drei NiL-Theatergruppen – NiL Junior, NiL und After NiL – sind ebenfalls dabei. „Isolde ist nicht nur für mich, sondern für alle Mitglieder der NiL-Theatergruppe eine zweite Mutter geworden. Durch sie habe ich herausgefunden, was ich beruflich machen möchte“, sagt die Absolventin der Nikolaus-Lenau-Schule Oana Vidoni, die zur Zeit Schauspielkunst an der West-Universität in Temeswar studiert. Auf der Bühne ist Oana Vidoni als Nora zu sehen, in Henrik Ibsens gleichnamigem Werk – tosenden Applaus seitens des vollen Saals gibt es am Ende der Aufführung, denn die Mitglieder der After-NiL-Theatergruppe treten professionell auf. Die meisten von ihnen widmen sich seit Jahren dem Schauspiel.
Das Publikum des 14. Internationalen Deutschsprachigen Jugendtheaterfestivals bilden großteils die Festivalteilnehmer, aber auch Angehörige der angehenden Schauspieler und Lehrer sitzen im Saal. Extra aus Deutschland angereist ist Dr. Karl-Ernst Friederich, der ehemalige Leiter der deutschen Spezialabteilung an der Nikolaus-Lenau-Schule in Temeswar. „Früher waren regelmäßig Ungarn und Kroaten dabei“, erinnert sich Karl-Ernst Friederich, der in den Anfängen des Festivals in die Organisation involviert war. „Wichtig ist, dass die jungen Leute auf der Bühne stehen und aus sich herausgehen. Als deutscher Muttersprachler muss ich aber sagen, dass ich ab und zu Verständnisschwierigkeiten habe“, sagt Dr. Friederich, der die internationale Atmosphäre des Jugendtheaterfestivals besonders hoch schätzt. Dass das Deutsch, dass auf der Bühne gesprochen wird, nicht immer so leicht verständlich ist, liegt wohl daran, dass die Teilnehmer unterschiedliche Sprachkenntnisse haben. Die wenigsten sprechen Deutsch als Muttersprache.
Zum Schluss gibt es dennoch Beifall: Denn im Saal sitzen gute Freunde. Freunde, die nach Ausklang des Internationalen Deutschsprachigen Jugendtheaterfestivals den Kontakt zueinander pflegen werden. Und auf ein Wiedersehen im kommenden Jahr hoffen, wenn das Festival sein 15. Jubiläum begeht.