Im Jahr 2021 wird Temeswar Kulturhauptstadt Europas sein. Thomas Wagner ist ein deutscher Journalist, der seit 1994 regelmäßig nach Rumänien kommt. Damals hatte er das Thema „Fünf Jahre nach der Wende” behandelt. Er hat mehrere Städte besucht, die den Titel einer Kulturhauptstadt Europas getragen haben. Seit er in Temeswar eine Wohnung hat, ist die westrumänische Großstadt so etwas wie seine zweite Heimat geworden. Alexia Bagiu führte mit dem Journalisten ein Gespräch.
Im Jahr 2021 wird Temeswar Kulturhauptstadt Europas sein. Welches Potenzial hat die die Stadt?
Temeswar hat für das Projekt „Europäische Kulturhauptstadt“ ein großes Potenzial und das aus zwei Gründen: Einmal kann die Stadt auf eine seit Jahrhunderten währende multikulturelle Geschichte zurückblicken. Hier lebten Deutsche, Serben, Rumänen, Ungarn und andere Ethnien friedlich zusammen und dieses friedliche Miteinander funktioniert auch heute noch. Das ist vorbildhaft für viele andere Regionen Europas. Und zum anderen bewundere ich das reiche Kulturleben in der Stadt: Deutsches und Ungarisches Staatstheater, die Oper, dann aber auch tolle Rockkonzerte im „Bunker“, Arts Performances unter freiem Himmel, das jährliche Jazzfestival und die Open-Air-Konzerte vor der Oper, dazu viel Kleinkunst – das ist aus meiner Sicht eine tolle Basis für das Projekt „Europäische Kulturhauptstadt“.
Welches Potenzial sehen Sie speziell aus Sicht der deutschen Minderheit?
Die deutsche Minderheit sollte sich vielleicht ein wenig stärker in das Projekt einbringen, als sie das derzeit tut. Es gäbe ja einiges, was sie einbringen könnte: Das Deutsche Staatstheater beispielsweise, aber auch das Deutsche Kulturzentrum. Vor allem aber sollten die Vertreter der deutschen Minderheit auch ihre Kontakte nach Deutschland spielen lassen, um von dort im Europäischen Kulturhauptstadt-Jahr Künstler und Gruppen nach Temeswar zu bringen.
Welche Chancen bringt dieser Titel für die Jugendlichen in der Stadt mit sich?
Für die Jugendlichen bringt das Kulturhauptstadtjahr nur dann Chancen, wenn man ihnen Gelegenheit gibt, sich auch aktiv einzubringen. Das heißt: Auch junge Nachwuchskünstler brauchen Formen und Darstellungsmöglichkeiten, um auftreten zu können. Und sie müssen dafür auch finanzielle Unterstützung erhalten Das heißt: Es müsste nach meiner Meinung einen Fördertopf geben, der vor allem Projekte jugendlicher Künstler unterstützt. Doch auch für diejenigen Jugendlichen, die sich nicht selbst einbringen wollen oder können, kann das Projekt „Europäische Kulturhauptstadt“ ein besonderes Erlebnis werden: So viele unterschiedliche Kunst- und Kulturprojekte innerhalb eines einzigen Jahres werden so schnell nicht mehr angeboten. Allerdings sind, um Jugendliche an solche Projekte heranzuführen, auch pädagogische Begleitprojekte erforderlich: Zum Beispiel gut gemachte, ansprechende Einführungen im Umgang mit darstellender Kunst und Musik. Schließlich sollte es aber auch Angebote geben, die Jugendlichen einfach nur Spaß machen: Warum nicht auch ein Rock- und Pop-Festival integrieren?
Werden Sie dabei sein? Gibt es bereits ein Projekt an dem Sie teilnehmen möchten oder haben Sie Kontakte zu Personen oder Organisationen, die spezielle Projekte planen?
Dabei sein werde ich sicherlich. Ein spezielles Projekt, bei dem ich mitmachen werde, sehe ich allerdings erst mal nicht. Ich bin Journalist und muss über die Dinge berichten. Das schließt eigentlich ein aktives Mitmachen aus. Aber vielleicht ist ja auch ein länderübergreifendes Medienprojekt geplant. Wir könnten auch mal über eine Sendung während des Kulturhauptstadtjahres nachdenken. Das wäre ein Ansatz.
Viele Jugendliche verlassen Temeswar nach der Schule. Muss die Stadt Ihrer Meinung nach mehr für Jugendliche machen?
Die Stadt hat auf den „Brain Drop“, also auf den Wegzug jugendlicher Menschen, nur beschränkten Einfluss. Denn viele Jugendliche gehen weg, weil sie anderswo bessere Job- oder Ausbildungsmöglichkeiten sehen. Ich finde das auch gar nicht so schlimm, weil es eigentlich gut tut, nach der Schule einmal etwas anderes zu sehen. Im Gegenzug ist Temeswar ja auch attraktiv für viele jungen Menschen, die aus allen Landesteilen beispielsweise zum Studieren hierherkommen. Selbst aus Deutschland entscheiden sich immer mehr junge Leute, ein Praktikum oder ein paar Auslandssemester in Temeswar zu machen. Das spricht für die Qualität der Hochschulen – (lacht) und der vielen Kneipen, die es mittlerweile gibt.
Wo muss sich Temeswar insgesamt noch verbessern und was davon könnte im Zuge des Kulturhauptstadtjahres geschehen?
Wenn die Stadt etwas tun muss, dann sind es zwei Dinge: Die Verkehrsinfrastruktur ist grausam. Die Staus auf den Straßen werden immer länger. Hier muss dringend etwas verbessert werden. Und es fehlt für junge Menschen, die sich nicht gleich eine Wohnung oder ein Haus kaufen können, an bezahlbaren Mietwohnungen, die einigermaßen attraktiv eingerichtet sind. Hier wäre aus meiner Sicht dringender Handlungsbedarf geboten.
Waren Sie in anderen Städten, als diese Kulturhauptstadt waren und wenn ja, haben Sie auf Basis dieser Empfehlungen Tipps für Temeswar?
Ich war im ungarischen Pécs, kurz bevor die Stadt offiziell Kulturhauptstadt wurde. Im Vergleich zu Temeswar fand ich dort die Altstadt ein wenig sauberer und viele Dinge geordneter. In Temeswar herrscht eben häufig noch das Chaos. Aber Vorsicht: Ein bisschen Chaos ist ja gar nicht so schlecht. Es fördert die Kreativität. Aber eben nur...ein bisschen Chaos!
Und zu Hermannstadt: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den Jugendlichen aus Hermannstadt und denen aus Temeswar?
Da muss ich passen. So häufig bin ich nicht in Hermannstadt. So große Unterschiede sehe ich da nicht: Sowohl in Hermannstadt als auch in Temeswar trinkt man gerne mal ein Bier, geht gerne in Kneipen mit Musik -und feiert gerne. Und das ist gut so.