Die Welt um uns ändert sich und wir tragen dazu bei. Entscheidungen, die heute getroffen werden, prägen das Stadtbild für die kommenden Jahrzehnte. Egal, ob sie nun gut oder schlecht waren, wir müssen trotzdem damit leben. Gerade deswegen ist umso mehr die erste Entscheidung wichtig, denn die Identität der Stadt soll stets beibehalten werden. Doch sind wir bereit, die Änderungen zu akzeptieren? Wie wird unsere zukünftige Stadt aussehen? Verliert sie doch nicht langsam ihre Identität? Dies sind nur einige der Gedanken und Befürchtungen vieler Stadtbewohner. Dabei äußern sich dazu immer wieder viele dieser Bewohner, unter anderen auch Fachleute, Architekten und Landschaftsgestalter, die versuchen, die Fehler in der Neugestaltung der Stadt zu präsentieren, ein Zeichen zu setzen und, wenn möglich, die ungünstigen Entscheidungen zu verhindern.
Dass es ein langer Kampf mit den persönlichen Meinungen des Temeswarer Bürgermeisters und der Entscheidungskräfte in Sachen Innenstadtsanierung ist, konnten viele dieser Menschen auf eigener Haut erleben. „Wir wollen aber nicht aufgeben. Wir sind es unserer Stadt und unseren Kindern schuldig,“ sagt Victor Popovici. Der Temeswarer Architekt ist Mitglied des rumänischen Architektenordens (OAR) und gleichzeitig auch Partner in einem Temeswarer Architekturunternehmen. Als Fachmann und als Mensch, der direkt in der Temeswarer Innenstadt sein Büro hat, hatte Victor Popovici zusammen mit seiner Kollegin Roxana Pătrulescu die Sanierung der Temeswarer Altstadt vor den Augen. „Wir konnten alle Etappen der Sanierung mitbekommen, dann bemerkten wir, wie viele Fehler gemacht werden und dass das Bürgermeisteramt gar nicht transparent mit dem Sanierungsprojekt umgeht“, sagt Roxana Pătrulescu. Dann mussten sich die Architekten immer wieder die Frage anhören: Wie wird alles aussehen? Was bleibt? Was ändert sich? „Die Bevölkerung der Stadt hatte einfach keine Ahnung vom Projekt und wurde auch nicht gefragt, ob sie das will. Man hat alle einfach vor die vollendete Tatsache gestellt. Dabei hat man den Leuten das Projekt nicht richtig vorgestellt, damit sie auch erfahren, wie der Ablauf der Arbeiten sein wird und vor allem, wie das Endresultat sein wird“, erzählt Victor Popovici. „Dabei sind die Stadtbewohner die eigentlichen Nutznießer des Projektes. Sie werden über die neue Stadtgestaltung verfügen, so dass sie auch befragt werden sollten, was sie sich wünschen. Wünschen sie sich Fußgängerzonen? Mehr oder weniger Grünanlagen? Man hat aber den Eindruck, dass die Stadträte uns alle ignorieren und nur daran denken, EU-Fonds auszugeben und nicht unseren Komfortgrad zu erhöhen“, fährt der Temewarer Architekt Victor Popovici energisch fort.
Projekt nicht eingehalten
Viele Bürger konnten über die Änderungen am Stadtbild einfach im Laufe der Sanierungsarbeiten erfahren. Was im Projekt vorgesehen war und wie letztendlich die Arbeiten durchgeführt wurden, konnten sie erst nach langem Disput der Fachleute mit dem Temeswarer Bürgermeister erfahren. „Das Projekt hat sich fast über Nacht geändert. Eigentlich nicht das Projekt, sondern das Endbild, und hier rede ich über den Freiheitsplatz, der nun komplett anders als im ursprünglichen Projekt aussieht“, sagt Architekt Popovici.
Das Projekt zur Neugestaltung des ehemaligen Paradeplatzes in Temeswar sieht vor, dass am Ende der Einrichtung auf dem Platz rund 70 Bäume sein sollten. Von den bereits existierenden sollten einige alte und beschädigte Bäume gefällt werden, etwa 40 sollten bleiben, weitere 30 sollten neu gepflanzt werden. Heute sind auf dem Platz bloß drei Bäume erhalten geblieben. Einer nach dem anderen wurden die Bäume (darunter Tannen, Fichten und Akazien) gefällt. Architekten und Landschaftsgestalter, aber auch einfache Bürger protestierten damals dagegen, doch erst, nachdem die Bäume abgesägt waren, reagierte auch die Regionale Entwicklungsagentur (ADR Vest) und drohte dem Bürgermeisteramt mit der Tatsache, die Finanzierung rückerstatten zu müssen, wenn das Projekt nicht eingehalten wird. Nun sollen etwa 30 junge Bäume auf dem Platz gepflanzt werden. Wann das jedoch passieren soll, bleibt abzuwarten.
Doch der Platz wird auch dann nicht so wie im Projekt aussehen. „Denn die Einrichtung des Platzes wurde vom Architekten anders gedacht: Die großen Ringe grau-roten Pflastersteinen sollten durch Mobiliar und Lichtmasten samt erwachsene Bäume eine bestimmte Form wiedergeben. Der Platz sieht nun fast komisch aus – die konzentrischen Kreisen mit roten Pflastern sieht aus Vogelperspektive einem riesigen Ziel oder einem Heliport gleichend aus“, sagt der Temeswarer Architekt.
Bäume stehen im Weg
Viele Hürden setzte auch der Temeswarer Bürgermeister Nicolae Robu, der mit den Temeswarer Fachleuten nicht zusammenarbeiten wollte und die Meinung der Öffentlichkeit einfach ignorierte. „Viele berühmte Plätze rund um die Welt haben keine Bäume. Wir können den Platz nicht in einen Park umwandeln. Solche gibt es viele in der Stadt. Der Freiheitsplatz soll dazu dienen, zahlreiche Konzerte und Kulturereignisse zu veranstalten – die Bäume würden einfach im Weg stehen. Dabei ist der Platz nicht für Menschen, die ihre Zeitung im Schatten eines Baumes lesen wollen, bestimmt“, sagte der Bürgermeister mehrmals auf Pressekonferenzen, er schrieb es aber auch auf seiner persönlichen Facebookseite. „Wie berühmte Plätze aussehen? Ohne Grünflächen, aber voller Vitalität und Menschen – bald wird auch der Temeswarer Freiheitsplatz so aussehen“, schrieb Bürgermeister Robu auf seinem sozialen Netzwerk.
Die Architekten und Landschaftsgestalter fanden einen Lösung: sie veröffentlichten den Sanierungsplan in der Fachzeitschrift „Arhitectura“, aber auch im Internet, „für mehr Durchsichtigkeit“, sagt auch der Temeswarer Landschaftsgestalter Andrei Condoroş, der auch Vorsitzender des Rumänischen Vereins für Landschaftsgestalter Filiale West (ASOP) ist. Die Filiale ist in Westrumänien für die Verwaltungskreisen Temesch/Timiş, Arad, Hunedoara und Karasch-Severin zuständig. Der Verein hat in den letzten drei Jahren auf lokaler Ebene zahlreiche Meinungsäußerungen in Form von offenen Briefen erstellt und der Stadtverwaltung zugeschickt. „Die Stadtverwaltung hat viele spontane, gedankenlose und kostspielige Aktionen, die vor allem einen großen negativen Einfluss auf die auf die Qualität der Umwelt und dem öffentlichen Raum ergreiffen. Es gibt zahlreiche Beispiele in dieser Hinsicht“, sagt der Landeschaftsingenieur Andrei Condoroş. Die Neugestaltung des Lahovary-Platzes vor einigen Jahren war auch Diskussionsthema unter Fachleuten und Stadtverwaltung. Der Verein der Landschaftsgestalter verklagte damals die massiven Baumfällungen in der Gegend.
„Themen wie Landschaft, Architektur, Städtebau sind sehr komplex und haben ihre Ursachen und Auswirkungen in den vor vielen Jahren stattgefundenen Aktionen. Leider werden die gleichen und sogar noch schlimmere Strategiefehler gemacht und das ist mit der heutigen großzügigen Fachliteratur inakzeptabel“, schließt Andrei Condoroş.