Theater, anziehend wie ein Magnet

Ein Gespräch mit Ada Lupu Hausvater, Prinzipalin des Temeswarer Nationaltheaters

Ada Lupu Hausvater übernahm vor neun Jahren die Leitung des Rumänischen Nationaltheaters Temeswar.

Foto: Constantin Duma

Seit fast zehn Jahren ist Ada Lupu Hausvater Intendantin des Nationaltheaters Temeswar. Sie änderte die Sichtweise des Temeswarer Publikums aufs Theater und glaubt nun, dass das Publikum  Anerkennung zeigt, indem zahlreiche Produktionen vor ausverkauftem Haus aufgeführt werden. Karten gibt es in bloß einigen Tagen keine mehr und gebucht werden Shows schon einen Monat im Voraus. Ada Lupu Hausvater sieht das als eine Manifestation der Temeswarer Vorliebe zur Kultur, aber auch als ein wesentliches Argument für die Stadt, als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2021 auserwählt zu werden. Mehr dazu lesen Sie im folgenden Gespräch, das von der BZ-Redakteuerin Andreea Oance geführt wurde.

 

Die Temeswarer scheinen in jüngster Zeit eine besondere Vorliebe zur Kultur und zum Theater zu zeigen. Das mag auch ein Grund sein, weshalb viele der Produktionen des Temeswarer Rumänischen Nationaltheaters vor ausverkauftem Saal gespielt werden. Was bringt das Nationaltheater so Besonderes, dass es wie ein Magnet aufs Publikum wirkt?

Wie jede zwischenmenschliche Beziehung, ist oder soll die erste Bedingung, die Ehrlichkeit, da sein. Ich bin überzeugt, dass unser Publikum das auch fühlt. Das Nationaltheater zeigt immer wieder seine Offenheit und führt mittels seiner Programme und seines diversifizierten Theaterangebots ein faires Gespräch mit seinen Zuschauern. Und dieses ehrliche und offene Gespräch wird nicht nur mit dem „stabilen“ Theaterpublikum, dem Stammpublikum, sondern auch mit dem gelegentlichen Zuschauer geführt.

Das beste (und das neueste) Beispiel dieser Beziehung, das auch die Entwicklungsrichtung des Nationaltheaters andeutet, ist der Beginn der aktuellen Spielzeit, die bereits drei neue, als Struktur und als Thema komplett unterschiedliche Shows, vorgeschlagen hat. Auch deren Einbettung in die Geschichte ist verschieden, obwohl alle Facetten des Alltags widerspiegeln. Ob es sich um einen Text handelt, der 2014 geschrieben wurde, wie „Die Uhr tickt. Um 60 Minuten älter“, von Peca Stefan, um Dostojewskis „Weiße Nächte“ oder um Astor Piazzolla mit einem musikalischen Werk, das Mitte des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde, in diesem Fall um „Maria de Buenos Aires“ – alle Produktionen des Temeswarer Nationaltheaters basieren auf wesentlichen Texten für den modernen Mensch, Texte von wichtigen sozialen, emotionalen, affektiven, rationalen Einflüssen und aussagen. Dies ist nur ein Beispiel. Das Angebot - und, natürlich, der Dialog, von dem ich gesprochen habe - ist eine Konstante. Wir haben neun Jahre hinter uns, in denen wir diese Beziehung aufgebaut und verstärkt haben, aber auch eine sehr gute Truppe von Schauspielern aufgebaut haben. Diese Schauspieler hat das Publikum in all diesen Jahren in ihrer Meisterung der Rollenkomplexität kennengelernt. Nun scheint mir das Publikum seine Anerkennung und Bewunderung zurückzugeben.

 

Sie sind seit 2005 Intendantin des Temeswarer Nationaltheaters. Worin sehen Sie die wichtigsten Veränderungen, die bezüglich der Neugestaltung des Theaters unter Ihrer Leitung vorgekommen wurden? Welche Veränderung macht sie besonders stolz?

Es stimmt, dass vor neun Jahren noch unheimlich viele Dinge geändert werden mussten und ich bin froh, dass ich es geschafft habe, sie alle zu vollenden. Die erste und wichtigste Änderung ist die Rückkehr des Publikums in die Theatersäle – heute gibt es drei Theatersäle des Nationaltheaters. Dazu zähle ich auch die Eröffnung von zwei neuen Sälen, ein großer Sieg nicht nur für Temeswar, sondern auch für die rumänische Kultur der letzten 25 Jahre. Darüber hinaus widerspiegelt sich auch das wichtige Bedürfnis des Publikums, Theateraufführungen zu sehen, indem die Karten vieler Aufführungen, gleich nachdem sie zum Verkauf angeboten werden, schon ausverkauft sind. Ein weiterer wichtiger Schritt für unser Theater ist der Bau und die Inbetriebnahme der Werkstätte „Fabrik für Bühnenbilder“, die, abseits der nationalen und überregionalen Premiere, auch ein notwendiger Schritt fürs Theater war. Eine weitere wichtige Errungenschaft, ohne die wir nichts geschafft hätten, ist, dass wir in der Zwischenzeit ein sehr gutes und starkes Team (Angestellte und Mitarbeiter) aufgebaut haben. Zusammen konnten wir all diese Projekte durchführen. Schließlich muss ich voll Überzeugung unterstreichen, dass das Nationaltheater Temeswar in gleichem Maße ein kultureller und ein bürgerlicher Meilenstein geworden ist: Das Nationaltheater war in der Lage, alle Energien um es herum zusammenwachsen zu lassen, zu bündeln, sodass vor drei Jahren der Verein Temeswar Europäische Kulturhauptstadt entstanden ist. Dieser Verein ist heute ein wichtiger Bezugspunkt für die Bemühungen um die Bewerbung der Stadt um diesen Titel.

 

Sie sagten vor Kurzem in einem anderen Interview, dass Temeswar alle Kriterien, um Europäische Kulturhauptstadt zu werden, erfüllt. Was könnte jedoch die Stadt in diesem Rennen disqualifizieren? Welche sind die Nachteile von Temeswar? 

Ich sage es nachdrücklich, dass eine konstruktive Vision entscheidend für den Erfolg eines jeden Projekts ist, egal, wie klein oder groß es auch sein mag. Daher nehme ich die Idee wieder auf, dass es nichts Wichtigeres gibt, als die Stärken zu bewerten und sie zu entwickeln. Vor Kurzem fand auch eine öffentliche Debatte zur Kulturstrategie der Stadt Temeswar für die Zeitspanne 2014-2024 statt. Diese analysiert im Detail die Stärken und Chancen der Stadt in dieser Hinsicht, aber auch die Schwächen und Risiken, mit denen die Stadt (nicht nur) von externen Faktoren bedroht wird. Sicherlich wird diese SWOT-Analyse, verbunden mit den Kriterien der Kandidatur, die Möglichkeiten korrigieren, und alle vorgestellten Daten werden bewertet, sodass Temeswar die besten Chancen hat, den Titel zu erhalten.

 

Seitdem die Stadt diesen Titel anstrebt, wurden auch die Kulturevents immer umfangreicher und zahlreicher. Einige Veranstaltungen überlappen sich sogar. Welche sind aber die Ereignisse, die für die Erhaltung des Titels einer Europäischen Kulturhauptstadt entscheidend zählen könnten?

Es ist sehr wichtig, die Kultur und deren unterschiedliche Ausdrucksformen zu verstehen. Ich denke, man muss großen Wert auf die Beziehung Kultur – Stadtentwicklung setzen und das im Sinne der Lebensweise der Stadtbewohner: Theater-, Musik-, Filmfestivals usw., in all ihrer Vielfalt, und natürlich auch Ausstellungen, Konzerte usw. Alle Künste zählen - sowohl darstellende, als auch bildende Kunst, die Nutzung von offenen städtischen Flächen als Räume für Kunst, Museen, Galerien, Parks, Straßen. Vor allem Straßen sollen als Lebensadern für Kunstangelegenheiten eingesetzt werden. Die Verbreitungsrichtung der Kultur, von der Innenstadt hin in die jeweiligen Stadtviertel ist sehr wichtig, aber auch die Gegenrichtung. Wenn wir die Kunst als Element der Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts verstehen und leben, ist die Wette schon gewonnen. Und ich kann mit dieser Aussage einfach mal behaupten: Das ist das, was das Nationaltheater seit neun Jahren macht.