Das Josef-Kunz-Haus wurde 1892, in weniger als acht Monaten im eklektisch-klassischen Stil gebaut. Das Haus wurde später von Béla Engels gekauft. Er selber wohnte in einer Wohnung linker Hand des Eingangs und vermietete die anderen Wohnungen. Frau Engels lebte hier bis in den 90er Jahren. Annie, die kleinste Tochter der Familie Kincs, die ein erfolgreiches Bekleidungsgeschäft im Stadtviertel hatte, erinnert sich heute noch an das Leben in den geräumigen Dreizimmerwohnungen mit deren Wandverzierungen und den in lebhaften Farben gestrichenen Wänden.
Als einer der bedeutendsten Zeitzeugen von Alt-Temeswar steht am Boulevard des 3. August 1919 auch das Palais der Neptun-Bäder. Géza Kornis war einer der hier im Haus lebenden Temeswarer. Er wurde 1917 in Budapest, in einer reichen Familie geboren. Seine Familie beschäftigte sich mit dem Handel von Lackfarben und Chemikalien sowie Baumaterialien. Schon seit 1919 hatte Géza Kornis im Neptun-Palais gewohnt, in einer Wohnung im dritten Stock. Seine Mutter kam aus Prag und hatte Kontakte mit dem Prager Literaturkreis, in dem Franz Kafka, Franz Werfel und Max Brod Mitglieder waren.
„Das Haus mit den drei Mädchen“ – das Haus des Architekten Gheorghe (Gyuri) Bleyer – an der Ecke des C. D. Loga- mit dem Michelangelo-Boulevard wurde im Bauhaus-Stil gebaut. Die Villa wurde 1947 für die zwei Verwandtenfamilien Schön und Werner gebaut. Auf dem Frontspieß des Hauses sind drei Frauen gemeißelt worden – daher der Name der Villa. Das Gebäude war in den 50er Jahren von den Kommunisten sehr beliebt – u.a. der Präsident Gheorghe Gheorghiu-Dej wohnte hier bei seinen Besuchen in Temeswar. Seit einigen Monaten ist das Haus Eigentum des Immobilienklans Cîrpaci. Auch die ehemalige Rosen-Allee neben dem Temeswarer Rosenpark hat in den letzten Jahren neue Bewohner bekommen – die Häuser und Villen hier gehören nun fast vollständig Vertretern der Roma-Ethnie. „Man kann leider heutzutage nicht mehr von einer Behausung reden. Die Eigentümer dieser Häuser kommen allein im Sommer für wenige Wochen nach Temeswar oder zu den Winterfeiertagen und wohnen hier, ansonsten stehen diese Gebäude leer“, sagt Gabriel Kohn. Der Temeswarer Germanist bot vor Kurzem eine Zeitreise innerhalb des Pilotprojekts „Tur de arhitectură“, das vom Temescher Architektenorden anlässlich der ersten Biennale für Architektur (BETA 2016) organisiert wird.
Temeswar ist eine Stadt, die ein reiches, aber zugleich vernachlässigtes Architekturerbe hat. „Eigentümer und Bewohner – Stammbaum“ hieß die Tour durch das letzte Jahrhundert des Temeswarer Bürgertums, die Anfang November gehalten wurde. Die mittlere Klasse sowie die Elite der Stadt am Ende des 19. und 20. Jahrhunderts, jene in der Zwischenkriegszeit, aus der Zeit des rumänischen Kommunismus und die einflussreichen Immobilienklans unserer Zeit – die Architekturführung bot einen Einblick in die Art und Weise, wie die Temeswarer früher in der Stadt gewohnt und gelebt haben. Die Reise ging von der Epoche der Klassik, über die Eklektik, Secession bis hin zum Modernismus, und enthüllte Geschichten einflussreicher Temeswarer sowie gewöhnlicher Bürger und stellte so die meistens herabgekommenen Fassaden wichtiger Bauten vor. Die Geschichten umfassten auch Aspekte der damaligen Zeit: vom friedlichen gemeinsamen Leben der Bürger bis hin zur Enterbung und zum Rückgang. „Unsere Zeitreise begann im 19. Jahrhundert in der Fabrikstadt, drang am Loga-Boulevard in das 20. Jahrhundert ein und endete im Jahr 2016 mit der aktuellen Lage des Mühle-Hauses. Doch dann konnten wir erneut ins 19. Jahrhundert gelangen, indem wir über die Geschichte des bemerkenswerten Hauses sprachen“, fasste Gabriel Kohn die thematische Architekturführung zusammen.
Unwissend gehen Passanten an das Haus einer weiteren wichtigen Gestalt für die Stadt vorbei – das Haus und das Büro des ehemaligen Stadtarchitekten Lászlo Székely am Mihai-Viteazu-Boulevard. Székely hat, unter anderem, Gebäude wie die öffentlichen Neptun-Bäder, die Piaristenschule, das Brück-, Emmer-, Dauerbach-, Neuhausz-, Weiss- und Széchényi-Palais, das heutige Timi{oara-Hotel oder die ehemalige Strumpffabrik bauen lassen. „Es freut mich sehr, dass wir letztendlich auf die Karte Temeswars auch das Haus und das Büro des ehemaligen Stadtarchitekten Lászlo Székely, eine der wichtigsten Gestalten für die Stadt, setzen konnten“, schloss Gabriel Kohn.
Die Architektur und das bebaute Temeswar, aber auch die Geschichte der Stadtpersönlichkeiten soll der Öffentlichkeit detailreich bekannt gemacht werden. Diese Idee steht hinter dem Pilotprojekt. Die Führungen innerhalb der Temeswarer Architekturbiennale sind von einer Gruppe junger Architekten ins Leben gerufen worden. Nach einer langwierigen und umfangreichen Recherche sind vier thematische Führungen entstanden, die auf der Webseite www.turdearhitectura.ro detailliert beschrieben werden. Das große Interesse seitens der Temeswarer ermutigt die Organisatoren, diese Führungen auch im kommenden Jahr anzubieten und sogar neue ins Leben zu rufen.