Vom Ufer aus

Der diabolisch-gescheite Grieche, der 2012 in Rumänien immer noch gefeiert wird (werden sollte), der an seiner in Humor verkleideten streng-kritischen Rumän(i)enliebe gescheitert ist, führte von Berlin aus, seinem Rückzugsort für melacholisch-kluge Fernbeobachtungen, eine rege Korrespondenz mit den Zurückgebliebenen – die in Kürze (auszugsweise, aber in zuverlässlicher Auswahl von Dan C. Mihăilescu) bei Humanitas erscheinen soll. Aus dieser Korrespondenz ist einiges bekannt, vieles unbekannt, aber für Kenner, Schätzer und auch Hasser des Ätzkritikers häufig weiterempfehlens- und zitierenswert.

Wie klingt beispielsweise dieser briefliche Rat von 1906 aus dem fernen Berlin an einen angehenden Bukarester Stückeschreiber, von dem Caragiale zugetragen wird, dass er in die Politik einsteigen möchte: „Du bist jung und kräftig und rein: lass deine Zeitgenossen sich Schwimmmatchs im faulen Schlamm liefern, den man aktuelle rumänische Öffentlichkeit nennt (..) du bleib am Ufer.“

Dass Ion Luca Caragiale die rumänische Schule von damals (und das nach den Maßnahmen des heute noch hochgelobten Schulreformers und Ingenieurphilosophen Spiru Haret – 1851-1912) im selben Brief „desasterhaft“ nennt, eine „kriminelle Staatsinstitution“, in welcher die Jugend „herumirrt“, weil sie „systematisch von unserer desasterhaften Schule drin gehalten“ wird – das klingt auch noch 2012 frisch und bekannt... Aktuell und zeitlos, balkangebunden. Wie es sich für einen großen Schriftsteller und kritischen Beobachter geziemt.

Aber die „Schwimmmatchs im faulen Schlamm“ der heutigen Tage geben viel mehr preis als nur die urbyzantinischen politischen Kampfmethoden: in jedem Kampf muss es, wenigstens zeitweilig, Sieger und Besiegte geben, wobei das Kriegsglück (Politik ist Krieg) wetterwendisch und unzuverlässlich ist: Sieger verwandeln sich dauernd in Besiegte, und umgekehrt.

Es ist schon (fast) von öffentlicher Notorität, was die Posten im Justizsystem „kosten“ – in der von Spitzenpolitikern Westeuropas und der EU ach so gelobten Staatsanwaltschaft (einschließlich der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft...) oder im Gerichtswesen - in den Ämtern, die mit EU-Förderungen handeln, im parteieninternen Geschacher um hohe Regierungsämter - bis hinauf zu den Staatssekretären. Grundsätzlich geht es ab einer gewissen Verwaltungsebene allerdings nicht mehr um vorrangig persönliches Auf-die-Seite-Schaffen, sondern um die illegale Parteienfinanzierung (ein heißes Eisen in Wahljahren wie 2012) oder um „Gegenleistungen“ für diejenigen (Personen oder Firmen), die Parteienfinanzierung harken.

Caragiale spricht die Mechanismen des „Schwimmmatchs im faulen Schlamm“ Marke Bukarest Ende des 19. Jahrhunderts an (heute ist jede Ortschaft ein kleines Bukarest), aber wahrscheinlich überträfe die Ist-Dimension des faulenden rumänischen Schlamms, in welchen die Politik munter rumschwimmt, jedwelche Vorstellungskraft des 2012 Gefeierten.

Aus Caragiales Stückeschreiber ist nichts geworden. Auch kein Politiker.