Ein nicht problemloses Unterfangen, die Analyse der deutschen „Seele“. Das Wort klingt leicht, wiegt aber schwer. Einer verlockenden Herausforderung haben sich die deutschen Schriftsteller Thea Dorn und Richard Wagner gestellt, als sie sich auf die Suche nach der deutschen Identität begeben haben. Mit ihrem Buch „Die deutsche Seele“, wagten sie, der deutschen Identität nachzuspüren und eine kulturelle Inventur der besonderen Art zu bieten. Alphabetisch geht die Analyse vor, 65 Stichwörter sollen die deutsche Seelenlandschaft definieren, von Abendbrot über Arbeitswut, Heimat, Wiedergutmachung bis hin zur Zerrissenheit.
Zu den Termini gibt es gut recherchierte Essays, die das Buch zu einem Bestseller unter den Sachbüchern machten. Die bekannte Journalistin Rodica Binder präsentierte vor Kurzem das umfangreiche Werk vor dem Temeswarer Publikum. Das Event kam durch das Deutsche Kulturzentrum Temeswar/Timişoara zustande. Über das Buch, über das „typisch Deutsche“ und die deutsche Seele sprachen die BZ-Redakteure Ana Sălişte und Robert Tari mit Rodica Binder.
Sie haben vor Kurzem das Buch „Die deutsche Seele” von Thea Dorn und Richard Wagner in der Temeswarer Buchhandlung „Joc secund“ präsentiert. Dabei haben Sie auch die Reaktion der deutschen Medien zum Thema erläutert. In den deutschen Zeitungen erfreute sich das Buch einer positiven Kritik. In den deutschen Fernsehsendungen meinten Sie aber, Richard Wagner sei eher in den Schatten gestellt worden. Wie kam es dau?
Richard Wagner ist in Deutschland bekannt und hat sich da einen Namen gemacht, so wie andere deutsche Schriftsteller auch, die aus Rumänien ausgewandert sind, oder Autoren rumänischer Abstammung, die nach Deutschland gezogen sind. Was mich aber bei der deutschen Berichterstattung gestört hat, vor allem, was die Fernsehsendungen angeht, die ich mir angeschaut habe, ist die Tatsache, dass Richard Wagner manchmal ausgelassen oder nicht genug erwähnt wurde. Obwohl die Beiden alles gemeinsam gemacht haben, von Themen- und Fotoauswahl bis hin zum Schreiben und Verfassen des Buches. Da ist es gerecht, dass beide Autoren gleich mediatisiert werden, auch wenn einer vielleicht nicht die notwendige Stimmung oder Zeit für Fernsehauftritte hat. Bei ihren Fernsehauftritten hätte Thea Dorn die Rolle von Richard Wagner mehr unterstreichen müssen. Die Tatsache, dass es immerhin ein Duo war. Vielleicht ist dies aber eher ein unwichtiges Detail, weil die Leser letztendlich das Buch einfach lesen und sich über dessen Förderung in den Medien nicht viele Gedanken machen (sollten). Die Medienleute ticken ein bisschen anders und legen mehr Wert darauf. Die schriftlichen Medien haben aber das Werk positiv bewertet und es als ein Buch mit zwei Eltern vorgestellt.
Zwei Eltern in unterschiedlichem Alter.
Unterschiedliches Alter und - was noch interessanter ist - unterschiedlicher Herkunft. Beide sind Deutsche. Thea Dorn wurde in der Bundesrepublik geboren, ist dort aufgewachsen, hat also die Erfahrung des Westens. Richard Wagner stammt aus Rumänien und erwähnt immer wieder die ethnischen Komponenten. Denn dieses Buch ist vor allem die Wiederdefinierung einer Identität. Eine Identität, die manchmal verschwiegen werden musste. Teile dieser Identität waren ja zum Schweigen verurteilt, während des Nationalsozialismus oder im Kommunismus, wegen Stasi und DDR. Es sind Elemente, die diese Identität bedrückt und dazu beigetragen haben, dass einige ihrer Teile in den Hintergrund rücken. Beide Autoren erwähnen dies im Vorwort des Buches. Sie wollen eben die Kontinuität dieser Identität hervorheben, die Tatsache, dass die Werte der deutschen Kultur weiterhin existieren. Es geht um für Deutschland spezifische Werte, die gleichzeitig aber auch von universellen Valenzen geprägt sind, sonst wären sie für uns ja uninteressant. Wir entdecken dabei nicht die deutsche Komponente, sondern vor allem die menschliche.
Wie deutlich wird der Altersunterschied bei der Lektüre?
Thea Dorn zeigt etwas mehr Einbildungskraft, sie wirkt spielerischer. Ihre Texte sind an manchen Stellen unheimlich lang. Nehmen wir, zum Beispiel, das Kapitel über Musik. Es geht dabei um ein Essay im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist über 40 Seiten lang, wenn ich mich richtig erinnere, und beinhaltet auch dramatische Szenen. Dorn weist in ihrem Schreiben auch theatralische Züge auf, denn sie inszeniert manche Textfragmente. Man kann bei ihr Flexibilität und Schreibfreiheit nachweisen. Bei Richard Wagner geht es mehr um die politische Komponente, um eine feine Ironie. Er distanziert sich ein bisschen von allem. Und eben diese Distanzierung, diese Gelassenheit, die Distanz tut dem Text gut. Die Autoren ergänzen sich also sehr fein. Vor Beginn der Lektüre habe ich mir die Untertitel angeschaut und versucht, zu rätseln, wer was geschrieben hat. Ich freue mich, dass ich mit meinen Einschätzungen richtig lag.
Die Autoren setzen sich mit der Problematik der Identität auseinander. Richard Wagner wurde im Banat geboren. Inwiefern erwähnt er seine rumänische Abstammung?
Er sprich darüber im Kapitel über die „Heimat”. Da erläutert er die lokale Komponente, spricht über „Mutterland” und „Vaterland” und darüber, wie er als Kind und Jugendlicher Deutschland empfand. Dabei ist der Text mit einem symbolischen Foto bebildert, das Mädchen in schwäbischer Tracht und Richard Wagner selbst, am Akkordeon spielend, darstellt. Das Akkordeon ist sozusagen ein Symbol-Instrument für die schwäbische Gemeinschaft. Es sind eben diese individuellen und persönlichen Identitätselemente, sagen wir „Banater Elemente”, die Richard Wagner manchmal in seinen Texten zitiert. Durch seine intelektuelle Erfahrung, durch seine Weltempfindung ist er aber nun ein Europäer. Vor allem, weil er diese Weltoffenheit pflegt. Daher gelingen ihm interessante Definitionen dieser Identitätselemente.
Das Buch beginnt mit dem Kapitel „Abendbrot” und endet mit „Zerrissenheit”. Worauf kommt es an?
Einerseits ist es die alphabetische Reihenfolge, die dazu beigetragen hat, denn die Kapitel und Untertitel sind alphabetisch eingeordnet. Es war Zufall, dass „Zerrissenheit”, eben ein Wort mit „Z”, auch ein gutes Schlusswort war. Es gibt immer wieder diese Dualität, die für die Menschlichkeit spezifisch ist. Vielleicht wird diese Dualität in der deutschen Kultur und in der kollektiven sowie individuellen Mentalität deutlicher und bewusster. Diese Duplizität, die innere Zerrissenheit zwischen heilig und laisch, rückt immer mehr in den Vordergrund. Denn die Dualität kommt immer wieder vor: zwischen der universellen Offenheit und dem individuellen Element, zwischen dem Wunsch nach Freiheit und den rigurösen Regeln und Normen, auf die unsere Gesellschaft basiert.
In Ihrer Präsentation meinten Sie, das Buch sei nicht abgeschlossen.
Ja, im Sinne, dass es offen bleibt. Es gibt diese Offenheit, vor allem in ihrer Struktur. Jeder Terminus führt zu einer anderen Idee. Die Beiträge und Essays bleiben offen, selbst die Autoren unterschreiben jeden Beitrag nur mit ihren Initialen, damit sie diskret im Hintergrund bleiben. Wenn der Leser über die Definitionen und Schlüsselwörter nachdenkt, warum dieses Wort und nicht das andere, warum stellt man sich eben diese Frage, schon ist er ein Schritt vorwärts, was die Problematik der Identität angeht. Es sind 65 Termini, die provozieren und Alternativen geben. Statt „Ordnungsliebe” hätte man „Ordnungswahn” sagen können, statt „Arbeitswut”, „workoholic” usw. Es gibt also immer wieder eine Herausforderung für den Leser. Dieses Buch ist ein Identitätsalmanach. Ein Buch, das man jederzeit lesen kann und das man mit jedwelchem Kapitel beginnen kann. Unter diesen unterschiedlichen Kriterien bildet sich eigentlich das Ferment, das diese Suche nach der Identität produktiv macht.
Das Buch befasst sich mit einer Suche nach sich selbst. Inwiefern ist diese Identitätssuche prägnanter in Deutschland?
Sie suchen Antworten auf schwere Fragen, was die deutsche Identität angeht. Es geht auch um Dinge, die mit der Nazi-Vergangenheit verbunden sind. Es geht um Klischees, die noch nicht weg vom Tisch sind und nun wieder auftauchen. Schauen Sie sich nun die Reaktion Griechenlands an. Da wird die Kanzlerin Angela Merkel in einer Bekleidung dargestellt, die an das Dritte Reich erinnert. Die Deutschen haben also einen guten Grund dazu, sich mit dem Thema zu befassen. Wir sollten uns an die Geschichte erinnern. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung sprach sich Margaret Thatcher dagegen aus. Es gab ernste diplomatische Verfahren, Debatten, ob man Deutschland überhaupt noch vertrauen kann. Zahlreiche Bücher sind zum Thema erschienen, bis der Kanzler Helmut Kohl auf die Europäisierung Deutschlands hinwies. Deutschland kann ja nur in Europa, als ein Teil Europas, als es selber bestehen. Es geht um ein europäisches Deutschland und nicht um ein deutsches Europa, sagen die Deutschen. Sie haben guten Grund dazu, sich Fragen zu stellen und sie tun es sehr übersichtlich, bescheiden, mit einer Klarheit und manchmal mit einer bestimmten Reue und Schuldgefühlen, mit dem Bewusstsein einer Schuld und einer moralischen Verantwortung für die Vergangenheit.