an Weihnachten greift die Kirche auf eine alte Prophetie zürück, wenn sie in ihrem Hauptgottesdienst am hellen Tag mit Jesaja betet: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“ (vgl. Jes 9, 5).
Wer kann die Freude beschreiben oder nachempfinden, die die Geburt eines Kindes in eine Familie bringt? Die ganze Verwandschaft nimmt daran teil und ist in freudigen Erregung, ist treuherzig besorgt, daß Mutter und Kind wohlauf und gesund sind, alles scheint sich um die beiden zu drehen, die ganze Welt. Gleichzeitig wird in der alten Prophetie dezent gesagt: jedes Leben, das in das irdische Dasein tritt, ist etwas Kostbares, ein Geschenk, das Leben ist eine Gabe Gottes, keiner kann es sich selbst nehmen; Leben kann man nur annehmen und sich damit beschenken lassen. Im Psalm heißt es: „Kinder sind eine Gabe des Herrn, die Frucht des Leibes ist sein Geschenk“ (Ps 127, 3). Weihnachten ist daher zu Recht auch das Fest der Familie, das Fest der Heiligen Familie, das wir in diesen Tagen ebenfalls an einem besonderen Tag begehen.
Doch die alte Prophetie besagt nocht mehr: Das Kind das geboren werden soll und von dem der Prophet prophetisch über seine eigene Zeit hinausweist, ist mehr als irgendeines der vielen Kinder, die das Licht der Welt erblicken, denn „auf seinen Schultern ruht die Herrschaft“ (Jes 9, 5) und sein Name ist Immanuel, Gott mit uns (Jes 7, 14). Der Name eines Menschen ist stets Programm und Auftrag und erst recht hier: In dem Kind, das hier angekündigt wird, offenbart und zeigt sich Gott selbst. Wer dieses Kind sieht und erkennt, der sieht und erkennt Gott in Seinem Wesen als ein Gott der mit uns ist und für uns ist.
Dieses Kind wird später von sich sagen: Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen (Joh 14, 9). Daher bekennt und verkündet die Kirche seit dem ersten ökumenischen Konzil in Recht: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens, mit dem Vater.
Wahrlich, auf seiner Schulter ruht die wahre Herrschaft, die unserem menschlichen Dasein und unserer menschlichen Existenz die Wende zu geben imstande ist. In Jesus Christus, dem zu Betlehem geborenen Heiland, den die Propheten vorausgeschaut und verkündet haben, hat Gott sich uns Menschen zugewandt und ist unter uns: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3, 16). Gott ist treu in seinen Verheißungen und hält Wort.
Ein alter Sprichwort sagt: solange noch ein Mensch geboren wird, hat Gott die Welt noch nicht verlassen. Möge dieses Zeichen und der neue Stern aus Jakob (4 Mos 24, 17) uns allen in der Heiligen Nacht aufleuchten und durch diese Tage der Weihnacht wie auch auf unserem ganzen Lebensweg begleiten.
Temeswar, Weihnachten 2011