Es war eine Frage, die Pia Brodtrager zuerst ihrem Lehrer und dann sich selbst stellte. Als Schülerin an einer Handelsakademie lernte sie früher im Unterricht über Mechanismen wie „Gewinnmaximierung“. Das Wort „Profit“ fiel oft und verdrängte dafür ein anderes, das Pia wichtiger war und ist. Was ist eigentlich mit den Menschen, fragte sie damals. Woraufhin ihr Lehrer meinte, für den Menschen gebe es keinen Platz. Eine Ansicht, die, die Österreicherin, bis heute nicht teilt. Sie bleibt ihrer Antwort auf die selbst gestellte Frage treu und statt eine Karriere in der Wirtschaft einzuschlagen, hat sie sich für soziale Arbeit und für Theater entschieden. Beides führten sie nach England und schließlich nach Rumänien. Über den Europäischen Freiwilligendienst lernte sie Elisa Sarchi kennen. Nicht nur die Leidenschaft fürs Theater sondern auch die Bereitschaft mit Menschen zu arbeiten, brachte die zwei jungen Frauen zusammen. Mehrere Wochen lang arbeiteten die Freiwilligen für den rumänischen Verein Incubator107. Reisten so durch Rumänien bis Pia und Elisa in Temeswar/Timisoara halt machten.
Der gemeinnützige Verein Incabutor107 wurde vor rund zwei Jahren gegründet. Die Initiative sei auf einem Dachboden entstanden. Die Idee: Werkstätten mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten jedem Menschen anzubieten der neugierig und offen für neue Sachen ist. Über Teilnehmerbeiträge versucht Incubator107 die Werkstattleiter zu finanzieren. Werkstattleiter, die nicht nur aus Rumänien, sondern von überall herkommen. Inzwischen ist Incubator107 in mehreren Großstädten des Landes vertreten, so auch in Temeswar.
Elisa Sarchi hat ursprünglich in Pavia Geschichte studierte. An Wochenenden nahm die Italierin an Kursen für Soziales Theater teil. Das führte später dazu, dass sie zusammen mit anderen Kursteilnehmern den Hilfsverein Calypso gründete. Die Aufgabe der Organisation: Durch Theater soziale Arbeit leisten.
Auch in Temeswar boten die beiden Freiwilligen Theaterwerkstätten an, die in erster Linie nicht darauf zielten, Theater per se zu machen, sondern Theaterkunst als Mittel zum Zweck zu gebrauchen. Es ging den beiden darum, dass sich Menschen mit sich selbst befassen, sich selbst kennen lernen, indem sie auf Improvisationsübungen zurückgreifen. So sollten Teilnehmer Posen einnehmen und durch die Gesichts- und Körpersprache bestimmte Gefühle ausdrücken und sich mit dem auseinandersetzen, was der Psychologe Carl Gustav Jung „Persona“ oder „Gesellschaftsmaske“ nannte.
Wie schaut man eigentlich aus, wenn man mit seine Familie zusammenkommt? Diese Frage richteten Pia und Elisa an die Teilnehmer ihrer Werkstatt. Manche machten ein trübes Gesicht, andere drückten es durch Gelassenheit aus. Im Berufsalltag sah es dann wieder ganz anders aus: Erschöpfung, Frust waren häufig die Emotionen, die man aus den körperlichen Darstellungen der Werkstattteilnehmer meistens herauslesen konnte.
Es würde vieles über einen selbst verraten. Dessen sind sich die beiden sicher. Die Teilnehmer selbst merken es zuerst gar nicht. Schließlich wirkt es eher wie ein Spiel. Es sind die gleichen Improvisationsübungen, die auch an Schauspielschulen gemacht werden. Nur hier und da weichen die Übungen ab. Ein klares Ziel muss niemand verfolgen. Am Ende der Werkstatt muss keiner der Teilnehmer schauspielerisch besser sein und es wird auch nicht untereinander verglichen. Stattdessen liegt die Entscheidung bei einem selbst, ob man sich auf das Experiment einlässt und dadurch etwas über den eigenen Charakter erfährt oder ob man nur Spaß haben möchte und eine gute Zeit.
Doch Pia und Elisa haben sich auch Menschen zugewandt, die einen anderen sozialen Hintergrund haben. Eine Woche lang veranstalteten die beiden eine Werkstatt für junge Frauen von der Jugendhaftanstalt Busiasch/Buzias.
Elisa arbeitete in Italien bereits mit erwachsenen Straftätern. Mit Minderjährigen in diesem Kontext zu arbeiten, war für sie allerdings neu. Die jungen Mädchen zeigten sich offen. Besonders beliebt waren Tanzübungen, aber auch ein Rollenspiel zum Abschluss stieß auf Interesse.
Es ist eine Herausforderung, die sich Pia Brodtrager und Elisa Sarchi stellen. Auf der Reise durch Rumänien versuchen sie durch Theater Menschen anzuregen, sich mit sich selbst zu befassen. Denn wie würde eine Zukunft ausschauen, in der nur noch Worte wie „Profitmaximierung“ fallen und der Mensch dafür geopfert werden muss. Jenseits unserer kapitalistischen Gesellschaft, die den Menschen auf die Rolle des Konsumenten reduziert, jenseits der gesellschaftlichen Masken, die man annimmt, um alltäglichen Zwängen standzuhalten, gibt es noch das, was nicht abhanden kommen darf und wofür sich junge Freiwillige wie Pia und Elisa einsetzen: die inneren Werte, die das Menschliche vor allen Dingen stellen.