Seit Anfang des Wintersemesters ist an der Universität „Politehnica“ in Temeswar ein neuer DAAD-Lektor tätig. M. A. Tom Reipschläger wird in den kommenden Jahren Lehrveranstaltungen für Studenten halten sowie die Bewerber für DAAD-Stipendien betreuen. Über die Bedeutung der akademischen Mobilität sprach er mit der BZ-Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu.
Sie sind seit Kurzem an der TU Temeswar. Wie sind die ersten Erfahrungen gewesen?
Ich bin natürlich zu einer Zeit der Krise und Einschränkungen eingereist. Mein erstes Wochenende erlebte ich noch bei Sonnenschein, Musik auf den Straßen im Zentrum und Remy mit älteren Herren im Park. Zwei Wochen später sah es dann schon anders aus. Durch die hohen Infektionszahlen lernte ich gerade einmal ein paar Kolleginnen für notwendige Bürokratie kennen, aber der Uni-Alltag blieb mir bisher verwehrt. Von allen Seiten wurde mir gesagt „Das ist nicht das normale Temeswar, hier wäre viel mehr los.“ Deswegen warte ich noch ein bisschen ab, bevor ich von einem „echten“ ersten Eindruck sprechen kann.
Der DAAD bietet seit Jahren eine Vielzahl an Stipendien für Studenten und junge Akademiker sowie Forscher/Universitätsprofessoren an. Wie ist die Nachfrage in diesem Jahr, im Hinblick auf die Pandemie?
Zu den Zahlen selbst kann ich nichts sagen, das weiß man erst nach der Bewerbungsfrist. Der DAAD bemüht sich, alle Stipendien weiterhin so anzubieten, wie bisher. Da die Stipendien für den Sommer des kommenden Jahres bzw. das Wintersemester 2021 sind, und wir ja auch nicht in die Zukunft schauen können, gehen wir optimistisch vor und hoffen auf die Realisierbarkeit der Stipendien. Es wäre ja schade, wenn gar keine Stipendien ausgeschrieben waren, aber sich die Lage bis dahin bessert.
Am 1. Oktober hat der DAAD die Alumniveranstaltung „Europa gestalten – Europa stärken“organisiert. Dabei wurde mehrmals unterstrichen, dass sich die Universitäten, die Lehre an den Universitäten unter dem Druck der Pandemie und des daraus resultierenden Onlineunterrichts ändern und auch nachhaltig ändern werden. Wie schätzen Sie die aktuellen Trends ein? Was gibt es bereits davon in Deutschland? Was kommt noch diesbezüglich?
Über private Kontakte hörte ich ebenfalls vom Online-Unterricht und gleichzeitiger Erkenntnis, dass dieser keine Präsenzveranstaltungen ersetzen könne. Allerdings mussten sich alle nun zwangsweise mit Online-Methoden und Plattformen auseinandersetzen, was sicherlich nach der Pandemie in Kombination mit Präsenzunterricht zu einer fruchtbareren Lehre führen könnte. Von der studentischen Seite her wird nun noch mehr selbstorganisatorische Kompetenz erwartet, als es sowieso schon der Fall an deutschen Universitäten ist. Die Organisation des eigenen Lernens gänzlich ohne physische AnsprechpartnerInnen könnte zu Motivationsmangel und Wissensdefiziten der betroffenen Jahrgänge führen. Hierzu müsste man vielleicht Workshops für die StudentInnen anbieten, um besonders StudienanfängerInnen zu Beginn der neuen Lebensphase „Studium“ im Bereich des selbstorganisierten Lernens aufzufangen.
Es wurde zum selben Anlass hervorgehoben, dass es trotz allem sehr wichtig ist, dass der Austausch bestehen bleibt. Ändert die Pandemie auch etwas in der Stipendienvergabe ich denke da zum Beispiel an die Anzahl der Stipendien, an die Art, in der der Stipendiat Zugang hat zu den Unis und Forschungseinrichtungen usw.?
Wie schon erwähnt, wurden alle Stipendien vorerst wie letztes Jahr ausgeschrieben. Zusätzlich wurden einige Ausnahmeregelungen für den Bewerbungsprozess eingeführt und die Stipendienrate erhöht, um die Attraktivität der Programme auch in diesen schwierigen Zeiten aufrechtzuerhalten.
Es gibt Meinungen, dass man wegen des Online-Unterrichts nicht mehr ins Gastland fahren muss, andere Meinungen wiederum heben gerade diesenVorteil der Unmittelbarkeit, des Vorortsseins hervor. Wie sehen Sie das?
Ich würde mich eindeutig für die Präsenz vor Ort im Gastland entscheiden. Fachlich gesprochen: Neben den (sprach)lernpsychologischen Effekten, die ein Online-Unterricht im Vergleich zu einem Präsenzunterricht nicht ersetzen kann, z.B. soziale Gruppenbildung und spontane sowie emotionale face-to-face-Interaktion, besteht die andere Seite eines DAAD-Lektors/Lektorin in der physischen Repräsentanz als vertrauenswürdige/r AnsprechpartnerIn bei Studien- und Stipendienangelegenheiten und generell für Deutschland. Außerdem empfinde ich es als notwendig, dass man sich auch von den Gegebenheiten und Umständen im Gastland ein Bild machen muss, um sowohl individueller und angemessener beraten als auch zielgruppenspezifisch effizienter unterrichten zu können.
Was soll ein Stipendiat, der jetzt während der Pandemie angenommen wurde, erwarten, wenn er nach Deutschland geht? Was ist neu, anders als in anderen Jahren?
Ich denke, dass gerade die Pandemie ein Beispiel dafür ist, wie man in Deutschland mit neuen Situationen und Konflikten umgeht. Wer zur Zeit der Pandemie neu in Deutschland war, wird ähnlich viel über Deutschland erfahren, als wenn es keine Pandemie gäbe. Das sogenannte „kulturelle Lernen“ sind weniger die Fakten oder Traditionen über Deutschland, die häufig von StudentInnen in Sprach- oder Landeskundekursen erwartet werden, sondern viel eher die Debatten und der Umgang miteinander in Konfliktzeiten wie diesen. Natürlich haben StipendienträgerInnen Erwartungen an das kommende Abenteuer, aber aus meiner Erfahrung in anderen Ländern kann ich empfehlen: Einfach mal möglichst „ohne Erwartung“ ankommen und versuchen, die neue Umgebung ungefiltert zu beobachten, zu akzeptieren und mitzumachen!
Viele DAAD-Lektoren, die hier gewesen sind, waren auch sehr stark im Kulturleben eingebunden oder haben selbst verschiedene Projekte vorgeschlagen, mit Studenten, für Studenten, für den Unterricht und/oder, um die Kultur Deutschlands bekanntzumachen. Da erwähne ich nur eines der jüngsten Beispiele, das Festival „Cinecultura“, ein Projekt der ausländischen Lektoren in Temeswar, das sehr gut besucht war. Haben Sie sich auch ähnliche Projekte vorgenommen?
Durch die Kontaktbeschränkungen der Pandemie fallen solcherlei Projekte momentan leider gänzlich aus. In Temeswar gibt es das örtliche Deutsche Kulturzentrum, mit dem das Lektorat seit Jahren zusammenarbeitet und dessen Kulturarbeit unterstützt. Ich persönlich habe einige Pläne für uniinterne Aktivitäten, beispielsweise eine Veranstaltungs-/Unterrichtsreihe zu ausgewählter deutscher Radio-Musik, um nicht nur auf Sprache, sondern besonders auch auf kulturell aktuelle Themen und Debatten innerhalb Deutschlands aufmerksam zu machen, denn ich empfinde die Musikszene da als besonders produktiv und ansprechend für die jüngeren Studenten.