Die deutsche Schwarz-Gruppe sorgt für eine absolute Neuigkeit in Rumänien. Ein neuer Laden wurde auf dem Gelände der alten Strumpffabrik in Temeswar/Timişoara gebaut – die Mauern der alten Fabrik wurden beibehalten und im neuen Architekturkonzept integriert. Während wenige Traditionsunternehmen weiterhin ihre Produkte in Temeswar herstellen, geraten andere in Vergessenheit. Die Industriearchitektur wird auch durch die Stadtentwicklung aus der Landschaft weggepinselt - während die Gebäude ehemaliger Prestigefabriken umfunktioniert werden, verschwinden andere Bauten komplett.
An der Ecke der Drăgăşani- und Mihail-Kogălniceanu-Straße kann ein Wahltemeswarer kaum eine Änderung bemerken. Bloß eine frisch sanierte Fassade der alten Strumpffabrik, könnte man sagen. Erst wenn man an der Ecke nach links biegt, bleibt man erstaunt: Allein die Seitenfassade, das instandgesetzte Eingangstor und viele Erinnerungen bleiben von der alten Temeswarer Traditionsfabrik übrig. Auf dem Gelände hier steht nun der neueste Laden der deutschen Ladenkette Kaufland.
Nach vielen Disputen mit den Vertretern des Amtes für Denkmäler Temesch/Timiş, konnten die Vertreter der deutschen Ladenkette letztendlich die Genehmigung für den Bau eines neuen Geschäfts auf dem Gelände der alten Fabrik bekommen. Zuerst wurde der neue Bauabschnitt der Fabrik abgerissen, dann auch die Gebäudeflügel, die zur Zeiten des Kommunismus erbaut wurden, letztendlich wurden auch die Räume der Fabrik nach Plänen aus dem Jahr 1908 des in Temeswar ansässigen ungarischen Architekten László Székely zum Schutt. Eins nach dem anderen wurden all diese Gebäude abgerissen. Als Zeitzeuge der einstigen Fabrik wurde das Eingangstor der Fabrik beibehalten. Nun führt das Tor in den Hof der ehemaligen Strumpffabrik, wo derzeit ein Parkplatz eingerichtet wurde. Auch die Seitenwände der ehemaligen Konstruktion am Straßeneck zur Drăgăşani- und Kogălniceanu-Straße stehen noch auf diesem Gelände und lassen vom außen kaum erraten, dass drinnen ein moderner Laden eingerichtet ist.
Laufmasche der Strumpffabrik gelöst
Die Fabrik wurde im vergangenen Jahrhundert als Niederlassung von „Elsö Gyulai Kotott es Szovott Iparárugyar RT” aus der ungarischen Kleinstadt Gyula, die älteste Strumpfhosen- und Unterwäschefabrik in Ungarn, gegründet. Im Jahr 1921, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde die Fabrik von einer Bukarester Firma übernommen und umbenannt. „Standard – Prima Fabrică de Ciorapi” (Standard – die erste Strumpffabrik) gerät 1949 in die Hände der Kommunisten und funktioniert in dieser Form bis zur Wende. 2000 hat die Fabrik keine Chance mehr auf dem Markt und wird zum Bankrott verurteilt. 2005 wurde das Gelände verkauft und sollte laut neuen Plänen komplett abgerissen werden. Das Gebäude wurde jedoch vor dem Abriss gerettet. Nach Intervention der Kommission für Denkmäler und der Zivilgesellschaft Temeswars, die mehrere Protestaktionen durchgeführt hat, kam letztendlich die Entscheidung des rumänischen Kulturministeriums: Drei Fassaden der alten Fabrik müssen beibehalten werden. Die deutsche Ladenkette verpflichtete sich, diese Entscheidung einzuhalten und integrierte ihren Laden in der Architektur des alten Gebäudes. Laut Projektentwurf hätte man gern versucht, mehr von der alten Fabrik beizubehalten, doch der vorgeschrittene Zerfallszustand der Bauten haben das nicht zugelassen.
Spuren der alten Industrie
Im Gegenteil zur Strumpffabrik sind in Temeswar kaum noch Spuren der alten Industrie zu sehen – viele Fabriken sind nach der Wende Bankrott gegangen, geschlossen und verlassen geblieben. Andere Betriebe versetzten ihre Produktionsstätten außerhalb der Stadt: So verschwand am 700er Marktplatz der Konfektionsbetrieb „Modatim“, an dessen Stelle der Bürogebäudekomplex City Business Center entstanden ist. Im Gebäude der alten Hutfabrik (in der N. Titulescu-Uferstraße) sind heute u.a. ein Fitnessstudios, ein Kletterclub und der Rockclub Daos untergebracht – weitere Räume werden zum Vermieten angeboten und die alte Bierbrauerei „Timi{oreana“ wurde nach der Übernahme durch die südafrikanische SAB Miller-Gruppe modernisiert. Andere ehemalige Fabriken hatten nicht des selbe Glück, in den modernen Zeiten zu überleben. Die Geschichte entschied, dass zugleich mit ihren Verschwinden vom rumänischen Markt, auch ihre Gebäude verschwinden, so zum Beispiel im Fall der ehemaligen Schokoladenfabrik von Temeswar, Kandia.
Obstkonserven, Marmeladen, Großbetrieb, Zuckerwaren- und Schokoladenwerke – in einem Wort: „Kandia“ - war 1890 gegründet worden und ist die älteste Schokoladenfabrik auf dem heutigen Gebiet Rumäniens. Gewesen. Unter einem Haufen Schutt bleibt die Prestigefabrik aus Temeswar heute begraben. Allein Erinnerungen an den Schokoladenduft, der über der Straße schwebte und Passanten zu großen Feinschmeckern verwandelte, wenn sie an der Kandia-Fabrik in Temeswar vorbei gingen. All das könnte heute noch Temeswarer in Nostalgie versetzen. Das Gebäude der 125 alten Schokoladenfabrik auf dem Boulevard des 16. Dezember 1989, an der Ecke zu der Văcărescu-Straße, wurde neulich abgerissen.
Im Temeswarer Gebäude wurde schon seit Jahren keine Schokolade mehr hergestellt. Nachdem die Fabrik mehrmals verkauft wurde, ist „Kandia“ heute Teil der österreichischen Unternehmergruppe Julius Meinl. Die Gruppe sicherte sich hiermit die führende Stellung auf dem rumänischen Markt im Bereich der Schoko-Industrie, auch wenn die heutige Marke mit ihrer Tradition nicht mehr vieles gemeinsam hat. Allein der Markenname lässt noch unter Temeswarern für Emotionen sorgen – die meisten werden aber den Geschmack der einstigen Zucker- und Sahnebonbons, der Schokoladen „Ambasador“, „Anca“ oder „Jucăriile mele“ (auf Deutsch „Meine Spielsachen“) kaum aus seinen Gedanken reißen können.