Bukarest (ADZ) - Nach tagelangen Straßenprotesten im Land hat die sozialliberale Regierung unter Premierminister Sorin Grindeanu am Wochenende einen ersten Rückzieher gemacht: In einer knappen Erklärung kündigte der Regierungschef am Samstag an, die Eilverordnung Nr. 13 seines Kabinetts zur Änderung des Strafgesetzbuches sowie der Strafprozessordnung „zurücknehmen oder vertagen“ zu wollen. Die Regierung trat tags darauf zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen und verabschiedete angesichts der „heftigen Reaktion der Bürger infolge unzureichender Debatten zum Thema“ – so die offizielle Begründung – per neuem Eilerlass die Rücknahme des alten. Letzterer soll nichtsdestotrotz als Gesetzesinitiative im Parlament eingebracht werden – „eventuell“ unter Verzicht auf die hoch umstrittene 200.000 Lei-Schranke bei Amtsmissbrauch, so Grindeanu wörtlich. Konsequenzen kündigte der Regierungschef keine an.
Die Rücknahme des sogenannten „Dragnea“-Erlasses beeindruckte die empörten Menschen nicht: Am Sonntagabend gingen landesweit geschätzte 600.000 Protestler auf die Straße, um die Regierung daran zu erinnern, dass man seit Tagen „Rücknahme und Rücktritt“ gefordert hatte. Allein in Bukarest versammelten sich knapp 300.000 Menschen vor dem Regierungssitz, die „Rücktritt“, „Diebe“, „Verräter“ „Weg mit euch“, „PSD, die rote Pest“, „Wir sind aufgewacht“ und „Vereint stehen wir“ riefen. In Klausenburg demonstrierten 50.000 Menschen gegen die Regierung, in Temeswar 40.000, in Hermannstadt und Jassy jeweils 30.000, weitere Zehntausende gingen in Kronstadt, Arad, Großwardein, Craiova, Bacău, Ploieşti, Konstanza, Bistritz, Suceava, Slatina, Drobeta-Turnu Severin und Dutzenden anderen Städten auf die Straße – es war der größte Massenprotest der rumänischen Nachwendezeit.
Fast zeitgleich stellte Premier Sorin Grindeanu in einem Gespräch mit dem TV-Sender Antena 3 klar, dass ein Rücktritt für ihn nicht in Frage kommt: Die PSD und ALDE hätten die Parlamentswahl gewonnen, man habe „das Mandat der Bürger“ zum Weitermachen, so Grindenu, der weiters für „Ruhe“ warb – seine Regierung habe getan, was in ihrer Macht stehe, um die Lage zu entspannen, sie habe den umstrittenen Erlass schließlich zurückgezogen. Der Premier deutete zudem an, dass sich sein Kabinett letztlich auch zu einem Bauernopfer durchringen könnte – Justizminister Florin Iordache sei angesichts der laufenden Debatten zum Haushaltsentwurf nicht zu entbehren, danach werde man weitersehen. Wie sein Kabinett die schwere innenpolitische Krise beenden will, sagte Grindeanu nicht.
Hart mit den Protestlern ins Gericht ging indes PSD- und Unterhauschef Liviu Dragnea, der in einem Gespräch mit den Sender „Romania TV“ die Spontaneität der Straßenproteste in Frage stellte. Dragnea zufolge sollen die Hunderttausenden Menschen „mit Groß- und Kleinbussen und sogar mit der Bahn“ angereist sein, was auf eine gut durchdachte „Planung und Organisation“ hindeute. Die vermeintlichen Urheber der Proteste, an denen Dragnea vor allem „Johannisten und Sorosisten“ beteiligt sah, wollte der PSD-Chef allerdings nicht konkret benennen, sondern zog es vor, auf „Multis und westliche Konzerne“ anzuspielen.