Anfang Mai kursierten auf Facebook Werbeslogans auf buntem Hintergrund, die in fünf Sprachen übersetzt wurden. „Lass es uns tun! Kronstadt, Kulturhauptstadt 2021“, lautete der Aufruf an Bewohner der Stadt und Kulturschaffende. In nur wenigen Stunden wurde (ebenfalls auf Facebook) der Werbeslogan parodiert. „Lass uns so tun als ob“, lautete die Nachricht auf ebenso farbigem Hintergrund. Hinter der Idee steckt der junge Kronstädter Künstler George Roşu. Er glaubt, das Lobby für die Kulturhauptstadt sei nur eine Methode der Politiker, Werbung für die Lokalwahlen 2016 zu machen.
Die Kulturszene in Kronstadt ist gespalten: auf der einen Seite gibt es die traditionellen und etwas altbackenen bekannten Kulturinstitutionen, auf der anderen Seite eine mehr oder weniger homogene Gruppe von jungen Künstlern, die hochmoderne Konzepte vorschlagen und der Meinung sind, dass sich die Kronstädter Kulturszene neu erfinden müsste.
Einen wirklichen Dialog zwischen diesen beiden Seiten gibt es nicht, obwohl es seit 2014 das Kulturkonsortium Corona gibt, eine Organisation, die alle Kulturschaffenden vereint, die etwas in der Stadt zu sagen haben.
Auch betreffend der Kandidatur Kronstadts für die Kulturhauptstadt 2021 sind die Meinungen verschieden: die einen sind eher skeptisch und glauben, dass die Stadt unter der Zinne überhaupt keine Chancen hat, während die anderen optimistisch sind und mit guten Chancen rechnen. Hat die Stadt, die mit „Rivalen“ wie Klausenburg oder Temeswar konkurriert, überhaupt eine Chance, ein Jahr lang im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit einer großen europäischen Öffentlichkeit zu stehen? Das werden wir erst 2016 erfahren. Nach dem 10. Dezember wird man aber wissen, ob Kronstadt in die Endrunde kommt.
Ein vielfältiges Kulturerbe ist gefragt
Die Kulturhauptstadt Europas ist ein Titel, der jährlich von der Europäischen Union vergeben wird. Die Benennung soll dazu beitragen, den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander zu ermöglichen.
Eine „kulturelle” Stadt ist Kronstadt (noch) nicht, obwohl es einige Events von guter Qualität gibt, die inzwischen schon einen sehr hohen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Darunter „Musica Barcensis“, „Musica Coronensis“ oder die Orgelkonzertreihe in der Schwarzen Kirche im Sommer, das Festival für zeitgenössische Dramatik und Etnovember im Herbst oder das Jazz-Festival im Winter. Auch jüngere Veranstaltungen gibt es, die versuchen, zur Tradition zu werden. Darunter das Dracula-Filmfestival (eher ein Nischen-Event), das sehr gut besuchte Komödienfestival im Mai (die Auswahl der Vorstellungen ist leider schlecht) oder „Bohemian Square“ und „Amural“, wo es um Kunst im öffentlichen Raum geht. Andere traditionelle Events nähern sich eher dem Kitsch (die Buch- und Musikmesse im Frühling) oder sind etwas unzeitgemäß (Festival für Oper, Operette und Ballett im Herbst).
Potential für „,mehr und besser“ gäbe es auf jeden Fall. Trotzdem weiß man auf internationaler und leider auch nationaler Ebene nicht sehr viel über die Kronstädter Kulturszene.
Bis in die letzte Minute hat Kronstadt versucht, den Mangel an Kulturevents nachzuholen. 90% der Veranstaltungen, die angefangen mit der offiziellen Ankündigung der Kandidatur im Juni organisiert wurden, wurden unter dem Motto „Kronstadt, Kulturhauptstadt 2021“ organisiert. Der Höhepunkt kam ein paar Wochen vor der Entscheidung, welche Städte in die Short-List für die europäische Kulturhauptstadt kommen. Die metropolitanische Agentur Kronstadt hat bekanntgegeben, dass vom 21. November bis zum 6. Dezember die „Tage der Kulturhauptstadt“ organisiert werden. Von zeitgenössischem Multimedia-Tanz bis zur Revue-Aufführung für Rentner und Horia Brenciu-Konzert steht alles mögliche im Programm, bunt zusammengewürfelt. Der Höhepunkt des sogenannten „Festivals“ wird das feierliche Anzünden der Weihnachtsbaum-Lichter am Marktplatz sein, das am Nikolaus-Abend stattfinden wird.
„Wie man (k)ein Kulturevent organisieren sollte“
„Die Webseite sieht aus wie ein Schulprojekt, das von einem Achtklässler gemacht wurde“, kritisiert ein Blogger die offizielle Webseite des Projekts. Auf der Facebook-Seite „Braşov Capitală Culturală Europeană“ sieht es auch eher chaotisch aus: verschiedene Leute, von Bewohnern des Schei-Viertels bis zum Rockstar Peter Maffay und Unternehmen wie die Coresi Shopping-Mall oder verschiedene Cafes und Bistros geben bekannt, dass sie Kronstadt im Rennen für die Kulturhauptstadt unterstützen.
Können in Zukunft junge Kulturmanager mit den Behörden zusammenarbeiten? Als freiberuflicher Kulturmanager stößt man auf viele Schwierigkeiten, wenn man ein Event organisieren will. Wegen der Bürokratie kann ein Traum zum Alptraum werden, warnen diejenigen, die es durchgemacht haben.
Ebenfalls auf dem Internet kursierte ein elektronisches Buch mit dem Namen „Wie man (k)ein kulturelles Event organisieren sollte“. Der Text lautete ungefähr so: „Du hast eine geniale Idee und du träumst davon, etwas in deiner Stadt zu ändern und bist naiv genug, um zu glauben, dass du es schaffen wirst. Du willst deine Idee in die Wirklichkeit umsetzen, dafür brauchst du aber Geld. Du versuchst, Sponsoren zu finden. Du gehst zu Geschäftsleuten, die ihr Geld aus anderen Bereichen verdienen, als Kultur. Da sie gerade aus dem Karibik-Urlaub kommen, haben sie kein Geld mehr für deine Idee übrig. Sie lügen dich aber an, dass sie deine Idee gut finden und dass du im nächsten Jahr kommen sollst, dann gibt es vielleicht Geld. Du versuchst, mit den staatlichen Institutionen zusammenzuarbeiten. Dafür brauchst Du Kilos von gestempelten Papieren, die niemand anschauen wird. Dein Projekt werden Leute bewerten, die keine blasse Ahnung von Kultur haben. Falls dein Projekt genehmigt wurde, werden die nächsten 6 Monate zur Hölle. Du wirst mehr damit beschäftigt sein, Papiere auszufüllen, als das Event zu organisieren“.
Bedürfnis für Kultur existiert
Falls sie es schafft, Kulturhauptstadt zu werden, sollte die Stadt unter der Zinne nicht nur für Touristen attraktiv sein, sondern in erster Reihe für ihre Bewohner. Laut den Ergebnissen der „Studie für Kulturkonsum der Bevölkerung des Munizipiums Kronstadt“, die im Spätsommer der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, findet mehr als die Hälfte der Bevölkerung Kronstadts, dass Kultur einen wichtigen Stellenwert in ihrem Alltagsleben hat.
(Fortsetzung folgt )