„Architekten und Architektur in Kronstadt: Schaufenster um 1900“ ist das Sahnehäubchen, welches die Kronstädter Filiale der Architektenkammer Rumäniens auf seine Tätigkeit 2016 setzte. Die Ausstellung folgt in ihrer Darstellungsweise dem bewährten Muster, nebeneinander Baupläne und Fotos des selben Objektes vorzustellen, in diesem Fall das Schaufenster. Dafür forschte Architekt Ovidiu Taloş im Archiv des Bürgermeisteramtes nach Genehmigungen zum Ändern von Fassaden und gelegentlich auch Erdgeschossen, für Gebäude in der Inneren Stadt, welche Ende des XIX. Jahrhunderts als Geschäfte dienten. Diese Anträge (die ältesten stammen von etwa 1870) waren von einem Plan begleitet, welcher den Ausgangszustand der Fassade (mei-stens ein Querschnitt des Gebäudes) sowie die beabsichtigte Änderung (eine Vorderansicht des Gebäudes) darstellt. Erst zusammengeführt – eben in der Ausstellung – machen die Pläne und Fotos der Fassaden verständlich, welche tiefgreifende Entwicklung sich um das Jahr 1900 im Aussehen der Inneren Stadt vollzogen hat.
„Die Öffnung nach Außen, dass Anbieten und zur Schau stellen der Ware, änderte sich Dank der damaligen neuen Errungenschaften: Stahlträger für größere Öffnungen als die mittelalterlichen Bögen und bedeutend größere Glastafeln, welche eine Vitrine erst möglich machten“, so Ovidiu Taloş in seiner Eröffnungsansprache.
Zwar lautet der Name der Ausstellung „um 1900“, doch erfasst wird viel mehr als nur ein Moment der Jahrhundertwende. Vorangegangen war ein entscheidendes Jahrhundert in welchem sich das heutige Stadtbild herausbildete. 1900 brachte den Durchbruch des Jugendstils, der Neu- und Altbauten veränderte und noch an den leider wenigen Schaufenstern sichtbar ist, welche das letzte Jahrhundert überlebt haben.
Ovidiu Talo{ beschrieb diese wie folgt: „Es wurde vorwiegend hochwertiges Holz verwendet, Rahmen, Konsolen wurden reich, mit kunstvollen und manchmal ziemlich aufwendigen Verzierungen versehen, alle in schöner Handarbeit. In der Inneren Stadt sind leider weniger als zehn der damals gebauten Schaufensterrahmen übrig geblieben. Es stimmt, einige ganz neue sind um die Einheitlichkeit des Stadtbildes zu bewahren im Stil der Vorlagen nachgebaut worden, doch von den „echten“ sind sehr wenige erhalten geblieben.“
Ein solcher gut ausgeführter Nachbau, der seinen Platz nicht in der Ausstellung hat, weil er eben neu ist, befindet sich an dem Eckhaus Purzengasse zur Michael Weiss Gasse, ein Gebäude, welches aus der Zeit gleich nach dem Stadtbrand stammt.
Was genau führte jedoch zu den radikalen Änderungen im Stadtbild? Eine Antwort darauf skizzierte Architektin Miruna Stroe, Kollegin und Mitgestalterin der Ausstellung: „Es war ein sozialer, wirtschaftlicher und auch technischer Wendepunkt. Die handgefertigte Ware, welche bis 1800 meistens vom Erzeuger selbst verkauft worden ist, wurde nach und nach mit industriell erzeugter Ware ersetzt und an Stelle des Handwerkers stand hinter dem Ladentresen ein angestellter Verkäufer.
Das Warenangebot musste dem Käufer bekanntgemacht werden und ein erster Schritt war eben das Schaufenster zusammen mit den Firmenschildern oder den Aufschriften an der Glasfläche selbst.“
Ergänzend ist zu bemerken, dass auch das Fortbewegen, zu Fuß, entlang der Schaufenster, sich auch aus Verkehrstechnischem Standpunkt änderte.
1897 war noch der Antrag die Klostergasse, die Purzengasse und den Marktplatz ordentlich zu Pflastern vertagt worden, doch wurde dieser 1910 durchgehend, in dem Großteil der Inneren Stadt ausgeführt. Ebenso war der Großteil der Häuser der Inneren Stadt nach 1850 neu gebaut worden oder zumindest die Fassaden wurden neu gestaltet. Seit 1864 gab es Gasbeleuchtung, welche die Öllampen ablösten und der Fußgänger- aber auch der Fuhrwerkverkehr wurde durch das 1876 abgetragene Rossmärkter Tor, gefolgt von dem Abriss 1891 des Klostergässer Tors erleichtert. Die wichtigste Neuerung erfolgte bald nach der Jahrhundertwende, als 1908/09 die Unterirdische Kanalisation eingeführt wurde.
Eine Freude scheinen aber die großen Schaufenster nicht von Anfang an für alle Kronstädter gewesen zu sein: Dr. Eduard Gusbeth, Stadtphysikus (1839-1921), bemerkte in einem Bericht von 1886, dass sich ein Bestreben der Bürger ihren Häuserfronten ein schöneres Aussehen zu geben, „in Gegensatz zur kahlen Nüchternheit früherer Zeiten“ bemerkbar macht. 1893 tadelte er jedoch, dass die Kaufleute sich „den etwas weitgehenden Luxus“ erlaubten, an ihren „Gewölben“ (damalige Bezeichnung für Geschäftsläden) anstelle der kleinen Scheiben, „riesige verglaste Schaufenster anzubringen“.
Heute, mehr als ein Jahrhundert später, ist es lobenswert einen Rückblick auf das Aussehen bekannter Geschäftsfassaden der Inneren Stadt werfen zu können und vielleicht ist es auch eine Anregung für die andauernd stattfindenden Sanierungen.