„Sie sagte dauernd ‘Supa, Supa, Supa’ (auf Rumänisch Suppe, Anmerkung der Redakteurin). Ich verstand nicht, warum sie so viel über Suppe redete. Danach habe ich verstanden. ‘Supa’ war eigentlich ‘Super’. So klingt es, wenn man es auf Deutsch sagt”, erzählt ein Fünftklässler, als er hört, das im Schulbus über ‘Frau Dagi’ erzählt wird. Im kleinen gelben Bus, der jeden Morgen von Ucea de Jos durch Sâmbata nach Viştea fährt, sitzen 15 Kinder die in Drăguş zur Schule gehen. Es ist ein eiskalter Vormittag Ende November. Einige Minuten vor acht hält der gelbe Bus vor der Allgemeinschule Drăguş . In diesem Dorf, 10 Kilometer von Fogarasch entfernt, findet seit September 2014 Unterricht in deutscher Sprache statt. Gehalten wird er von Frau Dagi, die eigentlich Dagmar Metschan heißt und aus Deutschland kommt.
Es wird nur Deutsch gesprochen
Auf den Wänden im Flur der Schule hängen Portraits von Burebista, dem König der Daker. Dane-ben steht eine Karte des Dorfes, wo noch die ehemalige CAP, die Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaft, eingezeichnet ist. Die zweite Klasse hat Sportunterricht in deutscher Sprache. Die Schüler schlagen Purzelbaum, gruppieren sich wenn Frau Dagi pfeift, und springen von der Sprossenleiter auf eine blaue Matratze. „Obwohl sie auf dem Dorf leben, klettern sie nicht mehr in Bäume, sondern sitzen vor dem Computer und das kann man ihnen leider ansehen. Sie sind nicht so fit, wie ich dachte”, meint Dagmar Metschan. „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben”, zählen die Kinder auf Deutsch. Cipriana ist auf die siebte Stufe der Sprossenleiter geklettert. Höher will sie nicht, obwohl die Kollegen ihr aufmunternde Worte zurufen.
„Vor einigen Wochen schaffte sie nicht mal vier Stufen. Jetzt ist sie mutiger geworden”, meint die Lehrerin stolz. Cipriana zögert ein wenig, dann lässt sie sich auf die Matratze fallen. Die Kinder jubeln. „Gut gemacht, super”, lobt Frau Dagi. Im Sportunterricht wird nur Deutsch gesprochen. Daran haben sich die Kinder gewöhnt.
Der lange Weg nach Drăguş
In der nächsten Stunde hat die Lehrerin Deutschunterricht mit der Klasse Null. Viele der Schüler sind erst vor Kurzem 6 Jahre alt geworden. „Guten Morgen, Frau Dagi!”, sagen sie im Chor, als Dagmar Metschan ihre Klasse betritt. Die Unterrichtsfächer der Klasse Null sind Mathematik, Deutsch, Kunst, Musik und Sport - alles in einer fremden Sprache, die sie nur in der Schule hören. Das ist nicht immer leicht. Trotzdem ist ihr Wortschatz in weniger als drei Monaten von Tag zu Tag reicher geworden. „Wer hat Brot mit Wurst? Wer hat Brot mit Käse? Wer hat Brot mit Krokodil? Wer hat Brot mit Elefant?” rufen die Kinder und biegen sich vor Lachen. „Die Fremdsprache muss Spaß machen, sonst kann man sie nicht lernen”, erklärt die Lehrerin.
Dagmar Metschan kommt aus Eschwege neben Kassel. In Deutschland lehrte sie an Sonderschulen für Kinder mit Lernbehinderung. Über Rumänien hat sie aus den Medien gehört. In den Berichten der Zeitungen und Fernsehsender ging es meist um Korruptionsskandale. „Ich habe mich sehr stark für Rumänien als neues Mitglied der EU interessiert. Auf dem Auswärtigen Amt in Berlin habe ich eine Frau kennengelernt, die für Rumänien zuständig war. Sie meinte, es würde sich lohnen, hin zu fahren“, erzählt sie. 2013, nachdem sie in Rente ging, fuhr Dagmar Metschan zusammen mit ihrem ältesten Sohn nach Rumänien. Sie wollte zuerst in Schäßburg nachfragen, ob man vielleicht einen Gastlehrer benötigt, die Schule war aber geschlossen. Beim Bürgermeisteramt Hermannstadt traf sie auf Klaus Johannis, der ihr weiter geholfen hat. Metschan war nicht daran interessiert, in eine große Stadt wie Bukarest, Kronstadt oder Hermannstadt zu ziehen. „Ich wollte die Menschen auf dem Land kennenlernen. Hier in Drăguş wohne ich in einem Haus, jeden Morgen ziehen die Büffel und die Kühe an meinem Fenster vorbei und das finde ich klasse“. Ein Jahr lang hat Dagmar Metschan in Viktoriastadt unterrichtet. „Danach fragte mich der Bürgermeister Gheorghe Sucaciu ob ich nach Drăguş kommen will. Ich habe ja gesagt“.
Eine Idee des Bürgermeisters
Die Idee, deutschsprachigen Unterricht in Drăguş einzuführen, stammt vom Bürgermeister Sucaciu. Die Ortschaft am Fuße der Fogarascher Gebirge wurde 2013 zum schönsten Dorf Rumäniens ernannt. Darauf ist er stolz. Eine Skipiste, ein Abenteuerpark und viele Pensionen sollen Jahr für Jahr Touristen aus der ganzen Welt in das idyllische Bergdorf locken. Mit dem Deutschunterricht sollte auch die Attraktivität der Schule wachsen. „Die Kinder werden eine bessere Zukunft haben. Es gibt ja so viele deutsche Firmen, da verdient man gut. Oder sie können nach Deutschland... Man kann nie wissen. Auf jeden Fall ist es gut, Fremdsprachen zu lernen”, meint der Bürgermeister. Für die Kinder aus der Klasse Null liegt ein Job in einer deutschen Firma irgendwo in der fernen Zukunft. Mit ihren 6 Jahren ist Deutsch vorläufig nur ein interessantes Spiel, das sie gerne spielen. Die 13 Schüler kommen aus Drăguş, Viştea de Sus, Viktoriastadt und Voivodeni. In den zweieinhalb Monaten seit Schulanfang haben sie schon sehr viel gelernt. Sie können zählen, kennen schon die deutschen Wörter für verschiedene Farben, Früchte und Tiere.
Eine neue Klasse im Herbst
Während die Kinder zeichnen, erzählt die Lehrerin, dass sie Rumänien liebt und mehr vom Land gesehen hat, als die meisten Rumänen. Alle wichtigen Sehenswürdigkeiten hat sie besucht - vom Donaudelta bis nach Maramuresch. An Wochenenden ist sie gerne auf der Salvamont-Hütte Sâmbata und macht Radtouren bis ins nahe gelegene Dorf Lisa. Sie hat in der kurzen Zeit, seitdem sie hier wohnt, schon viele Freundschaften geschlossen. In der Schule ist sie von ihren Kollegen, mit denen sie sich auf Englisch versteht, sehr geschätzt. Für das nächste Jahr plant die Schulleitung eine neue Klasse, wo auch in deutscher Sprache unterrichtet werden soll. Das ist aber schwer durchzuführen. „Das Problem sind die Lehrer. Na ja, viele sprechen Deutsch. Auch in Hermannstadt kenne ich jemanden, der Philologie studiert hat. Er arbeitet in einer deutschen Firma und verdient 4000 Lei. Für 800 Lei kommt er nie im Leben nach Drăguş”, meint Direktorin Melania Sucaciu.
„Jetzt spielen wir Marktplatz” verkündet Frau Dagi und verteilt Kartons, die in Form von Früchten oder Gemüse ausgeschnitten sind. Dann setzt sie sich an einen Tisch und sagt: „Ich brauche Kartoffeln”. In der nächsten Sekunde springen drei Kinder von ihren Stühlen und bringen ihr die Karton-Kartoffeln. „Das ist ja SUPA”, lobt Frau Dagi.