Über das rumänische Unterrichtswesen wird immer wieder geklagt. Dass ständig Reformen angekündigt werden, die dann ihrerseits rückgängig gemacht oder weitere Veränderungen erfahren, ist eine Tatsache, die alle Beteiligten – die Schüler und ihre Eltern auf der einen Seite und die Lehrkräfte auf der anderen – unzufrieden stellt. Es ist eindeutig nicht nur eine Frage die mit mehr Geld, das heißt bessere Ausstattung, neue Schulen, bessere Entlohnung der Lehrkräfte und des Verwaltungs- und Hilfspersonals gelöst werden kann. Die Forderung für mehr Geld aus dem Staatshaushalt für Erziehung (sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes) ist berechtigt. Gleichzeitig soll die Ausbildung und die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer verbessert werden. Sie müssen wissen, wie sie mit modernen Lehrmitteln umgehen und neue Lehrmethoden anwenden. Dass das noch lange nicht klappt, hat die Corona-Pandemie aufgedeckt. Fast überall war man erleichtert als der Online-Unterricht wieder durch den Präsenzunterricht ersetzt wurde. Es scheint, dass man mit allen Mitteln verhindern will, auf Dauer online zu unterrichten. Nicht nur weil auf dem Lande die technische Infrastruktur nicht zufriedenstellend gesichert werden kann, sondern weil zu viele Lehrer sich schwer tun mit der ganz neuen Unterrichtsmethode. Mehr noch, viele glauben gar nicht, dass sie dem Präsenzunterricht als gleichwertig gesetzt werden kann.
Ein Kernproblem bleibt nicht nur, wie unterrichtet wird, sondern auch was und wieviel davon den Schülern beginnend mit der Vorschulklasse bis zur 12. Klasse beigebracht werden muss. Wenn dann der Leistungsdruck hinzukommt, die sogenannte „Jagd nach Bestnoten“, wird der Stress zum ständigen Begleiter. Die hohe Rate des Schulabbruchs auf dem Lande, die Integrierung der Schüler aus Roma-Familien oder jener die verschiedene Behinderungen aufweisen, sind weitere problematische Kapitel die zum schlechten Image der rumänischen Schule beitragen.
Selbstverständlich gibt es Ausnahmen in Form von Kollegs, Schulen und sogar Kindergärten die als Erziehungsanstalten von hohem Niveau gelten und die einen guten Ruf zu verteidigen haben. Das Kronstädter Honterus-Nationalkolleg ist eine jener Schulen die weiterhin einen guten Ruf hat und die dank dem deutschsprachigen Unterricht, trotz manchen Abstrichen und Schwierigkeiten in der Besetzung von sprachkompetenten Fachlehrern, eine Sonderstellung genießt. Aber auch da wünscht man sich mehr, und zwar eine deutsche Spezialabteilung wo die Abiturprüfung nach deutschen Normen abgelegt und dann auch anerkannt werden soll. Das Erreichen dieses Zieles scheint jedoch noch in der ferneren Zukunft zu liegen.
Angesichts dieser Schwächen in der rumänischen Schule ist es keine Überraschung, dass der sogenannte Nachhilfeunterricht einen Ausgleich bieten soll. Diese Nachhilfestunden sind in der Regel nicht kostenlos und sind in jenen Fächern besonders gefragt die als Prüfungsfächer bei Aufnahmeprüfungen oder beim Bakk gelten. Die Hausaufgaben-Hilfe nach dem regulären Unterricht (der englische Begriff lautet After School) die privat geboten wird, kommt diesem Nachhilfeunterricht nahe und stellt gleichzeitig ein zusätzliches Einkommen für viele Lehrer dar, wobei, laut Regeln des Unterrichtsministeriums, der Nachhilfeunterricht erklärt und besteuert wird und nicht mit den eigenen Schülern abgehalten werden darf.
Schon kurz nach 1989 erschienen die ersten Unterrichtsformen einer alternativen Erziehung (z.B. Waldorf oder Montessori). Oft, auch in Kronstadt, konnten sie sich behaupten und sind inzwischen auch offiziell anerkannt. Außer ihnen wurden weitere private Kindergärten und Schulen gegründet. Laut Angaben des Kronstädter Kreisschulinspektorats funktionierten im vorigen Unterrichtsjahr in Kronstadt neun private Kindergärten. Bemerkenswert ist, dass in zwei Burzenländer Gemeinden (Honigberg und Petersberg) inzwischen auch je ein privater Kindergarten besteht. Eine Sondersituation stellen jene privaten Kindergärten dar, die nicht unter dieser Bezeichnung beim Schulamt figurieren, weil sie nicht offiziell autorisiert bzw. akkreditiert wurden. Deshalb sind sie als Vereine oder andere Organisationen eingetragen die Aktivitäten mit Kindern, Entwicklung der Kinder, Kinderclub usw. als ihr Tätigkeitsfeld angeben, die aber eigentlich die üblichen Aufgaben eines Kindergartens erfüllen. Wenn, wie es beim Unterrichtsministerium beschlossen wurde, bald auch der Unterricht in allen Kindergartengruppen verpflichtend sein soll, wird es solchen Vereinen schwieriger sein, weiterhin in der heutigen Form und Struktur zu bestehen.
Private Grundschulen und Mittelschulen gibt es ebenfalls in Kronstadt: außer Schulen mit den Methoden Waldorf und Montessori sind das die Schulen PREMS und „Jules Verne“. In diesen Schulen, denen ab September die Rumänisch-Finnische Schule ERI mit Sitz im Saturn-Boulevard 45 hinzukommt, soll das angeboten werden und vorzufinden sein, was im staatlichen Unterricht zu oft noch vermisst wird: weniger Schüler in einer Klasse (z.B. 18 im Grundschulunterricht), gute Ausstattung, moderne Unterrichtsmethoden mit gut ausgebildeten Lehrkräften, mehr Fremdsprachenunterricht, viele außerschulische Aktivitäten, Förderung der persönlichen Entwicklung jedes Schülers. Solche Privatschulen können sich nur jene Familien leisten die über überdurchschnittliche Einkommen verfügen. Ein Monat in so einer Schule kostet die Eltern mindestens 2000 Lei, wobei auch weitere Gebühren für Ausstattung, für verschiedene Sonderprogramme und Freizeitaktivitäten hinzukommen.
Eines besonders guten Rufes erfreut sich europaweit das finnische Schulsystem das bei den PISA-Studien immer wieder hervorragend abschneidet. Laut der finnischen Schulentwicklungsforscherin Marja Martikainer können in dem Bildungssystem ihres Landes folgende sieben Kernkompetenzen identifiziert werden:
- Denken und das Lernen lernen
- Kulturelle Bildung, Interaktion und Ausdruck
- Auf sich selbst achten, Alltagskompetenzen und Sicherheit
- Multiliterarität, Lesekompetenz
- ICT-Kompetenz bzw. digitale Kompetenz
- Kompetenzen fürs Arbeitsleben und Unternehmertum
- Beteiligung, Einfluss und Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft.
Seit 2020 sind Elena Lotrean und Radu Szekely (ehemaliger Staatssekretär im Unterrichtsministerium im Regierungskabinett Cî]u) Vorkämpfer für Verwendung finnischer Unterrichtsmethoden in rumänischen Schulen. Dabei soll das rumänische Curriculum (Lehrplan für Ziele, Inhalte, Prozesse und Organisation im Lernen) eingehalten werden – eine Grundvoraussetzung die erfüllt werden musste um von der Rumänischen Agentur für Sicherung der Qualität im Unterricht (ARACIP) anerkannt zu werden. In Kronstadt meldete man in Person des Bürgermeisters Allen Coliban Interesse und Unterstützung für Reforminitiativen nach finnischem Vorbild. PREMS versucht dieses Vorbild umzusetzen; die rumänisch-finnische Schule ERI (dieses ist das finnische Wort für „anders“) beginnt den Unterricht im September als Privatschule mit je 18 Schülern in einer Vorschulklasse und einer ersten Klasse.
Wie nun anders, also besser, unterrichtet werden soll, darüber sprach Elena Lotrean bei einer von „Finnish Teacher Training Center“ organisierten kostenlosen Veranstaltung am 7. Juli vor rund 50 Erzieher/innen und Manager/innen Kronstädter Kindergärten. Es ist ein weiterer Schritt für diese Methoden zu werben, ein Versuch Reformen umzusetzen. Dass dabei gleichzeitig die Kronstädter ERI-Schule als Beispiel gelten soll, müsste ein Nebeneffekt und nicht Hauptzweck solcher Bestrebungen sein.