„15. Juli-Bier trinken mit Dorfbewohnern vor dem Magazin Mixt im Dorfzentrum. 16. Juli- Ausflug nach Sovata 17. Juli-Techno-Party beim Nachbarn“. An einem Vormittag mit strahlender Sonne haben zwei deutsche Touristen das Ferienhaus „Casa Lisa“ aus Reußdorf nach zwei Wochen Urlaub verlassen. Die beiden haben einen handgeschriebenen Zettel mit kurzen Tagebuch-Einträgen für den Inhaber hinterlassen. Anscheinend haben sie sich im siebenbürgischen Dorf wie zu Hause gefühlt.
„Nicht jeder passt hierher. Die beiden waren aber ganz schnell integriert“, meint der Österreicher Christian Harfmann, der das Ferienhaus betreibt. Seiner Meinung nach sollte man wenigstens zwei Wochen hier verbringen, damit man den Charakter des Dorfes wirklich wahrnimmt. Manche ausländischen Touristen waren sogar ein paar Monate lang hier. Wie das australische Schriftsteller-Ehepaar, dass während der Zeit im Dorf an einem Roman gearbeitet hat und am Ende jeden Dorfbewohner kannte. „Sie haben mir eine sehr nette Abschiedskarte geschrieben und meinten, sie werden mich in Australien in einem Buch verewigen“, erzählt Harfmann. In 20 Jahren, seitdem er Tourismus betreibt, haben laut seinen Aussagen mehr als 15.000 ausländische Touristen (die meisten davon aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) Rumänien kennen und lieben gelernt. Die unangetastete Natur, die malerischen Dörfer, die Gastfreundlichkeit der Menschen, die frische Luft und die leckeren Speisen- so etwas kann man kaum noch an anderen Orten Europas erleben. Für Christian Harfmann war der Charme der siebenbürgischen Dörfer ein Grund, hier zu bleiben. Er ist seit fast 15 Jahren nach Reußdorf (rumänisch: Cund) gezogen und hat sich zum Ziel gesetzt, mit seinem Projekt Casa in Natura eine Unterstützung zur nachhaltigen touristischen Entwicklung der ländlichen Regionen Rumäniens aufzubauen.
Eselreiten, im Teich schwimmen und bei Kerzenlicht essen
140 Einwohner, zwei Straßen, bunte Häuser und ein bewaldeter Hügel, der sich über das Dorf erhebt. Das ist Reußdorf/Cund, etwa 30 Kilometer von Schäßburg und 30 Kilometer Kilometer von Mediasch entfernt. Um hier anzukommen, muss man auf einem teilweise unasphaltierten Weg fahren. „Für ein so kleines Dorf tut sich hier einiges“, meint Christian Harfmann. Wir sitzen im Garten bei The donkey farm, haben gerade die acht Esel und das Maultier fotografiert und gestreichelt und kosten den Birnenschnaps, den der Österreicher selbst gemacht hat und der ausgezeichnet schmeckt. Es ist wirklich viel, was Reusßdorf zu bieten hat. Wenn man auf den Hügel über dem Dorf steigt, kann man alles von oben sehen: Valea Verde Resort, wo man unter anderem bei Kerzenlicht ein Gourmet-Abendessen genießen und in einem kleinen Teich schwimmen kann, die Käsemanufaktur, wo es lokal produzierten Camenbert gibt, das kleine Spa-Gebäude auf dem Hügel gegenüber, ein Glamping-Zelt, wo man unter dem Sternenhimmel schlafen kann. Und natürlich „The donkey farm“, Deutsch „Die Eselfarm“, also den Ort, wo wir uns gerade befinden. Die Initiativen stammen von verschiedenen Menschen, doch sie verfolgen dasselbe Konzept: die siebenbürgisch-sächsichen Dörfer, aus denen die meisten Bewohner weggezogen sind, sollen durch Tourismus wiederbelebt werden.
Der erste online-Reiseführer über Rumänien
Das erste Mal kam Christian Harfmann Anfang der 90er Jahre mit Hilfstransporten nach Rumänien, in die Dörfer aus der Nähe von Sovata. Damals sah alles ganz anderes aus, es gab viel Elend und Armut. Aber er wollte mehr vom Land sehen und erkundete es auf eigene Faust. Er erinnert sich, dass er damals Schäßburg enteckt hat, „es war noch ganz untouristisch doch faszinierend, eine versteckte Perle“. Schließlich hat er begonnen, jährlich ein paar Reisen nach Rumänien zu unternehmen, das Land zu erforschen und alle Informationen auf einen online-Reiseführer zu stellen. Damals hatte Harfmann noch eine Werbeagentur in Österreich und konnte somit sein Interesse an Rumänien mit dem Webdesign und seinen Marketing-Kenntnissen verbinden.
„Ich habe den ersten online-Reiseführer über Rumänien erstellt und ich traf gleich zwei Fliegen auf einen Schlag: erstens hatte ich zu Hause eine Beschäftigung, und zweitens habe ich Gründe gehabt, diese und jene Region zu besuchen. So habe ich in den ersten Jahren Rumänien ganz gut kennengelernt. Mir hat Siebenbürgen natürlich am besten gefallen, aber das ist sehr wahrscheinlich, weil man ja diesen Bezug hat zur Geschichte, zur Tradition. Meine Großeltern waren Donauschwaben, sie sprachen einen ähnlichen Dialekt wie Siebenbürger Sachsen, hatten ähnliche Bräuche, ähnliche Speisen. Es kam mir vieles bekannt vor. Für mich war es die Region mit dem meisten Heimatgefühl. Und dann kam eben über diese Website viel Interesse und immer mehr Leute fragten mich, ob ich nicht auch eine Reise organisieren würde: <wir würden gerne nach Rumänien, aber so alleine trauen wir uns nicht>“.
Am Anfang arbeitete Harfmann mit einer Reiseagentur aus Hermannstadt zusammen. Mit den ersten deutschen Reisegruppen ging es dann nach Siebenbürgen. Klassische Rundreisen kamen erst später dazu. Er erinnert sich, dass es 2007-2008, als Rumänien der EU beitrat und Hermannstadt europäische Kulturhauptstadt wurde, einen riesigen Boom an Anfragen gab. „Ich war Tag und Nacht beschäftigt, Reisen zu organisieren. Und war plötzlich viel öfter in Rumänien. Aus 2-3 Mal im Jahr wurden dann 6-7 Reisen pro Jahr, und dann beschloss ich im Jahr 2008, hier zu bleiben“.
Nach Reußdorf kam er, nachdem Jonas Schäfer, der Besitzer des Ressorts „Valea Verde“, der schon seit ein paar Jahren hier lebte, ihn über das Internet fand, anrief und fragte ob er nicht ein Haus in diesem Dorf kaufen wolle. Harfmann kaufte es nicht, aber dann kaufte er nach ein Paar Tagen ein anderes. Er wollte ursprünglich nur ein paar Wochen in Reußdorf bleiben, doch dann kam auch die Liebe dazu. Und er traf die Entscheidung, hier zu bleiben. Die überhaupt nicht einfach war. „In meinem Leben passiert nichts nach Plan. Es kommt einfach so“.
400 Obstbäume und ein Bio-Garten
Reußdorf war ursprünglich ein 100% siebenbürgisch-sächsisches Dorf. Während des Kommunismus wurde hier eine Landgenossenschaft (CAP) gegründet und Leute aus anderen Regionen wurden angesiedelt. Der Großteil der Siebenbürger Sachsen sind dann in den 90er Jahren (die meisten nach 1995, also später als andere) nach Deutschland ausgewandert. „Manche von ihnen haben ihre Häuser behalten, kommen im Sommer ins Dorf und leben, so wie es früher war. Einer von ihnen hat sich dann in der Rente entschieden, ganz zurückzukehren“. Andere wiederum haben ihre Häuser verkauft.
„Damals gab es in Rumänien keine Ferienhäuser. Man konnte zwar in Pensionen und Hotels wohnen, aber man konnte kein Haus in einem Dorf mieten. Meine Idee war, eine Plattform mit Ferienhäusern aus ganz Rumänien aufzubauen, die gemietet werden können. Dafür habe ich mein eigenes Ferienhaus im Dorf, Casa Lisa, als Modellhaus renoviert. Erfahrungen mit Renovierungen hatte ich schon in Österreich gesammelt“.
Harfmann besitzt inzwischen außer dem Ferienhaus „Casa Lisa“ vier ehemalige Bauernhäuser in einer Reihe. „In einem wohne ich, im anderen ist mein Wirtschaftshof, das hier ist ein Gästehaus und das hintere ist noch ohne Funktion. Der Hauptgrund, dass ich sie gekauft habe ist:ich brauche einen großen Garten für die Tiere. Jetzt im Juli gibt es kein Gras mehr, dann muss man den Eseln Heu geben. Jeder Esel braucht etwa eineinhalb Tonnen Heu pro Jahr. Und sie brauchen Auslauf. Was mich also an diesen Häusern gereizt hat, waren die Gärten“.
Er hat keine eigenen Angestellten und kümmert sich selbst um die Touristen. Er bereitete Frühstück und Abendessen vor, organisierte Reisen, oft musste er auch die Ferienhäuser selbst putzen, die Wäsche waschen und bügeln, da er im Dorf keine Arbeitskräfte dafür fand- alle sind beim Ressort „Valea Verde“ angestellt und das ganze Jahr hindurch beschäftigt. Dazu kamen noch die vielen Wege zu den Behörden. „Noch vor Corona habe ich gesagt: ich will nicht mehr so leben, es ist ständig Stress, im Sommer sind alle Leute im Schatten gesessen und ich bin herumgerannt. Ich habe also beschlossen, weniger zu machen, damit ich persönlich mehr Lebensqualität habe und dann ist die Pandemie gekommen“. Das Glamping-Zelt auf dem Hügel bietet er nur mit Halbpension an, kocht abends und bereitet das Frühstück vor- nur mit natürlichen Zutaten aus dem Dorf. Im Zelt kann man auch nur für eine Nacht bleiben, doch das Ferienhaus wird für mindestens eine Woche gebucht. Auch wenn er nicht Touristengruppen organisiert, hat der Österreicher viel zu tun. Er hat 23 Hektar Land, die er alleine bearbeitet, 400 Obstbäume, viel Wiese wo er sein Heu selbst macht und einen Bio-Garten mit einem kleinen Gewächshaus. Die Leute, die im Ferienhaus wohnen, versorgen sich selbst. Gemüse bekommen sie von Harfmann, frischen Schafskäse bringt eine Frau von der Schafsherde.
Der einzige Ort in Rumänien, wo man Eselwanderungen machen kann
Die ersten Esel hat Harfmann im Jahr 2015 angeschafft, kurz nachdem er seinen kleinen Laden in Schäßburg, wo er Smoothies, gesunde Säfte und authentische Souvenirs verkauft hat, aufgegeben hat. „Ich mag, mit Tieren zu leben, aber ich habe auch in Marketing-Dimensionen gedacht: was hat Reußdorf? Es gibt keine Kirchenburg, keine Berge, keinen See. Es muss etwas Spezielles sein, damit es einen Grund gibt, her zu kommen“.
Eselwanderungen sind in Deutschland und Frankreich sehr beliebt, in Rumänien fast unbekannt. Im Apuseni-Gebrige gab es einen Belgier, der ab und zu solche Ausflüge organisierte, doch er hat damit aufgehört. Sie sind für alle interessant, die sich gerne in der Natur aufhalten, den Urlaub aktiv gestalten, traumhafte Naturkulissen bewundern wollen und dabei gerne einen tierischen Freund als Begleitung haben. Auch mit Kindern ist es besonders spannend, weil die Esel den Kleinen die Lust am Wandern schenken.
„Die Idee ist, dass man mit dem Esel spaziert, man führt ihn wie einen Hund an der Leine. Und trotzdem ist es ganz anders, als alleine zu gehen. Das Tier hat bestimmte Bedürfnisse, man muss es überreden, falls es nicht mehr weitergehen will. Wen er Gefahr wittert, bleibt ein Esel stehen. Er kann auch 20 Minuten lang stehen bleiben. Es gibt natürlich Tricks, um ihn dann zu überzeugen, weiter zu gehen. Das kann ganz lustig sein“.
Auf seiner Webseite www.transylvaniatravel.net bietet Christian Harfmann zwei Möglichkeiten an, mit Eseln zu wandern: Einen Halb- oder Ganztagsausflug oder eine mehrtägige Wanderung, die durch verschiedene Dörfer führt. Man wandert einen Tag lang, kommt am Abend an einer Pension an, wo man zu Abend isst und wo die Esel versorgt werden. Am nächsten Morgen geht es wieder weiter, mit Lunchpaket für ein Picknick. „Diese mehrtägigen Wanderungen sind relativ riskant. In unseren Wälder sind Bären, es gibt auch auf dem Dorf viel Straßenverkehr, man muss dauernd Eisenbahnlinien überqueren. Und die größte Gefahr sind die Hirtenhunde“. Bei den mehrtägigen Wanderungen kommt Harfmann normalerweise nicht mit, aber er schätzt die Gruppe ein und achtet darauf, dass es selbstständige Leute sind, die in einer Gefahrsituation gut reagieren. Nicht nur Hunde oder Bären stellen Gefahren dar, es kann auch schwierig werden, wenn es regnet und im Wald alles glitschig und matschig ist. „In Frankreich ist Eselreiten ein Spaziergang, hier in Rumänien ist es ein Abenteuer“.
Für die mehrtägige Reise braucht man eine Woche. Die Touristen werden vom Flughafen abgeholt, am ersten Tag besuchen sie Schäßburg und dan gibt es einen Einführungstag mit Eseln in Reußdorf. Erst am dritten Tag kann man los. Man übernachtet drei Mal in verschiedenen Dörfern und am letzten Abend wieder in Reußdorf. Eine Woche mit kompletter Verpflegung kostet 450 Euro pro Person. „Es sind keine Spitzenhotels, wo man übernachtet, aber das würde auch nicht zur Idee passen. Alles ist sehr persönlich, die Inhaber der Partner-Pensionen sind sehr gastfreundlich. Am Ende sind die Touristen erschöpft, aber begeistert“.
Bei den eintägigen Wanderungen geht auch Harfmann mit der Gruppe mit. „Die Landschaft um Reußdorf ist ja sehr schön: wir haben alles, Feld, Wiesen, Wälder und ich wähle die Route aus, je nachdem wie das Wetter ist und wie ich die Gruppe einschätze. Inzwischen weiß ich, wo man am besten geht. Und wir wurden noch nie von einem Hund angegriffen und haben noch nie einen Bären getroffen“.
„Wie ein riesiges Freilichtmuseum“
An den den Eselwanderungen nehmen meistens ausländische Touristen teil. Und auch Ferienwohnungen werden hauptsächlich von Ausländern gemietet. Wegen der Corona-Einschränkungen in den letzten zwei Jahren ist ihre Zahl jedoch gesunken. Um auch rumänische Touristen anzuziehen, gab es letztes Jahr bei „The donkey farm“ jeden Sonntag ein „offenes Haus“. Man konnte im Hof Kaffee trinken und die Esel streicheln. In diesem Jahr dachte Harfmann, dass es wieder mehr Touristen aus dem Ausland geben wird. Und dann kam der Krieg in der Ukraine. „Viele Leute haben ihre Reservierungen storniert oder fragen, ob man überhaupt noch nach Rumänien reisen kann. Die deutschen Medien haben anscheinend dauernd Interesse, im Osten etwas Gefährliches zu finden. Das war schon immer so. Die Geschichten mit den kommunistischen Kinderheimen kennt jeder, aber das Gute kennt fast niemand“, meint der Österreicher. Als er zum ersten Mal nach Rumänien kam dachte er auch, dass es hier nur Plattenbauten gäbe und war dann völlig überrascht: „Das war wie ein riesiges Freilichtmuseum. Das Bilderbuchhafte stellen sich die Leute nie vor, sie denken hier findet man nur Industrie, Korruption und Kriminalität“.
„Ein wahnsinniger Schatz, den man so leichtfertig nicht aufgeben müsste”
Schon als er in den 90er Jahren mit Hilfstransporten nach Rumänien kam, merkte er, dass es auf Dauer keine wirkliche Hilfe ist. „Ich habe gedacht: Wenn wir so weitermachen, machten wir die Leute zu Bettlern. Es stehen dann alle da, und jeder braucht und braucht, und alle warten, dass sie die Dinge umsonst bekommen. Das ist keine Hilfe. Was man Gutes tun kann, ist das Image Rumäniens im Ausland zu verbessern. Jeder der Touristen hat dieses gute Image weitergetragen“.
Sich selbst sieht Harfmann nicht als Tourismus-Unternehmer. „Ich bin ein Mensch, der sein Leben gewählt hat, so wie es ihm am besten passt und andere Leute mit dazunimmt für eine gewisse Zeit“. Er hat Rumänisch gelernt und meint, dass er sich in Siebenbürgen zu Hause fühlt.
Auf seiner Webseite bewirbt er die Gegend um Reussdorf als die „Toskana Osteuropas“. Als einer der Pioniere für Dorftourismus in Rumänien glaubt er, dass eben die ländliche Gegend das Besondere an unserem Land ist. „Es gibt in Österreich kaum einen Ort, an dem man steht und nicht ein Strommast, eine Autobahn oder ein Haus sieht. Hier in Rumänien hat man noch unheimlich viel Natur. Wenn man in ein österreichisches Dorf geht, sieht es eher aus als eine Vorstadt, es gibt überhaupt keinen Dorfcharakter mehr. Hier ist es noch ganz anders. Leider merken es viele Rumänen nicht. Es ist ein wahnsinniger Schatz, den man so leichtfertig nicht aufgeben müsste“.
Wie unterhalten uns weiter beim köstlichen Birnenschnaps und merken zwei Sachen: immer, wenn er über Rumänien redet, sagt Christian Harfmann „Hier bei uns“. Und immer, wenn er über den Charme der Dörfer redet, benutzt er das Wort „noch“. Noch ist es gut hier, bei uns.