Ein August-Vormittag im Dorf Deutsch-Weisskirch. Am Himmel haben sich Wolken angesammelt. Es riecht nach frischem Gras. Auf dem Dorfweg verkehren Pferdekutschen, Jeeps, Kühe und Touristen mit Fotoapparaten. Ab und zu bleiben sie stehen und fotografieren die restaurierten Häuser. Manche der Gebäude sehen aus, als ob sie aus einem Märchenbuch herausgeschnitten wären. An vielen Toren sind bunte Socken, Hüte und Pantoffeln aus Filz, Tücher aus Spitze und bestickte Kleider angebracht. Bunt und lebensfroh- so empfängt das kleine Dorf im Herzen Siebenbürgens seine Gäste.
Die Londoner Mihai-Eminescu-Stiftung bemüht sich seit Jahren um die Erhaltung der Kirchenburg und der Bausubstanz des Dorfes. Doch der Charme der kleinen Ortschaft ist auch der Verdienst seiner Einwohner. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Siebenbürger Sachsen, Roma, Ungarn und Rumänen, die hier wohnen, das Dorf mit vereinten Kräften zum Leben erweckt.
„Die Siebenbürger Sachsen lassen Sie herzlich willkommen“
Am Donnerstag, dem 11. August, war Deutsch-Weisskirch Gastgeber einiger Veranstaltungen im Rahmen der „Kulturwoche Haferland“, zusammen mit den Ortschaften Schwei-scher, Reps, Keisd, Radeln, Deutsch-Kreuz, Klosdorf und Meschendorf. Die Veranstaltungsreihe, die in diesem Jahr seine vierte Auflage erreicht hat, ist das größte Event landesweit, das den siebenbürgisch-sächsichen Traditionen gewidmet ist. Organisatoren der Kulturwoche, die vom 10. bis zum 15. August stattfand, waren in diesem Jahr die Stiftungen „Michael Schmidt“, „Tabaluga“, „Adept“, „Mihai Eminescu Trust“ und der Verein der Siebenbürger Sachsen aus Deutschland. Die Auswahl an Veranstaltungen war auch in diesem Jahr mannigfaltig: ein Besuch im Altersheim Schweischer, ein Schreinereiworkshop, Ausstellungen, Filmvorführungen, ein mittelalterliches Fest, Tänze, Fotografieausstellungen, Märkte mit regionalen Produkten, geführte Wanderungen, Orgelkonzerte, Mittagsessen mit siebenbürgisch-sächsichen Gerichten, traditionelle sächsische Musik und Tänze, Fahrradoturen, ein Siebenbürgisch-sächsicher Ball mit Livemusik und Feuerwerk, Bogenschießenwettbewerb und Lagerfeuer standen unter anderem im Programm. Das Motto der diesjährigen Auflage lautete „ Die Siebenbürger Sachsen heißen Sie in ihrer Familie herzlich willkommen!“.
Die Initiatoren der Veranstaltungsreihe, die zum ersten Mal 2013 organisiert wurde und nun schon zur Tradition geworden ist, sind der gebürtige Deutsch-Kreuzer Geschäftsmann Michael Schmidt und der aus Kronstadt stammende Starmusiker Peter Maffay. Das Projekt wurde ins Leben gerufen, um die zahlreichen mit der deutschen Minderheit verbundenen Organisationen vor Ort miteinander zu vernetzen und die Besucher auf das große touristische Potenzial des Haferlands aufmerksam zu machen. Der Name der Gegend, die im Mittelpunkt eines imaginären Dreiecks liegt, das von den Städten Hermannstadt, Schäßburg und Kronstadt gebildet ist, ist dadurch zu erklären, dass sich hier wegen dem rauen Wetter die Bauern auf Haferanbau spezialisiert haben. Ganz anderes als seine Nachbarortschaften, die im Rahmen der Haferlandwoche beworben werden, ist Deutsch-Weisskirch schon ein Touristenmagnet. Wenn man im Falle von anderen Dörfern über ein „Potenzial“ redet, ist es bei Deutsch-Weisskirch schon längst Gewissheit: laut den letzten ofiziellen Daten ist es das meistbesuchte Dorf Rumäniens.
Das meistbesuchte Dorf Rumäniens
Das kleine Dorf, das zwischen Kronstadt und Schäßburg liegt, ist an Touristen gewöhnt. Im Vorjahr kamen über 32.000 Besucher von nah und fern. Das ist 70 Mal mehr als die Einwohnerzahl der Ortschaft, die weit über die Landesgrenzen bekannt ist. Etwa als „Dorf der Socken“ oder als „Dorf des Prinzen“. Der prominenteste Besucher, Prinz Charles von Wales, Schirmherr des „Mihai Eminescu Trust“, hat viel zum Ruhm des Dorfes beigetragen. Der Grund, warum er und die Touristen Deutsch-Weisskirch lieben: hier scheint es, dass die Zeit stehen geblieben ist. Weit weg von der Hektik des Alltagslebens fühlt man sich frei.
Allein ins Dorf zu gelangen, ist ein ganzes Abenteuer. Von Bodendorf auf der Hauptstraße DN13, die nach Schässburg führt, biegt man links ab und kommt auf eine holprige und löchrige Asphaltstraße. Acht Kilometer lang versucht man, die Krater im Asphalt zu vermeiden. Warum die Behörden diese Straße nicht endlich reparieren, bleibt ein Rätsel. In etwas besserem Zustand ist die 7 Kilometer lange Schotterstraße aus der Ortschaft Stein neben Reps. Auch die Landschaft, an der man vorbeifährt, ist schöner. Touristen scheint aber nicht abzuschrecken, dass die Wege, die nach Deutsch-Weisskirch führen, schlecht sind. „Umso besser“, meint ein Tourist aus Bukarest, der schon zum zweiten Mal in diesem Jahr da ist. „Dann kommt nicht jeder her“. Auf der Straße, die zur Kirchenburg führt, folgt eine Touristengruppe der anderen. Man hört die Leute Englisch, Spanisch, Deutsch, Tschechisch und Polnisch reden. „Die vielen Touristen sind nicht unbedingt wegen der Haferlandwoche da. In den Sommermonaten ist das für Deutsch-Weisskirch normal. Über 300 Besucher kommen täglich in die Burg“, meint Caroline Fernolend, Krtonstädter Kreisrätin und Vizepräsidentin des Mihai Eminescu Trust. Die Kirchenburg und der Dorfkern von Deutsch-Weisskirch wurden 1999 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Die Kirche wurde auf den Grundmauern der romanischen Kirche einer Szekler-Siedlung errichtet. Um 1500 wurde sie zur Wehrkirche umgebaut. Die sieben Meter hohe Ringmauer aus dem frühen 16. Jahrhundert wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts mit bis heute erhaltenen Kampfhäusern, Wehrtürmen und Wehrgängen aufgerüstet.
In die UNESCO-Liste aufgenommen
Das Museum in der Kirchenburg von Deutsch-Weißkirch erzählt vom Alltag der Siebenbürger Sachsen. Etwa vom Speckturm, in dem bis in die 90er Jahre der Speck und auch der Schinken der Familien aus dem Dorf aufbewahrt wurde, weil er hier wegen der konstanten Temperatur am besten haltbar war und weil man keine Kühlschränke oder Gefriertruhen besaß. „Die Schwarte von der Speckseite wurde mit der Hausnummer der betreffenden Familie voll beschrieben und das hatte folgenden Grund: jeden Sonntag Morgen um 7 Uhr wurde der Speckturm von den Kirchenvätern aufgesperrt, damit jeder sich ein Stück Speck holen konnte. Vor dem Ausgang wurde das Stück Speck den Kirchenvätern vorgezeigt, damit sie sich überzeugen konnten, dass derjenige von seiner Speckseite, wo seine Hausnummer draufstand, abgeschnitten hatte. Dieses Stück musste eine Woche lang reichen, da keiner außerhalb dieser ausgemachten Zeit zum Speck kommen konnte“, steht es auf einem Blatt Papier, das an der Wand befestigt wurde.
Über die Specktürme in den Kirchenburgen als Vorratslager aber auch über die Bräuche und Traditionen im Dorf und den Alltag der Siebenbürger Sachsen erzählt eine Ausstellung in einem Museum, das in der Kirchenburg eingerichtet wurde. Man kann sowohl siebenbürgisch-sächsische Trachten als auch verschiedene Gegenstände besichtigen, darunter Vasen, Webstühle, bemalte Truhen, bestickte Kissen, ein Spinnrad, ein alter Wecker, Bücher, Zeitungen, altes Geld und ein Kinderwagen. Alle zeugen von einem Stück Geschichte. „Betreten des Turmes auf eigenes Risiko“ steht auf einem Plakat in der Kirche. Es scheint tastächlich etwas gefährlich, auf den schmalen Treppen in den Kirchturm zu steigen. Oben wird man jedoch mit einer wunderschönen Aussicht auf das Dorf und die Umgebung belohnt. Man kann sich kaum sattsehen von den grünen Feldern, Hügeln, Wiesen und Wäldern, die das Dorf umgeben.
In einem der Räume in der Kirchenburg kann man eine besondere Ausstellung der Künstlerin Imola Feldberg Popescu besuchen. Die surrealistischen Bilder in meist dunklen Tönen erzählen bizarre Geschichten. Es werden meistens Träume dargestellt. Die in Kronstadt geborene Malerin hat 15 Jahre in Südafrika verbracht und ist seit einigen Jahren nach Rumänien zurückgekehrt. Sie hat sich ein Haus in Deutsch-Weisskirch gekauft, wo sie heute lebt und arbeitet. „Viscri 8 Studio Gallery“ ist immer einen Besuch wert, falls man nach Deutsch-Weisskirch kommt. Man kan hier mehrere Werke der Künstlerin bewundern und sich auch mit ihr unterhalten. Im Rahmen der Haferland-Woche hat Feldberg-Popescu einen Malerei-Workshop mit Kindern auf dem Pfarrhof organisiert. Die jungen Maler haben Portraits, Landschaften oder ganze Geschichten gemalt.
Bertram-Suppe und Blasmusik in der Scheune
In der Scheune auf dem Pfarrhof geht es zur Mittagszeit besonders fröhlich zu. Um 13 Uhr sind fast alle Tische besetzt, die Blaskapelle spielt und es riecht nach gutem Essen. Aus riesengroßen Töpfen wird Suppe eingeschenkt. Die traditionelle sächsische Suppe mit Bertram, Kartoffeln, Tomaten, Bohnen, Essig und Rindfleisch (Bertram-Kächen genannt) schmeckt köstlich. Dazu nimmt man rohe Zwiebeln und frisches Brot. Die Blaskapelle, die in der Scheune spielt, wurde schon im Jahr 1777 gegründet und kommt aus Altensteig im Schwarzwald. Die Musikerinnen und Musiker bieten ein breit gefächertes Repertoire: von volkstümlicher Unterhaltungsmusik über Filmmusik bis hin zu Musicalmelodien. Sogar aus der rumänischen Rhapsodie von George Enescu spielen sie ein paar Sätze. Auch andere Höfe stehen für die Besucher weit offen: hier werden Stickereien, Gemälde, traditionelle Produkte und die berühmten Viscri-Wollsocken verkauft.
Unter manchen Bäumen am Straßenrand sieht man Frauen mit Häkelnaden und Wolle in der Hand, die auf Stühlen sitzen und arbeiten. Als wir auf einer Bank eine Pause einlegen, kommt eine Frau aus dem Haus gegenüber. „Brauchen Sie vielleicht ein Paar Socken?“, fragt sie und hält eine riesengroße graue Wollsocke hoch. „Nummer 44“, meint sie. Etwa 90% der Socken werden für den Export hergestellt, der Rest wird im Dorf oder in ein paar Läden in Kronstadt und Schäßburg verkauft. Inzwischen sind es nicht nur Wollsocken, sondern auch bunte Pantoffeln und Hüte aus Filz, Pullover, Schals, Mützen und Handschuhe, die hier hergestellt werden. Alle haben sich zu gefragten Exportgütern entwickelt und bringen jährlich zehntausende Euro an Umsatz. Auch Honig und Konfitüre werden am Straßenrand verkauft. Dabei handelt es sich um Produkte, die in Deutsch-Weisskirch oder Umgebung hergestellt worden sind. Wie etwa der Honig der Marke „Königin Transylvaniens“, der vom orthodoxen Pfarrer aus Bodendorf hergestellt wird.
Der Nachmittag geht musikalisch weiter. Das im Programm angekündigkte Gospelkonzert in der Kirche wurde abgesagt, an seiner Stelle geben die Hermannstädter Musiker Jürg Leutert und Brita Falch Leutert ein Konzert mit norwegischer Musik. Für den Abend war ein Lagerfeuer auf dem Dumbrava-Hügel geplant. Leider zog der starke Regen einen Strich durch die Rechnung. Die Haferland-Woche ging in den nächsten Tagen in Kleisd und Radeln weiter. Der Hauptveranstaltung in Deutsch-Kreuz am Sonntag, dem 14. August folgte der Abschluss in Klosdorf und Meschendorf am Montag.