Bei der Kreuzung der Bukares-ter Straße mit der Carpa]ilor-Straße befindet sich auf der Grünfläche der Verkehrsinsel ein großes Gedenkkreuz aus Holz. Vor diesem ein Steinblock der an einen Sphinx erinnert und deshalb etwas rätselhaft erscheint. Ursprünglich, laut Internet-Angaben, sei diese Statue vor dem Hauptbahnhof gestanden und war als Teil einer Statuengruppe gedacht. Also kein direkter Bezug zur Arbeiterrevolte vom 15. November 1987.
Morgen sind es 37 Jahre seit diesem Protest. Deshalb sind dort sechzehn Tafeln aufgestellt worden mit Dokumenten, Fotos und Texten, die diesem Ereignis der jüngeren Kronstädter Geschichte gewidmet sind. Wenige Leute werden wohl Zeit und Geduld aufbringen, diese Texte zu lesen die zum Teil auch handschriftlich als schriftliche Erklärungen vor den damaligen Ordnungskräften verfasst wurden. Blumenkränze, Ansprachen, Andacht werden, wie in den Vorjahren, abgehalten und auch mehr oder weniger viele Leute zusammenbringen.
Der Verein „15. November“ hatte sich eigentlich ein richtiges Denkmal gewünscht. Das geschnitzte Holzkreuz sei kein Denkmal, das die Bedeutung jenes historischen Tages entsprechend hervorhebt, sagte vor fünf Jahren ein führender Vertreter des Vereins, der die meisten Teilnehmer an der Arbeiterrevolte (heute sind über 60 von ihnen Kronstädter Ehrenbürger) umfasst.
Seit damals hat sich in dieser Angelegenheit nichts geändert – wie auch im Falle des geplanten Denkmals für diejenigen unschuldigen Opfer der chaotischen Schusswechsel in und um den Sitz der heutigen Kreispräfektur nach dem 22. Dezember 1989.
Der Ort, an dem der 15. November traditionell begangen wird – eben diese Verkehrsinsel – ist nicht einem Zufall zu verdanken. Da nämlich erklang zum ersten Mal die heutige Nationalhymne „De{-teapt²-te române!“, die von den kommunistischen Machthabern nicht akzeptiert wurde, da sie als Aufruf zum Handeln gegen Missstände gelten konnte. An jenem 15. November 1987 (es war ein Sonntag, an dem auch Wahlen abgehalten wurden) war das auch tatsächlich der Fall. Die Kronstädter waren empört, weil ihr Lebensstandard ständig sank. Es herrschte ein Mangel an Grundnahrungsmittel, Stromunterbrechungen führten zu Dunkelheit und Kälte in den eigenen Häusern. Hinzu kam, dass in den Großbetrieben wie dem Lkw- oder Traktorenwerk der Lohn mit Verspätung und dann auch nicht vollständig ausgezahlt wurde – weil angeblich die Planvorgaben nicht erfüllt wurden. Und das wiederum war nicht möglich, weil Einsparungen und Stromunterbrechungen den Produktionsablauf durcheinander brachten. So kam es, dass die Demonstranten – die Arbeiter, die vom Lkw-Werk aus dem Steagul-Rosu-Viertel in Richtung Stadtzentrum losgezogen waren und denen sich immer mehr Kronstädter anschlossen – lauthals Brot, Wärme, ihr ehrlich verdientes Geld für sich und ihre Kinder forderten. Die sozialen Unzufriedenheiten, die gegen Werk- und Stadtverwaltung gerichtet waren, schwenkten um in politische Forderungen, die direkt gegen die kommunistische Partei und den allmächtigen Ceau{escu gerichtet waren. So etwas hatte es in Rumänien in einem öffentlichen Straßenprotest noch nie gegeben und dementsprechend groß war das Aufsehen im westlichen Ausland, als bekannt wurde, was in Kronstadt geschehen konnte.
Bekannt sind heute Namen von Personen, die damals ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt haben, die dann auch verhaftet und aus Kronstadt verbannt wurden. Es gibt auch die Namen der drei Studenten (C²t²lin Bia, Lucian Silaghi, Horia [erban) die eine Woche später ihre Solidarität mit den verhafteten Demonstranten bekundeten und daraufhin exmatrikuliert wurden. Einige hundert hatten damals ihre „Komfortzone“ verlassen und es gewagt, ein besseres Leben, eine lebenswerte Zukunft zu fordern.
Es waren keine Persönlichkeiten – es waren Menschen von der Straße, Arbeiter von den Werkbänken, Kronstädter aus den dunklen, kalten Wohnblocks – die diesen überraschenden Protest zustande brachten, ein Aufbegehren, das zwar nur wenige Stunden gedauert hat und auch mühelos niedergeschlagen wurde. Aber der 15. November hatte gezeigt, dass sich ein Wechsel anbahnt, dass das Ende der Diktatur nicht fern sein kann, dass nicht alles verloren war.