Am 23. Juni 2011 meldete Eckart Schlandt, dass am östlichen Balkon der Obervorstädter Kirche ein Stück vom Deckenputz heruntergefallen sei. Wir hatten das Riesenglück, dass dort nicht gerade eine Gruppe Kinder gesessen hatte. Dies war das erste Zeichen des Problems, von dem wir aber damals nur eine kleine Spitze des Eisbergs zu sehen bekommen haben. Ein Stück Gipskartonplatte hatte die Lücke schnell verdeckt und das Problem war „gelöst“.
Ein Jahr später, am 29. August 2012 geschah genau das Gleiche noch einmal. In der Nähe des Rauchfangs hatte ein Loch im Dach das Regenwasser hineintropfen lassen. Der Hausschwamm hatte das ganze Holz in der Umgebung befallen. Nach eingehender Untersuchung kam das wahre Ausmaß der Katastrophe ans Tageslicht. Im gleichen Jahr 2012 mussten wir insgesamt 12 Deckenbalken an ihren Enden absägen und stückeln. Erst nach und nach stellten wir dann fest, dass dieser Befall schon wenigsten seit 1899 bekannt war und dass es im Laufe der letzten 114 Jahre wenigstens drei verschiedene Versuche gegeben hat, die Decke statisch zu sichern.
Darunter waren leider auch sehr dilettantische Ansätze, besonders was den Schutz vor dem Pilz betrifft. Zum Beispiel das Abdecken der Decke von oben mit Pechpappe war für das Wachstum des Pilzes mit Sicherheit begünstigend. Er konnte sich unter der Pechpappe ausbreiten, ohne bemerkt zu werden. Wir können es als glücklichen Umstand bewerten, dass die kleinen Sprünge im Deckenputz zu einer gründlichen Untersuchung geführt haben. Heute wissen wir, dass die Enden aller Deckenbalken zerstört sind, die im Mauerwerk lagen und wir unwissend einer Katastrophe entgangen sind. Die Versuche aus den Jahren 1899, 1908 und 1935, das Problem statisch zu lösen, waren alle so, dass die Deckenbalken in der Mitte eine zusätzliche Aufhängung bekamen, um nicht herunterzufallen. Die richtige Lösung wäre gewesen, die Balkenenden im Mauerwerk freizulegen und sowohl Holz als auch Mauerwerk zu erneuern. Dieser Pilz (Merulius Lacrymans) kann nämlich auch durch das Mauerwerk von einem Balkenende zum anderen wandern.
Leider haben wir zu diesen vergangenen Sanierungsversuchen in unserem Archiv keine Unterlagen gefunden. Wir wissen, dass 1906 die drei Glocken ersetzt wurden, weil die größte gesprungen war. Dafür wurde ein neuer schmiedeeiserner Glockenstuhl in den Turm gebaut. Der Turm hat eine deutlich sichtbare Neigung in Richtung Süden, vermutlich wegen diesem schweren Glockenstuhl. Am Dachboden sind Stützen eingebaut worden, um dieser Belastung entgegenzuwirken. Die neue Orgel wurde 1908 unter den Turm verlegt und diese Aktion hat vermutlich auch zu einer Begutachtung des Dachstuhls geführt, wie die Inschriften mit Kreide oder Kalk auf dem Balken belegen. Die alte Orgel war über dem Altar befestigt. Der Altar wurde 1937 aus der Sakristei der Schwarzen Kirche an seinen neuen Standort verlagert. Bis zum Jahre 1865 stand er in der Schwarzen Kirche.
Ein weiterer Versuch, die Decke zu halten, war, diese mittels Eisenklammern an drei in den Dachstuhl gelegten Längsbalken festzuhalten. Heute sind auch diese Balken vom Holzwurm so zerfressen, dass wir sie als Infektionsherd betrachten und entfernen müssen.
Die dritte und letzte Aktion, vermutlich 1935, war, in den alten Dachstuhl einen ganz neuen hineinzubauen. Heute hängen praktisch die insgesamt 28 morschen Deckenbalken mittels Stahlbolzen einzeln befestigt an diesem neuen Dachstuhl. Sogar am neuen Dachstuhl war bereits ein Balken befallen und musste mit Stahlprofilen geschient werden.
Alle diese Lösungen waren Notlösungen, um dem aufwendigen Abräumen der Mauer aus dem Weg zu gehen, auf dem die Deckenbalken aufliegen. Genau das müssen wir aber jetzt durchführen, nämlich Balkenende für Balkenende aus der Wand lösen, mit Stahlwinden sichern, das befallene Ende absägen und entsorgen und dann das fehlende Stück ersetzen, die Mauer Meter für Meter frisch aufbauen und verputzen. Die gesamte Innenausstattung, Altar, Orgel, Bänke sind sorgfältig mit Plastfolie verpackt um eine Infektion mit Pilzsporen möglichst zu vermeiden. Es ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Maurer, Zimmermann und Biologe nach dem Projekt des Statikers Csaba Bodor und unter seiner ständigen Aufsicht. Wir sind zuversichtlich, dass diese Arbeit nicht nur die Gefahr eines Einstürzens der Decke abwendet, sondern das 114 Jahre alte Problem nachhaltig löst. Bis zum Wintereinbruch sollen die Arbeiten fertig sein, damit die Kirche in der Oberen Vorstadt den Gottesdienstbesuchern als Winterkirche zur Verfügung steht.
(Aus: „Lebensräume in der Honterusgemeinde“, Nr. 23, August 2013)