Für die wanderfreudigen Bürger Kronstadts war und ist auch heute noch der am südlichen Ende der Oberen Vorstadt (rumänisch: Şcheii Braşovului) gelegene und zunächst als „Salomonsburg“, später dann als „Salomonsfelsen“ bekannte Ausflugsort ein beliebtes Wanderziel in unmittelbarer Nähe zur Stadt Kronstadt. Es ist seit ältesten Zeiten ein mit Geschichte und Mythen beladener Ort.
Den meisten Ausflüglern, die sich die Mühe machen diesen Ort zu besichtigen, ist aus guten Wanderführern die Sage um den ungarischen König Salomon (1053 – 1087) aus dem Geschlecht der Arpaden bekannt, welcher von 1063 bis 1074 König von Ungarn war.
Dieser Sage zufolge flüchtete der König, von Bulgaren verfolgt, in die Talenge der Oberen Vorstadt von Kronstadt. Bedrängt von seinen Feinden ritt er auf einen hoch aufragenden Felsen. Als der König, von Verfolgern umringt, keine Fluchtmöglichkeit nach unten mehr sah, gab er dem Pferd die Sporen und sprang über die tief zwischen den Felsen liegende Schlucht auf die benachbarte Felsenspitze.
Auf diesem Felsen soll, laut der Salomonssage, noch eine Vertiefung im Fels sichtbar sein, wo der Huf des Pferdes aufschlug. Der König entkam auf diese Weise seinen Feinden und versteckte sich am Fuße des Felsen in einer auch heute noch dort vorhandenen Höhle, in welcher er bis an sein Lebensende als Einsiedler gelebt haben soll. (Der Text der Sage ist in folgenden Quellen zu finden: Müller, Friedrich: „Siebenbürgische Sagen“, Zweite Auflage Wien 1885, Nr. 367 „Salamonshöhle und Salamonsburg“; sowie: Reimesch, Friedrich: „Burzenländer Sagen und Ortsgeschichten“, 5. Auflage, 1985, Gundelsheim–Erlangen, Nr. 7, „Der Salomonsfels“.)
Wann diese Sage in den mündlichen Umlauf gekommen ist und wer ihr Urheber ist, kann aus den heute verfügbaren Quellen und Urkunden nicht mehr ermittelt werden. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Ungarn (vielleicht Szekler), da in diesem Gebiet neben Rumänen, Sachsen und anderen Nationalitäten auch Ungarn (und zwar meist Szekler) schon seit den Zeiten der Besiedlung des Kronstädter Tales durch den Deutschen Ritterorden (1211 – 1225) in enger Nachbarschaft lebten, und in der ungarischen Mythologie die Sage des über Schluchten oder Gewässer springenden Reiters mehrfach nachweisbar ist.
Die rumänische Bevölkerung der Oberen Vorstadt hat diesen Ort nie nach dem ungarischen König Salomon benannt, sondern bloß die Ortsbezeichnung „Între Chietre“ (Pietre), deutsch „Zwischen den Steinen (Felsen)“, verwendet. Wie die sächsischen Bürger Kronstadts, die niemals einen ungarischen König als mythologischen Held für einen Ort ausgewiesen hätten, scheidet auch die rumänische Bevölkerung daher von vornherein als Urheber der Sage aus.
Als schon beginnend mit dem 18. Jahrhundert und dann sehr intensiv im 19. Jahrhundert die in Archiven Kronstadts befindlichen Urkunden, Berichte und Tagebücher über die Stadt erforscht wurden, fand man, dass die „Salomonsburg“ zum ersten Male schriftlich in den Tagebüchern des Andreas Hegyes, eines Mitglieds des Kronstädter Stadtrats, im Mai des Jahres 1614 erwähnt wird („Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt“, Band V). Hegyes berichtet auf S. 496, dass er mit einer Gesellschaft zur Salomonsburg spazieren gefahren war. Ein Jahr später (Juni 1615) berichtet Hegyes über einen erneuten Spaziergang zur Salomonsburg, diesmal in Begleitung des Andreas Giorgias und der beiden Gattinnen.
Nicht ganz hundert Jahre später (genauer um 1709 in J. Teutschs „Nebenarbeit von sonderbaren Begebenheiten in Burzenland“, in „Quellen zur Geschichte der Stadt Brasso“, Vierter Band , S.178) wird die Ortsbezeichnung „Solmes Burg“ (eine in den sächsischen Dialekt übertragene Form der ursprünglichen Ortsbezeichnung „Salomons Burg“) erwähnt. Im gleichen Band auf S.580 (Ortsbezeichnungen) wird die besagte Burg ohne Bezug auf „Salomon“ einfach „die Höhle an der Burg in der Oberen Vorstadt“ genannt.
In der Zeitschrift „Siebenbürgische Quartalschrift“ (Dritter Jahrgang, Hermannstadt 1793, S.107) wird dann die Ortbezeichnung „Suelmens Burg“ erstmals in einer geografisch–wissenschaftlichen Arbeit erwähnt.
Der ehemalige Rector der Honterusschule, J. L. Marienburg, erwähnt in seiner „Geographie des Grossfürstentums Siebenbürgen“ (erschienen 1813 bei Hochmeister in Hermannstadt) in Bd. 2, S.345, die „Salomonshöhle“ bei den „Salomonssteinen“ und liefert auch eine Übersetzung ins Rumänische: „Piatra Schalomon“ .
Als in diesem Gebiet in den Jahren 1912-1913 im Auftrag des „Burzenländer Sächsischen Museums in Kronstadt“ von Julius Teutsch archäologische Grabungen unternommen wurden, fanden die Kronstädter Archäologen noch Spuren der Mauern der so genannten „Salomons Burg“. Teutsch konnte eine Skizze des Verlaufs der Mauern der ehemaligen Burg anfertigen und diese in seiner Arbeit „Die Salomonsfelsen bei Kronstadt“ (in „Bericht des Burzenländer Sächsischen Museums in Kronstadt“, 1913) im Anhang veröffentlichen. Diese Skizze ist hier wieder gegeben.
Nur am Rande soll hier erwähnt werden, dass J. Teutsch und sein archäologisches Team am Fuße des „ Felsens B“ (siehe Skizze) Funde zu Tage förderten, die den Schluss zuließen, dass in diesem Gebiet kleinere Gruppen von Menschen schon in der La Tène-Zeit, in der Frühen Eisenzeit und in der römischen Zeit (etwa 300 Jahre v.u.Z.) zeitweilig Zuflucht gefunden hatten. Zu jener Zeit aber bestand die hier erwähnte Burg mit Sicherheit noch nicht.
Bei dem Einfall der Mongolen ins Kronstädter Tal im Jahre 1241 drangen die aus den Gebieten nördlich des Schwarzen Meeres kommenden reitenden Nomaden mordend und brandschatzend bis zur relativ neuen Siedlung „Corona“ unter der Zinne vor. Einige Bewohner der Siedlung konnten sich über den „Rittersteg“ auf die „Brasovia-Burg“ auf der Zinne retten, andere flohen in südlicher Richtung in die Talenge zu den Salomonsfelsen und versteckten sich in den dichten anliegenden Wäldern.
Da sich in den darauffolgenden Jahren die verheerenden Einfälle der Mongolen (zwei Jahrhunderte später dann der Türken) ins Kronstädter Tal wiederholten und das Tal wahrscheinlich nur durch Erdwälle und Holzpalisaden geschützt war, die aber von den einbrechenden reitenden Nomaden leicht überwunden werden konnten, fühlte sich die in der Oberen Vorstadt wohnende Bevölkerung immer wieder gezwungen, in der Talenge bei den Salomonsfelsen Schutz zu suchen. Es ist anzunehmen, dass gegen Ende des 13. Jahrhunderts oder später, bei einem länger dauernden Aufenthalt in diesen Verstecken, die Idee aufkam, die Talenge bei den besagten Felsen zunächst durch Verhaue aus Holz, Steinen und Erde, später dann durch eine Mauer zu schützen. Falls diese Hypothesen zutreffen, wäre dieses die Geburtsstunde der legendären „Salomonsburg“.
Wenn man davon ausgeht, dass die von J. Teutsch angefertigte Skizze auch für die ursprünglichen Zeiten des Bestehens der „Salomons-Burg“ Gültigkeit besitzt, stellt man fest, dass die damals Schutz suchende Bevölkerung im Oberen Kronstädter Tal die Schutzmauern den dort bestehenden natürlichen Verhältnissen recht gut angepasst hatte: Die fünf Felsen A, B, C, D und E (siehe Skizze) dienten an vier Ecken als natürliche Bastionen, zwischen welchen eine von Menschenhand gebaute künstliche Mauer aus lokal vorhandenen Steinen eine für einige Hundertschaften geeignete geschützte Umfriedung bildete. Im Inneren besaß diese „Burg“ sogar eine Quelle mit frischem Trinkwasser, und oben auf dem Felsen E bot sich eine ausgezeichnete Aussicht auf den oberen Verlauf des Kronstädter Tales. Somit ließ sich jede Bewegung fremder Eindringlinge im Tal genau beobachten.
Die spätmittelalterliche Befestigung der Stadt „Corona“ unter der Zinne begann im Jahre 1427 im Zuge einer an den Stadtrat gerichteten Verordnung König Sigismunds; sie wurde aber erst viel später, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, vollendet. Ab dieser Zeit erst war das Kronstädter Tal aus strategischer Sicht wirklich gegen Eindringlinge geschützt und die Bevölkerung der Oberen Vorstadt war nun nicht mehr gefährdet. Ab dieser Zeit war dann auch die Burg bei den Salomonsfelsen überflüssig, sie wurde nicht mehr benutzt und auch nicht mehr instand gehalten und verfiel über die Jahrhunderte durch die Einwirkung natürlicher Kräfte wie Wasser, Schnee, Eis, Erdrutsche, Steinschläge, Abholzungen u.a.
Schon früh wurde das aus Quellen von der Schulerau und dem Schuler kommende Wasser, das durch das nördlich gelegene Einzugsgebiet ins Kronstädter Tal floss, zum Antrieb von Mühlen im Kronstädter Tal genutzt. Angeblich gab es im 14. Jahrhundert ganz oben in der Talenge eine Mühle, welche dem Gräfen Salomon von Kronstadt gehörte.
In seinem Roman „Schwarzburg“ (Verlag von Heinrich Dressnandt, Kronstadt 1882, S. 604) beschreibt der Kronstädter Schriftsteller Traugott Teutsch den oberen Teil des Kronstädter Tales, bezogen auf dessen Zustand im XIV. Jahrhundert, so wie er der schriftstellerischen Phantasie nebst akribischer Dokumentation in Urkunden und Quellen entsprang, wie folgt:
„In dem oberen schluchtartig sich verengenden Theile des Kronstädter Thales lag eine Mühle. Dieser obere, tief ins Gebirg(e) einschneidende Theil des gesamten Thales war um das Jahr 1331, in welchem sich die Schwarzburg ergab, noch eine Wildniss. Noch waren die Spuren der waldrodenden, wasserregelnden Kultur nicht bis her herauf gedrungen. Nur thalunterwärts, wo zwischen Zinne und Raupenberg das sich weitende Thal gegen die Ebene ausmündet, sah man die Bodenfläche gelichtet. Da zeigten zwischen Anger = und Ackerstreifen einige Häuseransiedlungen zu Strassenansätzen; die ersten Vorläufer der vom Gesprengberge draussen allmählich an den Fuss der Zinne heraufrückenden Stadt.
Die Mühle aber, deren bereits in einem der ersten Kapitel dieser Geschichte Erwähnung geschah, war nebst der im nächsten Umkreis sich umgebenden Waldung ein Besitzthum des Gräfen Salomon von Kronstadt. Thurmhoch über dem Dachwerk des aus mächtigen Baumstämmen gefügten Gehäus ragte ein bebuschter trotzig herabschauender Fels – der ‘Salomonsfels’.
Hüben und drüben von den Kanten und Säumen der hohen Bergwände bückten sich abenteuerliche Felsgebilde; burgruinenartiges Felsgemäuer tauchte im Hintergrunde der Schlucht aus dem dunklen Walddickicht, und aus seitlichem Thalkessel schoss die im leitenden Rinnbett gefangene schäumende Wasserfluth, die langsamen Räder zur ewig gleichen, rauschenden Melodie in der tiefeinsamen Waldwildnis umtreibend.“
Anfangs wird wohl die besagte Mühle „Salomonsmühle“ geheißen haben. Inwiefern der Mühleninhaber Salomon von Kronstadt mit der in der Nähe gelegenen „Burg“ etwas zu tun hatte, ist nicht überliefert. Unter Umständen gehörte ihm ein Teil des Grundstückes, auf welchem die Burg ursprünglich lag.
Nicht ausgeschlossen, dass nach dem Tod der Salomons von Kronstadt die Mühle den Besitzer gewechselt hat und der Personenname „Salomon“ auf die dort noch vorhandene Fliehburg übertragen wurde. Obwohl im Laufe der vergangenen Jahrhunderte die Burg zunehmend verfällt und zum Verschwinden verurteilt ist, ist ihr Name in einen Ortsnamen verwandelt worden: Man meint mit „Salomonsburg“ mehrheitlich den Ortsnamen im Gelände, wo diese Burg ehemals stand.
(Fortsetzung folgt)