Die Rolle, welche die Schulerau (Poiana Braşov) im 17. Jahrhundert spielt, ist im Vergleich zu den vorigen Jahrhunderten in mancher Hinsicht als besonders einzustufen. Zwar ist das Gebiet abseits der von der Stadt ausgehenden Hauptverkehrswege immer noch gut geschützt durch die Stadtmauer, die im Norden das Kronstädter Tal gegen das offene Burzental absperrt und somit fremden Eindringlingen keinen freien Zugang in den südwestlich gelegenen Teil der Stadt (Obere Vorstadt) ermöglicht.
Auch hat sich die wirtschaftliche Nutzung der besagten Waldwiese „Schulerau“ im 17. Jahrhundert nicht wesentlich geändert. Nach wie vor herrscht hier die seit Jahrhunderten pendelnde Almwirtschaft der Herden und fast ausschließlich rumänischen Hirten aus der Oberen Vorstadt.
Die Nutzung der anliegenden Wälder erfolgt im Einklang mit der von der Stadt eigens verordneten Waldordnung. Wesentliche Veränderungen sind jedoch in der noch aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts herrührenden politisch-militärischen Lage zu beobachten: Im Jahr 1526 ging bei Mohács die entscheidende Schlacht des Königs Ludwig aus dem Hause Habsburg gegen das Überaufgebot der Türken unter Suleiman verloren. Erst fast zweihundert Jahre später wurde der Anlauf der Türken gegen die geschlossenen Tore des westlichen Europas an den Stadtmauern von Wien beendet.
Dabei blieb Ungarn und mit ihm auch Siebenbürgen ein ständiger Korridor für den Durchmarsch fremder Heere, die diese Gebiete verwüsteten und für eine geregelte Landwirtschaft unbrauchbar machten. Die Städte und kleineren Ortschaften wurden trotz den Kirchenburgen und Stadtbefestigungen ständig belagert, ganz oder teilweise zerstört, die Bevölkerung kaltblütig ermordet oder vertrieben. Oft wurden horrende Summen als Erpressungsgelder gefordert. Bei „friedlichen“ Besuchen fielen in der Regel hohe Kosten durch Unterhalt und teure Geschenke an Fürsten an.
Siebenbürgen wurde nun ein von Ungarn unabhängiges Fürstentum unter türkischer Oberhoheit. Das hatte über diese gesamte Zeitspanne weittragende Folgen, nicht nur politischer Art.
Die „Hohe Pforte“ garantierte zwar im Großen den Sonderstatus der siebenbürgischen Städte und Ortschaften mit ihrer deutschen Bevölkerung um den Preis jährlicher hoher Tributzahlungen. Anfangs wurden 10.000 bis 15.000 Gulden jährlich als Tribut festgesetzt. Diese Summe wurde dann stetig angehoben und erreichte gegen Ende der türkischen Herrschaft, im späten 17. Jahrhundert, 60.000 Gulden.
Zudem setzten die Türken meist ungarische Adelige als Fürsten von Siebenbürgen ein. Diese kämpften ständig mit oder ohne Hilfe der Türken gegen die Siebenbürger Sachsen, deren seit ihrer Einwanderung währende Privilegien sie immer anfochten.
Die ungarischen Adligen strebten danach, sich in den befestigten Städten der Siebenbürger Sachsen einzubürgern und in den Genuss vor allem der Sicherheit vor äußeren Bedrohungen zu gelangen, ohne dabei die Kosten, Verpflichtungen und Bedingungen für diese Vorteile zu akzeptieren. Es kam ständig zu Bedrohungen und handfesten kriegerischen Auseinandersetzungen, indem sie die deutschen Siedlungen belagerten und die nicht befestigten Ortschaften stürmten und niederbrannten.
Dazu gesellten sich oft noch die rumänischen Wojwoden aus den Fürstentümern der Moldau und Walachei, denen eine baldige Vereinigung ihrer Fürstentümer mit Siebenbürgen vorschwebte. Nicht minder abenteuerlich muten die Vorstellungen einiger ungarischer Fürsten an, die mit dem Gedanken spielten, die rumänischen Fürstentümer Walachei und Moldau (oder auch nur Teile davon) zu annektieren.
Hinzu kam noch die wesentlich zu Ungunsten der Sachsen sich entwickelnde wirtschaftliche Lage: Schon im XV. Jahrhundert ging durch die Entwicklung des Seehandels im Westen Europas der kontinentale Fernhandel (der ehemals durch Siebenbürgen und durch Kronstadt lief) deutlich zurück. Die Sachsen, die diesen Handel ehemals in der Hand hatten, verloren die Oberhand und auch die damit verbundenen großen Einkommen. Es entwickelte sich ein „regionaler“ Handel hauptsächlich mit den rumänischen Fürstentümern, wo aber dank der gemeinsamen Sprache die rumänischen Kaufleute aus der Oberen Vorstadt die Oberhand gewannen.
Auch eine Reihe natürlicher Kalamitäten wie Seuchen (Pest), Erdbeben, Trockenheit und starker, lange andauernder Regen oder Kälteeinbrüche verschärften die Lage. Sie führten zu schwachen Ernten und dadurch zu Hungersnöten, zu demografischem Schwund der Bevölkerung und zu Abwanderungen, die auch durch die ständigen Verwüstungen der im Burzenland einfallenden Heere gefördert wurden.
Die Zeiten, wo über Friedensverträge für einige Jahre unter halbwegs friedfertigen Fürsten eine Ruhepause eintrat, in welcher sich die Bevölkerung im Burzenland erholen und ihre zerstörten Ortschaften wieder aufbauen konnte, wurden immer seltener. Es herrschte zeitweilig akute Hungersnot: Tausende von Menschen starben an Seuchen und an Hunger. Auch dieser Zustand war neu im Siebenbürgen des 17. Jahrhunderts.
Bevor auf einige einzelne historische Ereignisse eingegangen und deren Verbindung mit Ereignissen in der Schulerau beleuchtet werden soll, muss grundsätzlich geklärt werden, wieso das abgelegene Gebiet der Schulerau in diesem Jahrhundert zeitweilig zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen wurde.
Es handelt sich in der nicht dauerhaft bewohnten Schulerau nicht um Kriegshandlungen großen Ausmaßes mit ganzen Heeren von Kriegern, sondern um das, was man heute unter „Bandenkriegen“ versteht. Die Schulerau verband über auf etwa 1000 Meter Höhe im Gebirge liegende unwegsame Gebirgspfade die Obere Vorstadt von Kronstadt mit den beiden im Weidenbächer Tal liegenden Ortschaften Neustadt (Cristian) und Rosenau (Rîşnov).
Bei guter Wegkenntnis bot sich kleineren berittenen oder wandernden Gruppen von Menschen die Möglichkeit, über Schleichwege das Burzenland an einer anderen Stelle zu erreichen und sich über die Lage der die Stadt Kronstadt belagernden Truppen ein Bild zu machen. Umgekehrt bot sich auch den im Burzenland lagernden feindlichen Truppen die Möglichkeit, unter ortskundiger Führung von Neustadt oder Rosenau über die Schulerau an den südwestlichen Teil der Stadtmauer von Kronstadt zu gelangen und so die Stadt von einer Seite zu bedrohen, von welcher diese eigentlich keine Bedrohung erwartete.
Diese beiden strategischen Überlegungen scheinen eine halbwegs plausible Erklärung für die im 17. Jahrhundert (und auch in späterer Zeit) stattfindenden Scharmützel in der Schulerau zu geben. In den Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt werden in der Schulerau stattfindende Ereignisse dieser Art getrennt von den größeren politischen Ereignissen, die sie verursacht haben, vermerkt. In diesem Aufsatz wird daher versucht, sie in den richtigen historischen Kontext der damaligen Ereignisse einzuordnen und auch die wesentlichen natürlichen Kalamitäten sowie besonders relevante kulturelle Ereignisse, insofern sie mit der Schulerau direkt oder indirekt zu tun haben, zu berücksichtigen.
Gleich zu Beginn des 17. Jahrhunderts, im Sommer des Jahres 1600, erschien in Siebenbürgen der Wojwode der Walachei, Michael (auch „Michael der Tapfere“ genannt) mit seinem 25.000 Mann starken, bunt aus Walachen, Moldauern, Kosaken, Polen u. a. zusammengewürfelten Heer, zu welchem sich dann etwas später noch etwa 6000 Haiducken gesellten. Er nannte sich „Fürst der Walachei und der Moldau sowie Stellvertreter des Römischen Kaisers in Siebenbürgen“ und ließ verlauten, dass er gekommen sei, Siebenbürgen vom türkischen Joch zu befreien.
Dabei hinterließen seine Truppen in den wenigen Monaten ihres Aufenthaltes in Siebenbürgen und besonders im Burzenland eine Spur der Verwüstung und des menschlichen Elends. Mehrere Ortschaften wie Tartlau, später Nussbach und Heldsdorf wurden niedergebrannt und die Bewohner in die Flucht geschlagen. Wer nicht flüchten konnte, wurde erschlagen. Der Wojwode Michael selbst spielte dabei in einigen Ortschaften, die unter seinem Befehl niedergebrannt wurden, zuletzt den „Brandlöscher“ und versicherte heuchlerisch, er habe die Gewalttaten seiner Truppen nicht verhindern können.
(Fortsetzung folgt)