Dr. Paul Binder, Geograf, Geologe und Historiker

9. März 1935 – 9. Juni 1995

Inschrifttafel am Grab IS, Reihe 12 links, Grab 15

In diesem Jahr wäre Dr. Paul Binder 90 Jahre alt geworden und seit seinem Tod sind 30 Jahre vergangen. Im Jahre 2005 wurde per H.C.L. Nr. 209/2005 Dr. Paul Binder zum Ehrenbürger von Kronstadt ernannt, in Anerkennung seiner Leistungen auf dem historischen Gebiet der dreisprachigen Traditionen Kronstadts. Er hat seine Werke, je nach Sprache mit „Paul“, „Pavel“ oder „Pal“ unterschrieben. Paul Niedermaier schreibt in seinem Beitrag „Paul Binder – Eine Siebenbürgische Persönlichkeit“ - „Paul Binder hat in der kommunistischen Zeit gelebt. 1944 war er 9 Jahre alt und im Jahr 1989 war er 54 Jahre alt und 6 Jahre später ist er gestorben. Die Zwänge dieser Zeit haben ihn geprägt. Als Historiker war er vorsichtig.“ Für seinen 60. Geburtstag hatte Gernot Nussbächer eine Würdigung vorbereitet, welche genau am Tage des Geburtstags, am 9. März 1995 erschienen war. In seinen „Erinnerungen an Paul Binder“ erzählt Gernot Nussbächer über ein Gespräch mit Paul Binder, in dem er kommentiert hätte: „Das klingt wie ein Nachruf“. Drei Monate später war er tot. Es folgt Gernot Nussbächers Würdigung, verfasst zehn Jahre nach Binders Tod und siebzig Jahre seit seiner Geburt.

Heuer sind es zehn Jahre, seit Prof. Dr. Paul Binder von uns gegangen ist und es haben sich siebzig Jahre seit seiner Geburt erfüllt.  Dies sind nur zwei Anlässe, die dazu anregen, eines höchst wertvollen Mannes zu gedenken, der sich als Geografie- und Kulturhistoriker unseres Landes bleibende Verdienste erworben hat.
Paul Binder wurde am 9. März 1935 in der Kolonie der Brenndorfer Zuckerfabrik als Sohn des Ingenieurs Paul Binder senior und seiner Frau, der Lehrerin Klara, geb. Mátyás geboren und stammte väterlicherseits aus der Familie des berühmten „Afrika-Binder“ – Franz Binder aus Mühlbach – ab. Nach der Volksschule bei der Zuckerfabrik besuchte Paul Binder das katholische ungarische Gymnasium in Kronstadt, das nach der Schulreform von 1948 zum Ungarischen Gemischten Lyzeum wurde, und das er 1952 absolvierte.

Von 1952 bis 1956 studierte Paul Binder an der ungarischen „Bolyai“-Universität in Klausenburg die Fächer Geologie und Geografie. Seine erste Anstellung erhielt er als Professor in Hatzfeld, von wo er 1959 nach Kronstadt kam und bei der damaligen Regionsbibliothek als Bibliograf tätig war. Nach einer kurzen Unterbrechung als Geografielehrer in Brenndorf wirkte er von 1964 – 1968 wieder an der Kronstädter Regionsbibliothek.  Ab 1968 arbeitete Paul Binder im Lehramt als Geografieprofessor, zuerst am Meșota-Lyzeum, später am Pädagogischen Lyzeum, hatte aber auch Stunden am Șaguna- und am Unirea-Lyzeum.
Nach längerer Zeit intensiver Vorbereitungen erwarb Paul Binder an der Universität Jassy im Jahre 1971 den Titel eines Doktors der Geografie nach der Verteidigung seiner Dissertation „Kronstadt – eine geografiehistorische Untersuchung“ unter Anleitung des Doktorvaters Prof. Dr. Ioan Șandru.

Im Jahre 1986 wurde Dr. Paul Binder wegen eines Herzleidens und eines Melanoms frühpensioniert und konnte sich in der folgenden Zeit mehr seinen wissenschaftlichen Forschungen widmen.

In den Jahren 1991 bis 1992 unterrichtete Prof. Dr. Paul Binder an der Kronstädter Privatuniversität „George Barițiu“ das Fach Geografie, in den Jahren 1993 bis 1994 war er Gastdozent an den Universitäten in Debrecen und Szeged.

Am 11. Januar 1995 wurde er an einem Gehirntumor operiert und fühlte sich danach so gut, dass er neue Projekte anging und eine neue Gastprofessur in Szeged annahm. Dort warf ihn die Krankheit nieder, aber nach Hause zurückgekehrt, organisierte er noch vom Krankenbett aus die Reinschrift von fertiggestellten Arbeiten. Seine letzten Tage verbrachte er in dem neuen Blumenauer Pflegeheim, wo er am 9. Juni 1995 starb.

Dies wäre der äußere Rahmen für ein beispielhaftes Forscherleben, das in seiner Art einzigartig war. Schon vom Elternhaus her war er zweisprachig, wozu als dritte die Staatssprache kam und so konnte Dr. Paul Binder mit seiner Dreisprachigkeit allen drei siebenbürgischen Völkerschaften dienen, weil er wie kein zweiter auch in der wissenschaftlichen Literatur in den drei Sprachen „zu Hause“ war.

Das wissenschaftliche Werk von Dr. Paul Binder ist gewis-sermaßen Ausfluss seiner Heimatliebe und Heimatverbundenheit. Er hat als Geograf sowohl die räumliche Dimension dieser Heimat erforscht und dargestellt sowie als Historiker die zeitliche Dimension in ihren geschichtlichen Abläufen – besonders auf dem Gebiet der Kultur – verfolgt und dabei immer wieder die interethnischen Beziehungen hervorgehoben.

Mit einem wahren Bienenfleiß hat Dr. Paul Binder im Laufe von mehreren Jahrzehnten eine riesige Dokumentation über alle Ortschaften Siebenbürgens zusammengetragen, die etwa sechs Regalmeter im A4-Format umfasst und von ihm „Lexicon Transsilvanicum“ genannt wurde. Aus diesem Schatz sowie aus seiner reichhaltigen Transsilvanica-Bibliothek half er in großzügiger Weise vielen Forschern bei ihren Arbeiten.

Nach 1964 begann Paul Binder mit dem bekannten Medizinhistoriker Dr. Arnold Huttmann (1912 – 1997). mehrere gut dokumentierte Arbeiten zur rumänischen Kulturgeschichte im 16. Jahrhundert zu veröffentlichen. Im Jahre 1966 regte Dr. Arnold Huttmann auch den Chemiker Gebhard Blücher (1934 – 1968) und den Archivar Gernot Nussbächer  zur Erforschung des Papiers und der Drucke des 16. Jahrhunderts mit der neuen Methode der Betagrafie (Fotografie mit Hilfe von Isotopen, die Beta-Strahlen aussenden) an, und so entstand das, was der Klausenburger Hochschulprofessor Dr. Jakó Zsigmond zusammenfassend „die Kronstädter Schule“ (a „Brassói iskola“) in der Erforschung der siebenbürgischen Kulturgeschichte nannte. Paul Binder war ein namhaftes Mitglied   dieser Forschergruppe, die wertvolle Ergebnisse veröffentlicht hat.

Nach einer ersten Zeit der Publikation von Arbeiten in Zeitschriften und Zeitungen, begannen seine Veröffentlichungen in Buchform. Von ihnen seien die wichtigsten kurz angeführt:

1976 – Siebenbürgische Reisende im alten Europa
1981 – Zunftwesen in Siebenbürgen (Mitarbeit)
1982 – Unsere gemeinsame Vergangenheit – ein Standardwerk über das Zusammenleben der siebenbürgischen Völkerschaften im Mittelalter
1983 – Reisende im Osmanischen Reich
1993 – Reiseführer Siebenbürgen (Mitarbeit)
1993 – Die apokalyptischen Reiter, Beiträge zur Klimageschichte bis 1800 (Mitarbeit)
1994 – Kirchen- und Schulgeschichte der evangelischen Ungarn in Siebenbürgen
1994 – Geschichte des Dominiums der Familie Beldi von Bodola
1994 – Die historischen Familien- und Ortsnamen des Nösnerlandes und des Rodnaer Grundes (1698 – 1865)
Nach seinem Tode wurden noch veröffentlicht:
1998 – Das Gebiet Rumäniens in der sächsischen geographischen Literatur (1701 – 1800)
2000 – Kronstädter ungarische Chronisten und Burzenländer evangelische Kirchenhistoriker (1550 – 1800)

Durch sein umfangreiches wissenschaftliches Werk hat Dr. Paul Binder die siebenbürgische Fachliteratur wesentlich bereichert. Für seine Verdienste auf dem Gebiet der Geschichte wurde er auch in die „Enzyklopädie der rumänischen Geschichtswissenschaft“ (1978) aufgenommen und die rumänische National-Bibliografie für Geschichte verzeichnet zahlreiche seiner Arbeiten.

Leider sind manche seiner wissenschaftlichen Vorhaben nicht beendet worden. Es wäre wünschenswert, wenn junge Forscher sie wieder aufgreifen würden und sie hätten dabei an den Dokumentationen und Vorarbeiten von Dr. Paul Binder eine wertvolle Starthilfe für ihre Arbeit. So könnte seine wertvolle Arbeit auch für die künftige siebenbürgische heimatkundliche Forschung nutzbringend sein.

Die wertvolle wissenschaftliche Leistung von Dr. Paul Binder sichert ihm einen schönen Ehrenplatz unter den Forschern zur Geschichte und Geografie Siebenbürgens. Deshalb soll „die Zeit von seinen Erdentagen nicht in Äonen untergehen“, wozu auch der vorliegende Gedenkband einen Beitrag leisten will.
Wir sind sehr privilegiert gewesen, dass wir eine lange schöne Zeit der hilfsbereiten Freundschaft und fruchtbaren Zusammenarbeit mit ihm haben durften, die wir in unserer dankbaren Erinnerung bewahren.

Kronstadt, 26. März 2005 Gernot Nussbächer

Soweit Nussbächers Würdigung zehn Jahre nach Binders Tod.

Paul Binder hatte 1960 Andrea Kocsis geheiratet und mit ihr zwei Töchter gehabt. Seine Frau hat viel Verständnis für seine wissenschaftliche Arbeit gehabt, was ein guter Rückhalt für ihn war.

Während eines Aufenthalts in Ungarn, wo er einen Vortrag über die Siebenbürger Sachsen halten sollte, hat ihn die Krankheit eingeholt. Heimgekehrt wurde er aufopferungsvoll von seiner älteren Tochter im Pflegeheim der Evangelische Kirche in der Blumenau betreut, wo er am 9. Juni 1995 gestorben ist. Die Beerdigung hat am Sonntag 11. Juni 1995 mit großer Beteiligung am Friedhof Innere Stadt stattgefunden und Grabreden wurden in den drei Landessprachen gehalten. Durch seine Dreisprachigkeit ist Dr. Paul Binder zum Vorbild für die Forschung der historischen und kulturellen Beziehungen der drei Hauptvölker Siebenbürgens geworden.