Immer weniger ehemalige Deportierte, die im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt wurden, weilen heute noch unter uns. Daher erhalten die aus diesem Anlass organisierten Gedenkveranstaltungen immer mehr an Bedeutung, um auf diesen Willkürakt heutige und kommende Generationen aufmerksam zu machen. Heuer erfüllen sich 70 Jahre seit dem rund 70.000 Rumäniendeutsche, darunter auch zahlreiche Kronstädter und Burzenländer Sachsen, ihren Familien entrissen wurden und in Viehwaggons bei bitterer Kälte in Gebiete der Ukraine und des Urals deportiert worden sind. Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren, Frauen zwischen 18 und 30, wurden von dieser Maßnahme betroffen, die aus Moskau diktiert worden ist. Nur wenige Personen in diesem Alter wie Mütter mit Kleinkindern, Schwerkranke oder Behinderte wurden verschont. In Kohle- oder Erzbergwerken, in Betrieben der Metallverarbeitungsindustrie, in Kolchosen, wurden diese zu schwerster Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen eingesetzt. Schätzungsweise haben dort 15 – 20 Prozent der Betroffenen ihr Leben verloren an den Folgen der Unterernährung, Arbeitsunfällen, Krankheiten, Kälte. Viele der Heimkehrer kamen als Behinderte zurück.
Den Kronstädter Opfern der Deportation sowie derer des Zweiten Weltkrieges wurde am Sonntag, dem 11. Januar l.J., am Stichtag der vor 70 Jahren, morgens fünf Uhr, eingeleiteten Aktion, eine Gedenkveranstaltung in der Obervorstädter Kirche und anschließend in dem Festsaal des Demokratischen Forums der Deutschen gewidmet. Jährlich wird dieser Opfer gedacht, doch sollte die 1991 stattgefundene Gedenkveranstaltung in Neustadt, organisiert vom Kronstädter Deutschen Kreisforum nicht vergessen werden, an der sich rund 700 Betroffene und ihre Angehörigen beteiligten, sowie die 1995 in Kronstadt landesweit organisierten 50-jährigen Gedenkveranstaltungen anlässlich derer auch der damalige Staatspräsident Ion Iliescu eine Botschaft an das Landesform sendete, in der er auf diese widerrechtliche Maßnahme als eine Übertretung der Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens vom 12. September 1944 zwischen Rumänien und den Allierten hinwies.
In der Obervorstädter Kirche die an diesem Gedenksonntag fast bis auf den letzten Platz belegt war, bezog sich Stadtpfarrer Christian Plajer in seiner Predigt auf dieses unheilvollen Ereignis von dem eine ganze Generation betroffen wurde, wie er betonte. Ausgehend von zwei konkreten Fällen, dem seines Großvaters, der abgeführt wurde, und dem seiner Großmutter, die mit drei Kindern dadurch mittellos und ohne Unterstützung zurückblieb, betonte er, wie Deportierte nachträglich berichteten, durch ihren Glauben an Gott überlebten. Nur so, und nicht nur aus eigener Kraft, sondern mit der Hilfe Gottes konnten sie überleben. Auch nahm er Bezug auf das Kanzelwort des Bischofs der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Reinhart Guib, in dem dieser auf die vor 70 Jahren stattgefundenen Ereignisse einging.
Anschließend begaben sich die Teilnehmer zu der Gedenkveranstaltung ins Forum, darunter Landeskirchenkurator Prof. Friedrich Philippi, der Landesvorsitzende des Verbandes ehemaliger politischer Häftlinge, Octavian Bjoza, der kürzlich vom Staatspräsident Klaus Johannis mit dem höchsten Landesorden ausgezeichnet wurde; Ada Teutsch, Leiterin des Kreisverbandes der ehemaligen Deportierten von denen noch 24 in Kronstadt leben und zum Teil anwesend waren.
Historiker Thomas Şindilariu, Vorsitzender des Kronstädter Ortsforums, begrüßte alle Anwesenden. Dabei betonte er, dass kaum ein anderes Ereignis die deutsche Minderheit des Landes so stark wie die 1945 erfolgte Deportation betroffen hat. Überwältigend ist die Zahl der bisher erschienen Zeugnisse über die Deportation, wobei der von Herta Müller verfasste Roman „Atemschaukel“, 2009 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden ist. Auch richtete Şindilariu den Dank des Forums an Gundel Einschenk und Bernhard Heigl, die den Gedenkband zu diesem Anlass in drei Exemplaren zusammenstellen konnten und an alle Beteiligten und Helfer, die dazu beigetragen haben. Sein Dank ging auch an Claudiu Secaşiu, seitens der Landesbehörde für das Studium der Securitate-Akten (CNSAS), der neue Erkenntnisse bezüglich der Deportation finden konnte, das Material für die zu diesem Anlass eröffnete Ausstellung ,die noch weiterhin besichtigt werden kann, in nur fünf Wochen zur Verfügung gestellt hat.
Die zu diesem Anlass ausgearbeitete Gedenktafel, die den Opfern des Zweiten Weltkrieges und der Deportation gewidmet ist und nachträglich in der Südwest-Vorhalle der Schwarzen Kirche angebracht werden soll, wurde von Stadtpfarrer Christian Plajer vorgestellt. Das Presbyterium hatte entschieden eine gemeinsame, dreiteilige Tafel, für alle Opfer der Willkür zu erstellen, auf der zu lesen ist:
„Zum Gedächtnis der Opfer des Zweiten Weltkrieges und der Deportation.
Der Toten ohne Zahl,
Der Gräber ohne Mahl,
Wir hier gedenken,
Erinnernd Dauer schenken!
Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben (Johannes 14,19 b)“.
Der Spruch wurde von Prof. Dr.-Ing. Dieter Simon, Mitglied des Presbyteriums verfasst.
Presbyterin Gundel Einschenk hob hervor, dass eine solche Gedenktafel ein älteres Anliegen der Kronstädter war, nachdem es solche Initiativen in anderen Burzenländer Gemeinden, einschließlich in Bartholomä, gegeben hat. Seit 2014 hat sie täglich, je zwei Stunden im Archiv der Schwarzen Kirche verbracht, um die Namenslisten für das Gedenkbuch zu bearbeiten. Dafür richtete sie ihren Dank für die gebotene Hilfe an den Leiter des Archivs, Thomas Şindilariu, an Elisabeta Marin und Gernot Nussbächer. Einleitend zu der Gedenkbuch-Vorstellung las sie den Text der Grußbotschaft der Kronstädter Heimatgemeinschaft in Deutschland, gezeichnet von deren Vorsitzenden Anselm Honigberger vor. Bernhard Heigl, der am Gedenkbuch mitarbeitete, richtete seinen Dank an Gundel Einschenk und bezeichnete das Gedenkbuch als „einen Schritt von dem kommunikativen zum kulturellen Ereignis“.
Claudiu Secaşiu vermittelte den Gruß des Landesrates für das Studium der Securitate-Akten und unterstrich, es sei ein großes Anliegen seitens CNSAS in Vorträgen und Ausstellungen Dokumente betreffend die Deportation bekannt zu machen. Diesbezüglich gibt es eine gute Zusammenarbeit auch mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In seinem Vortrag ging er auf die historischen Gegebenheiten ein, die zur Deportation führten, auf die zahlreichen Gegenstimmen von Persönlichkeiten, die diese Maßnahme verurteilten. Laut der Quästur der Kronstädter Polizei sollten aus Kronstadt 1753 deutsche Angehörige deportiert werden. Die ausgehobenen Personen wurden in sechs Sammelstellen mit Lastkraftwagen gebracht. 200 Mannschaften bestehend aus je einem Polizisten, Gendarmen, Soldaten und zwei sowjetischen Soldaten nahmen die Aushebungen vor. Das vorgestellte Gedenkbuch baut noch nicht auf Vollständigkeit, sodass auf weitere Erklärungen und Angaben von Nachkommen der Betroffenen gewartet wird.
Am gleichen Sonntag fanden landesweit mehrere ähnliche Gedenkveranstaltungen statt. Darunter auch in Bartholomä, wo nach der Predigt von Pfarrer Johann Stephani, ein Kranz auf dem am Kirchhof befindlichen Denkmal niedergelegt wurde. Aus diesem Kronstädter Stadtviertel wurden 442 Personen ausgehoben. Anschließend beteiligten sich Mitglieder der Bartholomäer Gemeinschaft an der Gedenkveranstaltung im Festsaal des Kronstädter Forums.
Auch diese Gedenkfeiern, so wie auch die bisher stattgefundenen und die zukünftigen, sollen als Mahnung dienen, dass solche Missachtungen der Menschenrechte nie mehr stattfinden.