Ein neues Leben für Kleinschenk

Eigeninitiative rettet ein sächsisches Dorf

Die Kirchenburg in Kleinschenk ist eine der besterhaltenen in Siebenbürgen.

Die Kirche soll als Ausstellungsort dienen, um den Ort lebendig zu halten.

Michael Lisske erzählt über die Vergangenheit des Dorfes.

Iuliana Cseh führt manchmal Touristen durch die Burg. Seit diesem Jahr hängt auch ihr Portrait in der Kirche.

In der Bibliothek kann man richtig abschalten.

Carmen Schuster diskutiert über das Projekt eines Fahrradweges Kleinschenk-Ruckersdorf.

Dorfjungen genießen den Sommer.

Das ehemalige Lehrerzimmer vor...

und nach der Restauration des Gebäudes.

Ein heißer Augustnachmittag in Kleinschenk.  Der Himmel ist knallblau. Über den dicken Mauern der Wehrburg strahlt die Sonne. Die Burg wurde im späten 15. Jahrhundert gebaut und ist eine der besterhaltenen Siebenbürgens. An der Außenseite der Mauer bemerken wir ein paar schwarze Wölbungen. „Was, glauben Sie, ist das?“, fragt Michael Lisske und zwinkert. Im August 2014 wurde nach langjähriger Restaurierung und Renovierung mit EU-Fördermitteln die Kleinschenker Kirchenburg erneut eröffnet. Auch die historische Samuel-Metz-Orgel wurde im Rahmen einer Spendenaktion renoviert.
Seitdem organisiert der aus Deutschland stammende Lisske, Historiker von Beruf, Führungen durch die Burg. Mit seiner Frau Carmen Schuster, gebürtige Kleinschenkerin, ist er in deren Heimatdorf, 11 Kilometer von Fogarasch entfernt, gezogen. Die beiden wollten hier etwas aufbauen. Und es ist ihnen gelungen.

 

„Die Kirche soll ein Ort der Begegnung werden“


Wir können es nicht raten: die schwarzen Wölbungen sehen aus, als ob eine Kanonenkugel in der Mauer stecken würde. „Das sollte die Türken vertreiben. Diese sollten glauben, die Mauer wäre so stark gebaut, dass die Kanonenkugeln hier stecken bleiben. Aus diesem Grund sollten sie dann beschließen, die Burg nicht anzugreifen“, erklärt Lisske. Dass sich jemand so etwas ausgedacht hat, finden wir lustig. Doch wenn es um Leben und Tod geht, muss man Einbildungskraft besitzen, um sich zu retten. Im 12. Jahrhundert von deutschsprachigen Siedlern gegründet, hatte Kleinschenk dank seiner Lage am Ufer des Flusses Alt eine große strategische Bedeutung. Weil sich die Bewohner jahrhundertelang Angriffen erwehren mussten, bauten sie ihre Kirche in der Mitte des Dorfes schrittweise zu einer Burg aus.
Kleinschenk hatte während der Jahrhunderte oft unter Übergriffen durchziehender Heere zu leiden und wurde mehrmals niedergebrannt. Die feste Wehrung mit vier Wehrtürmern und einer Kirche in der Mitte bot der Bevölkerung Schutz innerhalb ihrer Mauern. Bis heute hat die Burg ihr mittelalterliches Aussehen bewahrt. Zwischen den Mauern scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Auf jeden Fall fließt sie langsamer. Wir steigen in einen der Wehrtürme und sehen das Dorf von oben: die bunten Bauernhäuser, die Straße mit Kieselsteinen, die hohen Bäume am Straßenrand. Danach besuchen wir die Kirche.
Über dem Eingang prangt  ein Spruch von Prophet Jesaja: „Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht“.

Drinnen ist es angenehm kühl. Und ganz verschieden von allen Kirchen, in denen wir bisher waren. Das Innere des Gotteshauses erinnert ein wenig an eine Kunstgalerie.
An der Empore hängen schwarz-weiße Portraits von Dorfbewohnern. Die Bilder wurden vom amerikanischen Fotografen David Marxs während einer Künstlerresidenz in Kleinschenk aufgenommen. Direkt unter der Orgel sind zwei riesige bunte Fotos angebracht, das Werk einer schwedischen Künstlerin.
„Man muss es akzeptieren: eines Tages werden hier keine Gottesdienste mehr stattfinden. Deshalb müsste die Kirche umgestaltet werden. Sie soll zum Ort der Begegnung werden“, meint Michael Lisske. 1989 verließ der letzte Pfarrer die Heimatgemeinde, deren Seelenzahl heute unter 30 beträgt. Gegenwärtig findet jede zweite Woche ein Gottesdienst statt. Es wird aber der Tag kommen, an dem alles zu Ende ist. Doch ein Ende ist manchmal ein neuer Anfang.
Carmen Schuster und das siebenbürgische Gästehaus

In den 90er Jahren schien für das Dorf ein Ende gekommen zu sein. Nach der letzten großen Ausreisewelle der siebenbürgisch-säschischen Bewohner standen viele Häuser leer und dem Verfall nahe. Das Pfarrhaus und die ehemalige Schule dienten als Mülldeponie des Dorfes. Doch das Leben der Ortschaft ging weiter, auf eine neue Weise. Und das ist vor allem der Ini-tiative der aus Kleinschenk stammenden und aus Deutschland zurückgekehrten ehemaligen Bankdirektorin Carmen Schuster zu verdanken. Sie wollte die Gebäude nicht dem Verfall überlassen. Also kaufte sie die ehemalige Schule (ein Jugendstil-Gebäude, entworfen vom siebenbürgischen Architekten Franz

Balthes) und das Pfarrhaus und begann 2008 mit den Renovierungsarbeiten.
Als Schuster ein kleines Mädchen war und in Kleinschenk in den deutschsprachigen Kindergarten ging, ahnte sie nicht, dass eines Tages in dem Raum, der ihr Klassenzimmer ist, Touristen von nah und fern eine Oase der Ruhe finden werden. Heute ist das ehemalige Schulgebäude eins der schönsten Gästehäuser in Siebenbürgen. Große Fenster, weiße Kachelöfen, eine riesige Biblio-thek, mit sächsischen Inschriften bestickte Wandtücher, restaurierte Möbel, Musikinstrumente, moderne Gemälde- Alt und Neu stehen hier nebeneinander. Auch das gewesene Pfarrhaus, das zweitälteste Gebäude im Dorf, verwandelte Schuster in ein Gästehaus. Hier wurden die Jahrhunderte alten Fresken in den Zimmern bewahrt. Mit großer Aufmerksamkeit zum Detail hat es Carmen Schuster geschafft, in beiden Gebäuden so wenig wie möglich in die Architektur einzugreifen, so dass allein die Funktion der Räume geändert wurde. Schlicht und trotzdem voller Eleganz- das gefällt auch den Touristen. Viele wissen es zu schätzen, dass  auf Fernseher, Minibar oder Klimatisierung konsequent verzichtet wird.  „Wir haben kein Casino aus der Schule gemacht! Eine Bibliothek passt zu einer Schule“, erklärt auch Carmen Schuster. „In der Ausstattung haben wir nicht nur das Bäuerliche hervorgehoben, sondern auch eine städtische Kultur. Das kann man bei den Möbeln erkennen, bei der Bibliothek, in der Bücherauswahl“. Insgesamt 11 Doppelzimmer und zwei Appartements stehen in den drei Gästehäusern der „Cincsor Transylvania Guesthouses“ zur Verfügung.
Ein guter Ausgangspunkt für die Erkundung                                Siebenbürgens

Kleinschenk ist ideal platziert. Von hier können Touristen Ausflüge in die Umgebung unternehmen. Kronstadt, Hermannstadt und Schäßburg sind alle genau eine Autostunde entfernt. Und wenn man fit sein will, mietet man ein Fahrrad und besucht die Dörfer in der Umgebung: Ruckersdorf, Rohrbach, Felmern, Großschenk.
Oft sind bei „Transylvania Guesthouses“ alle Zimmer ausgebucht. Die Gäste verbringen ihre Nachmittage in der Bibliothek mit einem Buch, im Garten auf einer Hängematte oder sie erkunden die Gegend auf dem Fahrrad. Am Abend wird im Wintergarten köstlich gegessen. Jeden Tag verwöhnt der Chefkoch Adrian die Touristen mit einem dreigängigen Menü. Das Essen wird mit frischen Zutaten aus dem eigenen Garten zubereitet, das Fleisch, der Käse oder die Milch kommen von Lokalproduzenten, dazu wird hochklassiger rumänischer Wein serviert. Die Eigentümer haben nicht nur das Wohlbefinden ihrer Gäste im Auge, sondern betrachten ihre Tätigkeit als Teil eines Kulturprojekts, mit dem die Reste der sächsischen Traditionen vor dem Vergessen bewahrt werden sollen.
„Wir entwickeln einen authentischen, gesunden Tourismus, im Einklang mit der Kultur vor Ort, mit der Natur, wir bieten eine authentische Küche“, erklärt Carmen Schuster.
Alle Touristen, die daran Interesse haben, werden von Carmen Schusters Mann durch die Kirchenburg geführt und erfahren von ihm über den Beitrag der Sachsen zu der Kultur Siebenbürgens. „Vieles ist ihnen völlig neu, aber wir merken die Bereitschaft, sich auf eine andere Geschichte als die ideologisierte einzulassen. Die Touristen entdecken Rumänien neu, aus einer anderen Perspektive“, meint Schuster.

Ein Stützpfeiler für die Gemeinschaft

Um den Regionaltourismus auf Dauer zu unterstützen und die Dörfer in der Region zu vernetzen gründeten Carmen Schuster und Michael Lisske den Verein  „Contrafort PRO Kleinschenk“.Im Deutschen bedeutet „Contrafort“ Stützpfeiler. Es werden Projekte entwickelt, die dem Dorf die Sicherheit bieten, seine Schönheit zu bewahren.  Zur Zeit ist ein Fahrradweg ins benachbarte Dorf Ruckersdorf im Plan. Ebenfalls wünscht man sich, dass sich die Dorfbewohner aus Kleinschenk besser kennenlernen, zumal mehr als die Hälfte von ihnen erst nach der Wende her gezogen ist.

Auch andere Projekte brachten in den letzten Jahren Leben ins Dorf. Im Rahmen der Initiative „Entdecke die Seele Siebenbürgens“, durch welche die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien die siebenbürgischen Kirchenburgen retten und den Kulturtourismus fördern will, wurden 2017 und 2018 zwei Residenzen für Künstler aus aller Welt organisiert. Die Idee war, eine Plattform zu schaffen, wo sich Künstler austauschen können.
Im Herbst 2017 fand die erste Künstlerresidenz statt, unter dem Motto „Un/Sicherheit“, im Frühling 2018 die zweite, unter dem Motto „Von Angesicht zu Angesicht“. Auch in diesem Herbst passiert einiges in Kleinschenk: unter dem Motto „Muzici de Cinc{or“ veranstaltet der Verein Contrafort PRO Kleinschek im September und Oktober eine Konzertreihe, in deren Rahmen auch interaktive Werkstätten mit den Kindern aus der Gemeide stattfinden werden.
„Klagen hilft nicht. Man muss aktiv werden!“

Carmen Schuster fordert alle auf, die ähnliche Projekte haben, aktiv zu werden.  Viele beklagen sich, dass die Häuser dem Verfall nahe stehen, dass das Kulturerbe langsam aber sicher verschwindet. „Statt nostalgisch zu sein, bitte anpacken! Alles andere hilft nicht. Man muss einfach etwas tun, damit sich die Dinge anders entwickeln. Macht die Schritte! Es gibt genug, was man machen kann.“ Das Projekt „Transylvania Guesthouse“ ist der lebende Beweis dafür, dass Aufbau hier möglich ist, auch wenn er mühsam ist. Auch wenn es keine leichte Entscheidung war, ins Dorf zu ziehen und zu versuchen, hier etwas zu bewegen, weiß Carmen Schuster heute, dass sie damals richtig gehandelt hat. „Anderswo hätte ich es nicht gemacht. Nur hier, weil ich hier geboren bin“.