Das tragische Dichterschicksal Georg Hoprichs (1938-1969), der mit 30 Jahren den Freitod wählte, war der Anlass dieser Auswahl.
Als Student kurz vor dem Abschluss des Germanistik- und Rumänistikstudiums in Bukarest 1961, wurde er vom rumänischen Geheimdienst Securitate in einem Schauprozess aus politischen Gründen zu 5 Jahren Haft verurteilt. Drei davon arbeitete er unter schwierigsten Bedingungen in der Bărăgan-Steppe ab, bevor er, gezeichnet und zutiefst verunsichert, entlassen wurde. Danach zog er zu seiner Braut, einer Lehrerin, die die ganze Gefängniszeit tapfer zu ihm gestanden hatte und versuchte wieder Fuß zu fassen.
Als Lehrer durfte er aus politischen Gründen nicht arbeiten, nur als Sekretär in der Schule. Von seinen beiden Kindern starb eines früh und vertiefte seine Schwermut, die ihn dann schließlich mit 30 Jahren in den Selbstmord stürzte.
Doch nicht diese erschütternde Dramatik allein veranlasste den Herausgeber Bertram Reinecke diesen Gedichtband in seinem Verlag, der sich vornehmlich um randständige und vergessene Literatur bemüht, herauszugeben, sondern vor allem der ästhetische Stellenwert, den diese Gedichte in der fünften deutschen Literatur, der der Rumäniendeutschen, bis heute einnehmen.
In seinem Essay, als Nachwort gedacht, „Hoprich lesen“, erläutert er sein Konzept. Die von ihm ausgewählten Texte sollen vermeiden helfen, Georg Hoprichs Werk bloß auf ein Dokument der poststalinistischen Zwangsverhältnisse zu reduzieren. Das würde Georg Hoprichs Lebensgefühl einseitig trist und düster einfärben und seine durchaus sich mit den komplexen Lebensverhältnissen seiner Kindheit und Jugend auseinandersetzenden Gedichte übersehen.
Georg Hoprich besaß durchaus die Kraft, Erschütterungen und Verletzungen zu begegnen und auch im Gedicht zu widerstehen. Wie in den schon 1959 geschriebenen Versen: „Rühmend unsere frischen Narben / oder glühend Wort und Kuss, / sonderst du die lichten Farben, / wölbst zum Bild die weiße Brust. / In den Wellen grüner Stunden / teilen wir den stillen Fluss, / herrlich schließen sich die Wunden. /“
Reinecke setzt die verdienstvolle Arbeit Stefan Sienerths fort, der schon 1983 mit großem persönlichem Risiko in Bukarest den ersten Gedichtband Georg Hoprichs „Gedichte“ herausgebracht hat.
Sienerth gelang es trotz schwieriger Umstände ein erstaunlich komplexes Bild des Dichters entstehen zu lassen.
Hier knüpft Reinecke an und versucht mit Hilfe der Analyse einzelner Gedichtpassagen in seinem Nachwortessay dies zu vertiefen. Vor allem erklärt Reinecke die von Georg Hoprich öfter angewendete Methode des literarischen „Risses“.
Damit meint Reinecke gewissermaßen die Schnittstelle, die bewusst einen Schiefklang heraufbeschwört, um nicht in einer gängigen, auch nicht persönlich-poetischen Aussage zu verharren, sondern auch über seine eigene Sprechweise hinauszugehen.
Im Gedicht „Die Schlafenden“ zeigt dies Reinecke an der ersten Strophe: „Sie wollten weinen oder lachen, / doch da kam der Schlaf herbei. / In seiner Bodenlosigkeit, / im unfruchtbaren Ei des Daseins. /“
Die beiden letzten Zeilen „In seiner Bodenlosigkeit / im unfruchtbaren Ei des Daseins /“ bilden den formal-melodischen Schiefklang zu den ersten beiden liedhaften melodischen Zeilen „Sie wollten weinen oder lachen, / doch da kam der Schlaf herbei. /“
Für diesen Interpretationsansatz sprechen auch die beiden in siebenbürgisch-sächsischer Mundart (das ist das überwiegend von den aus der Rhein-Maas-Mosel-Gegend vor fast 900 Jahren eingewanderten Siebenbürger-Sachsen gesprochene Moselfränkisch. Erstaunlich ähnlich dem heutigen Letzelburgischen aus Luxemburg.) geschriebenen Gedicht „Des Nochts“ (Des Nachts) und „De Wegd äs olt“ (Die Weide ist alt) beide von Klaus F. Schneider im Anhang ins Hochdeutsche übersetzt.
Selbst in der heimelig vertrauten Mundart bleibt Hoprich abgründig.
Diese auch heute noch durchaus modernen Gestaltungsmittel machen die von Reinecke hier ausgewählten Gedichte Hoprichs für alle deutschsprachigen Leser zu einem künstlerischen Erlebnis.
Es ist Reinecke gelungen, einen Zugang in die auf den zweiten Blick viel komplexere Dimension des Hoprich’-schen Sprachkosmos zu ermöglichen.
Dadurch, dass es Reinecke gelingt, viele „Chiffren“ Hoprichs in ihrer Entwicklung darzubringen, trägt er dazu bei, dass der Leser Hoprichs Schicksalsweg bei dieser Lektüre vor allem poetisch nachvollziehen kann.