Seit über 90 Jahren begleitet die jetzige Bartholomäer Orgel das Gemeindeleben. Ihr Gesicht aber, Prospekt genannt, hat das Leben der Gemeinde seit über 230 Jahren, genauer seit dem Jahre 1780 begleitet. Wie kam es aber dazu, dass wir eine neue Orgel mit einer alten Fassade besitzen?
Da wir über die Orgel vor 1780 keine Informationen besitzen, müssen wir nun die Geschichte der Bartholomäer Kirche verfolgen. Die um das Jahr 1200 gebaute Kirche wurde 1460 und 1611 stark beschädigt und über damalige Instrumente fehlt jegliche Information. Die erste überlieferte Mitteilung ist die über die Versetzung der Orgel 1758 auf die Westempore. Dadurch erfahren wir, dass die Orgel früher, wie an vielen Orten in Siebenbürgen üblich, entweder eine Einheit mit dem Altar bildete oder über dem Altar auf einer Empore stand. Betrachtet man die Seitenwände des Chorraumes, so sind noch Spuren der ehemaligen Verankerungen zu erkennen. Daraus können wir schließen, dass die Orgel frühestens nach 1670, als die Kirche nach der Zerstörung 1611 wiederaufgebaut wurde, oder Anfang des 18. Jahrhunderts gebaut wurde. Da wir leider über dieses Instrument keine Informationen haben, können wir nur annehmen, dass es ein kleineres Instrument war – bei der Aufstellung über dem Altar ist schon aus Platzgründen die Größe beschränkt. Auf jeden Fall musste dieses Instrument schon 1780 einer Orgel von Johannes Prause weichen.
Johannes Prause wurde ungefähr 1750 in Schlesien geboren. Seine ersten Orgeln in Siebenbürgen sind im Jahre 1780 belegt. Bis etwa 1800 baute er zumindest 26 Instrumente, wobei er im Burzenland fast für jede Gemeinde eine Orgel baute. Sein größtes Werk, das einzige mit zwei Manualen, steht in Bistritz. Die meisten Instrumente bildeten mit dem Altar eine Einheit und waren über dem Altar aufgestellt. Das einzige in der ursprünglichen Form erhaltene Instrument ist das in Hamruden; weitere bedeutende erhaltene Werke finden wir in Rosenau, Keisd, Honigberg, Marienburg, Zeiden, Neumarkt. Der veränderte Zeitgeschmack führte dazu, dass die meisten seiner Instrumente auf die Westempore versetzt wurden und im Laufe der Zeit verändert wurden. So erhielten die Orgeln in Rosenau im 19. Jahrhundert ein Rückpositiv und ein Pedal, die Orgel in Zeiden ein Rückpositiv. Außerdem wird an vielen Instrumenten der Tonumfang vergrößert, da die Instrumente von Prause eine kurze Oktave – das heißt es fehlen die Töne Cis, Dis, Fis, und Gis in der großen Oktave - sowie einen im Diskant kleineren Umfang als den heute gebräuchlichen hatten.
Dieses bedeutete schwerwiegende Eingriffe in die Substanz der Instrumente. Es ist nun so, dass man die Orgel, wie kein anderes Instrument, fast beliebig verändern kann. Außerdem sind im Orgelbau die gegenseitigen Einflüsse mit den Organisten immer sehr wichtig gewesen. Mit der Zeit wurde dann auf neueren Instrumenten der Umfang der Klaviatur vergrößert, so dass man auf älteren Instrumenten nur noch bedingt die neuere Literatur spielen konnte, woraufhin die Orgelbauer entweder die alten Orgeln mit neuen Windladen für die fehlenden Töne ergänzt haben oder, den Ansprüchen gemäß, neue Orgeln angeschafft wurden. Interessanterweise ist uns das Gutachten von Johannes Prause über die geplante Restaurierung der Orgel in Bistritz erhalten geblieben, wobei nur der geringe Preisunterschied zwischen Restaurierung und Neubau zum Neubau führte. Ein knappes Jahrhundert nach der Erbauung der Orgel in Bartholomä kommt es 1875 zu einem Briefwechsel zwischen dem Kronstädter Orgelbauer Joseph Nagy wobei es um die Reparatur der Prause-Orgel geht. Am 24. Februar offeriert Nagy eine Orgelreparatur mit „vollkommen gründlichen, neuer Einrichtung für die Summe von 960 Gulden“ oder „gründliche Reparatur der Orgel mit Weglassung der Verschönerungen und vielen Einrichtungen nach neuester Einrichtung zu 520 Fl“.
Schließlich wird ein Vertrag am 29. März 1875 abgeschlossen, der aber nur die Reinigung, Stimmung und Intonation der Orgel vorsieht, für 240 Fl., die laut Vertrag am 5. Juni abgeschlossen wird. Durch diesen Vertrag wissen wir zumindest, dass die Bartholomäer Prause-Orgel Manual und Pedal hatte, ähnlich der Orgel in Keisd, deren Gehäuse auch ähnlich gestaltet ist. Interessant ist am Gehäuse der Bartholomäer Orgel die aufwändige Gestaltung der Schnitzereien – hervorzuheben wären insbesondere die als Äolusköpfe gestalteten Schleierbretter über den Seitenfeldern. Leider fehlt in der mittleren Linse das Wappen, das Prause auf allen Orgeln entweder schnitzen oder malen ließ.
Im Jahre 1923 wird mit der Temeswarer Firma „L. Wegensteins Söhne“ ein Vertrag für eine neue Orgel unterschrieben. Carl Leopold Wegenstein wurde 1858 in Kleinhadersdorf nördlich von Wien geboren und nach Lehrjahren bei bedeutenden Orgelbauern, wie Walcker in Ludwigsburg, Jehmlich in Dresden, Goll in Luzern und Laukhuff in Weikersheim, um nur die bedeutendsten anzuführen, ließ er sich in Temeswar nieder, wo er 1880 seine erste Werkstatt gründete. Seine Werkstatt wurde bald eine der größten Orgelbaufabriken dieser Region, neben Otto Rieger aus Budapest und Josef Angster aus Pecs. Bis in das Jahr 1913 wurden 122 Orgeln ausgeliefert.
Nach der Übernahme durch seine Söhne und Umbenennung auf „J. Wegensteins Söhne“, wurden bis 1945 insgesamt 300 Instrumente ausgeliefert, wobei die Werkstatt auch Harmonien baute. Sollte uns die hohe Zahl der Werke überraschen, so muss man sich vergegenwärtigen, dass im Zuge der Industrialisierung in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts das sogenannte pneumatische System eingeführt wurde, welches es erlaubte, Orgeln sehr schnell und einfach zu bauen. Außerdem boten verschiedene Firmen auch einzelne Teile an – so ließ sich sehr schnell eine neue Orgel bauen. Die Pläne und der Kostenvoranschlag wurden am 15. März vorgelegt, am 6. April nach den Vorschlägen von Musikdirektor Viktor Bickerich wurde der Kostenvoranschlag verbessert und die Orgel sollte bis zum 10. Oktober fertig sein. Tatsächlich wird in einem Brief Wegensteins vom 12. März 1923 hingewiesen: „Wir mussten bei dieser äußerst vollkommenen Disposition die besprochenen 20 Register überschreiten, was unserem Gutdünken nach nicht in die Waagschale fällt, dem Vollklange aber besonders vorteilhaft zugetan ist.“
Es spricht für Bickerichs hohes Ansehen, dass er nach knapp eineinhalb Jahren in Kronstadt als Orgelsachverständiger in Erscheinung tritt. Außerdem wird die durch die Inflationsrate bedingten 14tägige Aktualisierung der Offerte mitgeteilt. Der Vertrag wurde in dieser Form abgeschlossen, und am 16. Dezember 1923 kann die neue Orgel feierlich eingeweiht werden. Für das Prospekt schlägt die Stunde der Rettung – es wird, wie auch in anderen Fällen, in das neue Instrument integriert. In dieser Zeit wird im Zuge der so genannten Orgelbewegung eine Rückbesinnung auf barocke Klangideale immer stärker. In diesem Sinne wird es deutlich, dass einerseits das Gehäuse als erhaltenswert scheint und erhalten bleibt – wie auch bei zahlreich anderen „modernisierten“ Orgeln dies der Fall ist, zum Beispiel Nussbach, Tartlau und zahlreiche andere Ortschaften, wo Orgeln modernisiert wurden. Da es damals einerseits eine Rückbesinnung auf die barocken Klangideale, andererseits aber ein starker Glaube an Fortschritt und Modernität bestand, wurden Orgeln modernisiert. Ein sehr ausführlicher Abnahmebericht von Viktor Bickerich vom 11. Dezember 1923 liegt vor. Zugegen waren noch Paul Richter, Pfarrer Dr. Eugen Lassel, Kirchenvater Gusbeth als Vertreter des Presbyteriums und die Brüder Richard und Josef Wegenstein. Daraufhin wird die Orgel im einzelnen beschrieben und sowohl handwerklich als auch musikalisch als entsprechend abgenommen.
Es sei hier nur auf Besonderheiten hingewiesen – obwohl die Orgel pneumatisch gesteuert wird, spricht sie dank des Abstromsystems präzise an. Im zweiten Manual sind die Register bis g4 ausgebaut, so dass die Superoktavkoppel in der oberen Oktave keine Klanglücke bildet. Auch ist der Schwellkasten so gebaut, dass er sich nach allen Seiten öffnet – was im Zuge einer Renovierung bis auf die Vorderseite abgestellt wurde, so dass wir heutzutage nicht den kompletten Klangeindruck haben.
Über die Einweihung der Orgel zu Bartholomae berichten unter anderem die „Kirchlichen Blätter“ aus dem Januar 1924 wie folgt: „Das von der Orgelbauanstalt Wegenstein in Temeschburg gelieferte klangschöne, neue Werk, das allen Anforderungen neuzeitlicher Technik entspricht, ist am 16. Dezember v.J. im Rahmen einer größeren kirchlichen Feier seiner Bestimmung übergeben worden. Es nahmen daran außer den Mitgliedern der Gemeinde auch viele Vertreter der Stadtgemeinde Kronstadt und der Burzenländer Landgemeinden teil, da Bartholomä so recht das Bindeglied zwischen Stadt und Land bildet.“
Über die Orgelweihe berichtet auch die Kronstädter Zeitung vom 19. Dezember 1923. Pfarrer Dr. Eugen Lassel berichtet über die Arbeit, die für das Beschaffen der Kirchenglocken, Turmuhr und Kirchenglocken nötig war und dankt allen Beteiligten.
Das Kirchenkonzert wird vom Bartholomäer Kirchenchor, vom städtischen Schülerkirchenchor gestaltet. Weiterhin spielte die Gesellschaft der Musikfreunde unter der Leitung von Direktor Zoltner „Beethovenische und Mozartische symphonische Orchestermusik“, so der Bericht. Die Orgel „wurde vom Musikdirektor Bickerich zum Erklingen gebracht. Zwei Bachische Orgelkompositionen, ein Präludium und die D-moll Toccata gaben Bickerich die Gelegenheit, nicht nur die Werke in ihrer ganzen Großzügigkeit mit meisterlicher Hand wiederzugeben, sondern auch die Schönheiten, die Fülle sowie die Zartheit der Orgelstimmen vorzuführen. Trotzdem glaube ich aber feststellen zu müssen, dass mich die Vielseitigkeit der Klangwirkungen und die reiche Skala der Ausdrucksmöglichkeiten dieser Orgel verblüfft hat. Besonders hat auch die leichte Spielbarkeit, die dem Organisten eine Überlegenheit über das Instrument sichert, mein Staunen gesichert. Eine gewisse Schwerfälligkeit und Starrheit der älteren Orgeln ist dadurch zum Vorteil für die ‘Königin der Instrumente’ auf die schönste Weise ausgeglichen. Wir beglückwünschen die Gemeinde Bartholomae zu dieser wundervollen Bereicherung ihres Gotteshauses.“
Im Jahre 1932 wird die Orgel von der Firma Wegenstein gereinigt und gestimmt. 1945 wird dann die Firma Wegenstein aufgelöst.
In den folgenden Jahren wurde das Instrument gepflegt, wofür wir vor allem der Familie Einschenk zu danken haben. Das damals so moderne System der Pneumatik erwies sich als störanfällig und ist relativ aufwändig zu warten.
1998 wurde die Orgel von Hermann Binder generalüberholt, die folgenden Jahre setzten dem Instrument doch wieder zu. Daher kann es nur unser Wunsch sein, dass diese Orgel vielleicht spätestens zu ihrem 100jährigen Jubiläum 2023, wieder in alter Pracht erklinge.