Am 5. Januar wurde Feministin Adriana Radu, Gründerin und Leiterin der Nichtregierungsorganisation „Sexul vs. barza“/Sex versus Storch (die ADZ berichtete), zum Mitglied des Rumänischen Rats für Wirtschaft und Soziales (Consiliul Economic {i Social) ernannt. 304 NGOs hatten sie im von der Regierung genehmigten Online-Verfahren für diese Funktion gewählt. Sie ist die einzige Kandidatin, die sich für das Recht der Frauen einsetzen will; sie hat das nötige Fachwissen im Bereich Frauenrechte, Geschlechtergleichheit und reproduktive Rechte. Die studierte Germanistin und Literaturwissenschaftlerin (Université Lumière Lyon 2) hat einen Masterabschluss in öffentlicher Gesundheit an der Universitätsmedizin Charité Berlin erhalten, ein in Deutschland bei der größten nichtstaatlichen Organisation für Sexual-, Schwangerschafts- und Partnerschaftsberatung, „Pro familia“, abgelegtes Praktikum und eine achtjährige Erfahrung in Sexualberatung. Die Mitdreißigerin ist mit ihrem ehrgeizigen Projekt vor der Weltregierungsorgansation, der UNESCO und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Deutschland aufgetreten.
Ihre Ernennung war allerdings nicht reibungslos, zumal an ihrer Stelle im Dezember ein Architekt ernannt worden war, der sich mit Gutachten bei Bränden beschäftigt. 171 NGOs, 12.400 Bürger, die neu ernannten Mitglieder des CES, sowie mehrere Medien haben sich für Adriana Radu eingesetzt.
Beratung seit acht Jahren
Radus kurze Videos zum Thema sexuelle Aufklärung und reproduktive Gesundheit, die sie seit 2013 regelmäßig auf dem Youtube-Kanal der NGO postet, werden von über Hunderttausend hauptsächlich jungen Menschen zwischen 14 und 35 Jahren im In- und Ausland verfolgt. Allein in den letzten sechs Monaten wurden ihre Videos auf TikTok (eine Kurzvideo-Plattform, die Funktionen eines sozialen Netzwerks anbietet) mehr als 37,5 Millionen Mal gesehen. Ihre Plattform ist die erste und eine der einzigen landesweit, wo Jugendliche Beratung im hierzulande noch heiklen Thema erhalten. Sehr viele minderjährige Mädchen, die eine ungewollte Schwangerschaft befürchten, oder sexuell belästigt wurden, aber auch Jungen, die vermuten, an einer Geschlechtskrankheit zu leiden und nicht wissen, was sie diesbezüglich tun sollen, fragen die Expertin privat verzweifelt nach Lösungen.
Der Rat für Wirtschaft und Soziales billigt die von der Regierung eingeleiteten Projekte von Rechtsvorschriften und die gesetzgebenden Inititiativen der Parlamentarier. Er besteht aus 45 Mitgliedern, von denen 15 von Arbeitgebern, 15 von Gewerkschaften und weitere 15 von der Zivilgesellschaft empfohlen werden. Die Mitglieder werden vom Premierminister ernannt. Die Mandate der bisherigen CES-Mitglieder laufen, nach vier Jahren, diesen Monat ab.
Als Mitglied dieser Instanz will sich die ehemalige Parlaments-Stipendiatin des Bundestags für das Recht der Frauen in Rumänien und für Geschlechtergleichheit einsetzen, sie will Mädchen und Frauen zur Selbstbestimmung befähigen, den allgemeinen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und reproduktiven Rechten gewährleisten. „Ich will im Rat für Wirtschaft und Soziales sein, um mich zu vergewissern, dass die Gesetzgebung gegen reproduktive Rechte, einschließlich das Recht auf reproduktive Gesundheit, nicht mehr so leicht durchkommt“, sagt sie entschlossen. Europaweit liegt Rumänien ganz vorne, was sexuelle Gewalt und Menschenhandel, sowie minderjährige Mütter (die hauptsächlich aus benachteiligten Milieus stammen) betrifft. Die Expertin sieht einen engen Zusammenhang zwischen all diesen Faktoren und hofft, dass die Situation verbessert wird.
Sexualkunde und Familienplanung
Sexualkunde in den Schulen würde einen Teil dieser Probleme lösen, meint sie. Radu hat in Lyzeen, öffentlichen Bibliotheken und an Universitäten Jugendlichen über ihr Spezialgebiet gesprochen, die Fragen der jungen Menschen beantwortet. Nun bereitet sie einen Online-Lehrplan für Lehrkräfte vor, anhand dessen diese in den Klassen-, Biologie- und Sozialkundestunden das Thema Sexualkunde unterrichten können. Sie will das Programm kostenlos an interessierte Schulen spenden. Die Entscheidung kam mit der Einsicht, dass mehr als nur ihre vereinzelten Auftritte in einigen Schulen nötig sind, um die Vision der Minderjährigen und damit auch der Gesellschaft über die Position und Rolle der Frau in der Gesellschaft ins Positive zu ändern. Ein systemischer Eingriff sei nötig.
Sexualkunde als Pflichtfach gibt es in Rumänien nicht, obwohl es mehrere Versuche in diesem Sinne gab. Vergangenen Sommer entschloss sich das Parlament, dass nur das Wahlfach „Hygieneerziehung“ in Schulen gelehrt werden soll, an dem Kinder mit der schriftlichen Zustimmung ihrer Eltern teilnehmen dürfen.
Radu will sich unter anderem auch für die Eröffnung von Zentren für Familienplanung engagieren, wo junge Menschen beraten werden. Vor sechs Jahren noch gab es 153 Kabinette landesweit. 36 davon wurden seither aufgelöst, sodass es Kreise gibt, wo kein einziges Zentrum für Familienplanung existiert. Nur zwei im ganzen Land verteilen kostenlose Verhütungsmittel und Kondome an Interessenten, obwohl das zu ihren Aufgaben zählt, weiß die engagierte Spezialistin. Adriana Radu verspricht ihr Mandat nicht zu vergeuden.