Nach 19 Jahren in Deutschland, wo sie ihr Studium der Politikwissenschaft und Soziologie in Aachen absolvierte, beschloss Olivia Grigoriu im Jahr 2009, in ihre Heimat zurückzukehren. Zurzeit arbeitet sie als Beraterin und Auditorin für die Einhaltung international anerkannter Informationssicherheitsmanagement- und Datenschutzverordnungssysteme und ist Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt.
Bei den Wahlen am 9. Juni kandidiert sie seitens des Forums in der Allianz „Uniți pentru Brașov“ für den Kronstädter Lokalrat. Sie will die Identität und Kultur Kronstadts bewahren und dafür sorgen, dass genügend Mittel für die Restaurierung historischer Gebäude zur Verfügung stehen.
Über die Herausforderungen, die eine Frau in der Politik zu bewältigen hat, über Zukunftspläne und Kronstadt sprach Olivia Grigoriu mit der KR-Redakteurin Elise Wilk.
Deine Großmutter Ada Teutsch, die 2015 verstorben ist, hat sich sehr viel für die Gemeinschaft eingesetzt: sie war Leiterin des Vereins der Russlanddeportierten, betreute die Bibliothek des Forums und leitete jahrelang die Theatergruppe des Kronstädter Kulturhauses. Eine Zeitlang hat sie auch die Theatergruppe des Honteruslyzeums geleitet – ich hatte das Glück, sie kennenzulernen und verdanke ihr sehr viel. War es ihr Beispiel, dem Du gefolgt bist, als Du dich entschlossen hast, die Leitung des Kronstädter Ortsforums zu übernehmen?
Als Kind hab ich mir gewünscht, dazu beizutragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Während des Konfirmationsunterrichts wurde mir klar, dass ich dieses Ziel vor allem durch die Arbeit in einem Verein oder in der Politik erreichen kann.
Als ich zu dem Zeitpunkt über mein Vorhaben nachdachte, wusste ich noch nicht, dass ich nach Rumänien zurückkehren würde. Ich hätte mir vorstellen können, diese Aufgaben überall auf der Welt zu übernehmen. Als ich dann 2009, nach 19 Jahren Deutschland, nach Rumänien zurückgekehrt bin, hab ich mich dem Forum am nächsten gefühlt.
Die Arbeit meiner Großmutter für die Russlanddeportierten und ihre Tätigkeit in der Forumsbibliothek haben in mir das Gefühl verstärkt, dass es ganz natürlich ist, Teil des Forums zu sein. Ihre Hingabe und ihr Engagement für die Gemeinschaft haben mich sicher geprägt und inspiriert. Sie ist zweifellos ein Vorbild für mich.
Wie hast du den Entschluss gefasst, für einen Platz im Kronstädter Stadtrat zu kandidieren?
Im Forum wird immer wieder diskutiert, ob wir uns politisch engagieren sollten oder nicht.
Die Satzungen der Forumsorganisationen legen eindeutig fest, dass das Forum die politische Vertretung der deutschen Minderheit ist. Wir müssen uns politisch einbringen, das ist unsere Verantwortung.
Die Entscheidungen über die Zukunft Kronstadts werden im Stadtrat getroffen. Deshalb ist es nur konsequent, dass sich das Kronstädter Ortsforum dafür einsetzt, im Stadtrat vertreten zu sein.
Ich kandidiere, weil ich überzeugt bin, dass ich die Interessen der deutschen Minderheit, den Erhalt des kulturellen Erbes in Kronstadt und die Bildungsinstitutionen in Muttersprache glaubwürdig vertreten kann.
Bei den Wahlen am 9.Juni kandidieren wir zusammen mit der USR, PMP und For]a Dreptei in der Allianz Uniți pentru Brașov. Ich kandidiere auf Platz 4 der Stadtratsliste der Allianz.
Wie waren die letzten drei Jahre als Vorsitzende des Kronstädter Forums? Auf was bist Du besonders stolz?
Die letzten drei Jahre waren eine Herausforderung, aber wir haben sie als Vorstand gemeistert. Besonders die Zeit, bis Uwe Leonhardt sich entschied, die Rolle des Geschäftsführers zu übernehmen, war für mich persönlich aufgrund des ehrenamtlichen Arbeitsaufwands eine riesige Herausforderung. seit Anfang 2023 ist die Arbeit besser verteilt. Für dieses Mandat hatten wir drei Ziele.
Das erste Ziel war klar definiert, wir hatten den Auftrag das Ortsforum Kronstadt in eine juristische Form zu überführen. Das zweite Ziel war es, mehr Projekte in Kronstadt durchführen, vor allem solche, die Kinder und Jugendliche näher an das Forum bringen und dementsprechend an unsere Kultur und Werte. Unser drittes Ziel war es, die Mitgliederzahlen zu erhöhen.
Der Vorstand hat das Ortsforum Kronstadt erfolgreich in eine juristische Person verwandelt. Wir haben die Anzahl der Projekte und den Förderungswert durch das DRI um ein Vielfaches erhöht. Die Zahl der Kinder und Familien, die sich für unsere Projekte interessieren, steigt kontinuierlich. Wir haben aktuell fast 130 Mitglieder.
Um noch einmal auf Deine Frage zurückzukommen, worauf ich besonders stolz bin, da lautet meine Antwort: Ich bin sehr stolz auf unser Team! Hier noch ein Mal meinen Dank an alle die sich einbringen und uns unterstützen!
Welches ist, Deiner Meinung nach, die wichtigste Errungenschaft des Mandats von Allen Coliban?
Vor 2020 schien die Stadtverwaltung nicht immer nach demokratischen Werten und dem Rechtsstaat zu handeln. Daher begrüße ich es sehr, dass Allen Coliban die Stadtverwaltung für die Bürger geöffnet hat und keine Klientelpolitik betreibt.
Die Bürger haben nun die Möglichkeit, sich aktiv an der Entscheidungsfindung durch öffentliche Debatten zu beteiligen. Außerdem hat er die chaotische Stadtentwicklung gestoppt. Diese zwei Aspekte sind für mich persönlich die wichtigsten Errungenschaften.
Viele Kronstädter waren im Jahr 2020, als Coliban Bürgermeister wurde, voller Hoffnung. Nach vier Jahren USR-Mandat sind viele ehemalige Wähler enttäuscht, kritisieren oft und meinen, dass sich in Kronstadt nicht sehr viel getan hat. Mit welchen Argumenten kann man die unentschiedenen Wähler davon überzeugen, trotzdem Vertrauen zu haben? Ist ein vierjähriges Mandat genug, um etwas zu ändern?
Die Initiativen von Allen Coliban wurden teilweise durch den Stadtrat blockiert. Die USR hatte 12 Sitze im Stadtrat, während PNL und PSD zusammen 15 Sitze hatten und somit die Mehrheit stellten. Diese Mehrheit haben die PNL-PSD genutzt, um Projekte aus meiner Sicht unter verschiedenen Vorwänden zu blockieren.
Ich finde diese Art der Opposition sehr bedauerlich. Ein von den Bürgern gewählter Stadtrat sollte im Sinne der Bürger entscheiden und nicht nur aus machtpolitischen Gründen agieren. Diese Blokade im Stadtrat ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Grund, warum manche Bürger den Eindruck haben, dass nicht genug passiert ist.
Ein weiteres Mandat, bei dem die USR die Mehrheit im Stadtrat hat, könnte Bürgermeister Coliban die notwendige Unterstützung geben, um seine Vision umzusetzen. Grundlegende Veränderungen brauchen Zeit, daher bietet ein weiteres Mandat die Möglichkeit, begonnene Projekte abzuschließen und neue Initiativen erfolgreich umzusetzen.
Für was wirst Du dich im Lokalrat einsetzen, falls Du gewählt wirst?
Als Vertreterin des Ortsforums Kronstadt in der Allianz Uniți pentru Brasov möchte ich mich insbesondere für die Interessen der deutschen Minderheit einsetzen. Dabei liegt mir der Erhalt des kulturellen Erbes in Kronstadt besonders am Herzen. Ich werde mich dafür stark machen, dass historische Gebäude und Traditionen bewahrt und gefördert werden. Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Unterstützung und Weiterentwicklung von Bildungsinstitutionen, die Unterricht in deutscher Muttersprache anbieten. Eine qualitativ hochwertige Bildung in der Muttersprache ist essenziell für den Erhalt unserer kulturellen Identität. Diese Schwerpunkte werden mein Handeln im Stadtrat leiten, um eine starke und lebendige Gemeinschaft zu fördern.
Warum ist Kronstadt einzigartig?
Kronstadt hat ein einzigartiges, durch die Geschichte geprägtes Stadtbild und eine bemerkenswerte Lage am Fuße der Zinne. Für mich ist Kronstadt die schönste Stadt der Welt! Der mittelalterliche Stadtkern, die gut erhaltenen Stadtmauern und Wehrtürme, die beeindruckende Zinne und die idyllische Schulerau machen Kronstadt zu einem besonderen Ort. Die zahlreichen Wälder und Grünflächen bieten vielfältige Möglichkeiten, die Natur zu genießen und aktiv zu erleben. Außerdem gibt es viele kulturelle Schätze und Veranstaltungen, die das Leben in Kronstadt bereichern. Diese Kombination aus Geschichte, Natur und Kultur macht Kronstadt wirklich einzigartig.
Was fehlt der Stadt Deiner Meinung nach?
Ich wünsche mir, dass es allen Bürgerinnen und Bürgern Kronstadts gut geht, sowohl gesundheitlich als auch finanziell. Daher möchte ich die Initiativen für mehr duale Schulen und Berufsschulen ausdrücklich begrüßen. Denn Bildung ist ein wichtiger Faktor für wirtschaftlichen Wohlstand. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass die derzeit durch die PSD-PNL-Regierung blockierten Krankenhausprojekte im Rahmen des PNRR freigegeben werden. Ich denke, wir sollten uns darauf konzentrieren, die Qualität der Krankenhäuser zu verbessern.
Ich finde es wichtig, dass die Stadt behindertenfreundlich gestaltet wird, sodass man als Rollstuhlfahrer/-in überall hinkommen kann. Von so einer Gestaltung würden auch Eltern mit kleinen Kindern profitieren, da sie die Kinderwägen einfacher schieben könnten.
Für die Kinder würde ich mir wünschen, dass es mehr Abenteuerspielplätze in Kronstadt gibt. Die instrumentalen Spielplätze sind zweifellos ein guter Anfang, doch wäre es vielleicht sinnvoll, die Parks und Spielplätze mit einem einzigartigen Wiedererkennungswert auszustatten. Ich denke, es wäre durchaus wünschenswert, wenn sich Spielplätze in Zukunft stärker voneinander unterscheiden würden. Ein abwechslungsreiches und kreatives Spielplatzangebot könnte dazu beitragen, die Attraktivität der Stadt weiter zu steigern.
Was hat sich Gutes in Kronstadt in den letzten vier Jahren getan? Nenne die drei wichtigsten Änderungen.
In den vergangenen vier Jahren konnten in Kronstadt einige positive Entwicklungen beobachtet werden, die aus meiner persönlichen Sicht von großer Bedeutung sind.
Erstens ist es erfreulich zu sehen, dass keine weiteren Bauerlaubnisse für die Hügel rund um die Innenstadt erteilt wurden und dass ein verstärktes Augenmerk auf die Renovierung historischer Gebäude gelegt wird, um den Denkmalschutz zu gewährleisten.
Zweitens möchte ich eine der erfreulichsten Entwicklungen hervorheben, dass nach dreißig Jahren wieder neue Kindergärten und Schulen errichtet werden. Dies ist von großer Bedeutung für die Bildung der Kinder, insbesondere vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Bevölkerungswachstums der Stadt.
Drittens begrüße ich die Initiative der Stadtverwaltung, einen Fotovoltaik-Park zu errichten, um Kronstadt mit grünem Strom zu versorgen. Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass diese Maßnahme nicht nur zur weiteren Senkung der Emissionen beiträgt, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz und zur Nachhaltigkeit der Stadt leistet.
Die Katakomben an der Graft, die mittelalterlichen Wehrtürme, die Zitadelle, das Popular-Kino – all das sind Projekte die sehr langsam verwirklicht werden. Manche von ihnen sind wegen bürokratischer Hürden blockiert, bei manchen steht noch nicht fest, wer der Eigentümer ist – Stadt oder Kreis – und die Kronstädter warten seit Jahren, dass sich etwas tut. Welches ist Deine Position dazu?
Die von dir angesprochenen Themen sind vielen von uns sehr wichtig. Bei einigen liegt die Verantwortung bei der Stadtverwaltung, bei anderen bei der Kreisverwaltung, wie zum Beispiel beim ehemaligen Schwimmbad und dem Eislaufplatz auf der Burgpromenade.
Als Vertreter des Forums im Stadtrat werden wir uns mit Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt dafür einsetzen, dass diese lang erwarteten Projekte endlich vorankommen. Unser Ziel ist es, genügend Wählerstimmen für die Allianz zu erhalten, um diese Themen auf die politische Agenda zu setzen und Lösungen für die bürokratischen Hindernisse zu finden.
Coliban hat dauernd von einer „grünen Stadt“ geredet. Doch die Radfahrer haben noch immer keine richtige Piste durch die Stadt. Oder wenn es eine gibt, sind Autos darauf geparkt. Ich persönlich habe Angst, mit dem Fahrrad ins Zentrum zu fahren. Gleichzeitig ist dauernd Stau, alle benutzen das Auto, im Zentrum fehlt es an Parkplätzen. Was den öffentlichen Transport betrifft- dieser ist ein Pluspunkt Kronstadts. Wann wird es für Kronstädter möglich sein, das Fahrrad öfter zu benutzen?
Du sprichst hier einen Punkt an, der für viele von uns sehr wichtig ist. Coliban hat tatsächlich Fahrradwege versprochen und sich dafür eingesetzt, dass diese umgesetzt werden. Leider hat sich gezeigt, dass die Umsetzung eines solchen Projekts etwa drei Jahre dauert. Es ist ein langwieriger Prozess, ein Fahrradwegprojekt so zu erstellen, dass es alle erforderlichen Kriterien erfüllt und von den entsprechenden Behörden abgesegnet wird. Das erste Projekt für Kronstadt ist bereits abgeschlossen und wird, sofern keine weiteren Einwände erhoben werden, in Kürze umgesetzt werden können. Ich habe gehört, dass die Umsetzung solcher Projekte in Klausenburg auch etwa drei Jahre dauert.
Wie sieht es mit dem kulturellen Leben aus? Das Amural gibt es leider nicht mehr und das Konzept des Massif-Festivals, das letztes Jahr ins Leben gerufen wurde, ist nicht gerade originell, sondern eine Kopie des Klausenburger Untold. Was für ein Festival würde Kronstadt wirklich brauchen?
Unter der Leitung von Coliban hat sich das kulturelle Leben der Stadt Kronstadt sehr positiv entwickelt. Im vergangenen Sommer wurden im Stadtzentrum kostenfreie Kulturveranstaltungen angeboten, die auf großes Interesse gestoßen sind und von den Bürgern sehr positiv aufgenommen wurden.
Um die Frage zu beantworten, welches Festival Kronstadt wirklich braucht, wäre es erforderlich, die Bevölkerung zu befragen, welche Wünsche und Bedürfnisse sie hat. Im Sinne der Bürgerbeteiligung wäre es sicherlich sinnvoll, die Meinung der Mitbürger einzuholen und zu berücksichtigen.
Aus meiner persönlichen Sicht wäre es wünschenswert, mehr Kultur in die Stadtviertel zu bringen.
Welches ist dein Lieblingsort in der Stadt?
Kronstadt ist mein Lieblingsort. Von der Noua über das Stadtzentrum bis zum Schei, vom Schneckenberg bis zum Schuller – überall gibt es Orte, mit denen ich eine besondere Verbundenheit spüre.
Nenne einen Ort, der früher schön war und den es heute nicht mehr gibt/ der verfallen ist.
Die Gaststätte am Salomonsfelsen, einst ein wunderschöner Ort, ist leider verfallen. Es gibt Pläne, sie wieder aufzubauen und funktionsfähig zu machen. Allerdings blockiert die Mehrheit der PSD-PNL-Stadträte diese Initiative.
Du bist zweifache Mutter, erfolgreiche Unternehmerin und somit ein Beispiel für viele Frauen. Hast du selbst eine Frau in der Politik, die dein Vorbild ist?
Es gibt viele Frauen, deren Arbeit und Engagement ich außerordentlich schätze.
In besonderem Maße haben mich die Frauen in meiner Familie geprägt und sind für mich bis heute Vorbilder. Sie zeichneten sich durch eine hohe Emanzipation und eine bemerkenswerte Stärke aus, Eigenschaften, die ich immer wieder bei sächsischen Frauen beobachte.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass mehr Frauen den Weg in die Politik finden. Ich bin fest davon überzeugt, dass Männer und Frauen gemeinsam als Team die besten Lösungen für die Herausforderungen von morgen finden können. Wir sind stärker, wenn wir zusammenarbeiten und unsere Vielfalt als Quelle der Stärke und Innovation nutzen.
Vielen Dank für das Interview!