Hauch der Schatten

Von Alexandra-Ioana Bucurenciu (I. Preis)

Preisverleihung des Literaturwettbewerbs im Forumsfestsaal

Man sagt, dass der Herbstwind in Siebenbürgen seine eigene Stimme hat. Nicht jeder ist dazu bestimmt, diese Stimme zu hören. Ich kann nicht sagen, ob es ein Fluch oder ein Segen ist, in den langen Herbstnächten vom Herbstwind heimgesucht zu werden, von einer fremden Stimme, die keinen Frieden schenkt und dich nicht schlafen lässt.

Früher, als ich noch ein Kind war, habe ich immer gelacht, wenn die Alten des Dorfes uns ihre Legenden am Feuer erzählten. Ich habe immer gedacht, dass es nur einfache Geschichten ohne jegliches Körnchen Wahrheit seien, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, um uns zu erschrecken und uns dazu zu bringen, brav zu sein, unsere Hausarbeiten zu erledigen, gute Noten in der Schule zu bekommen und die Eltern nicht zu verärgern. Genau wie der Weihnachtsmann oder die Zahnfee – ich war sicher, dass es reine Erfindungen waren, aus der Fantasie irgendjemandes entstanden.

Aber an dem Tag, als ich mein Heft im Wald verlor, auf dem Heimweg nach der Schule, begann ich zu verstehen, dass manche Dinge nicht nur erzählt werden – sie warten. Geduldig. Unsichtbar. Und dann, plötzlich, finden sie dich.

An diesem Tag war der Wald mit einem Teppich aus rostfarbenen Blättern bedeckt, und die Luft roch nach feuchtem Moos und frühem Regen. Ich hatte es nicht eilig; ich mochte es, allein auf dem Weg zu gehen, der die Schule im Dorf mit dem Tal verband, wo mein Vater eine kleine und enge Hütte gebaut hatte. Es war still. Eine seltsame Stille, als würde der Wald den Atem anhalten. Ich bewunderte die unwiderstehliche Schönheit des Waldes in dieser Zeit; es war, als würde ich ein Herbstgemälde betrachten.

Die Stille wurde abrupt unterbrochen, als ich ein Rascheln aus einem nahegelegenen Busch hörte. Neugierig trat ich vorsichtig näher, und gerade als ich nur ein Blatt berühren wollte, sprang ein Schäferhund vor mich. Ich wusste von meinem Vater, dass Hirten ihre Hunde schon von klein auf lehren, auf Fremde aufzupassen und schnell zu handeln, um die Herde zu schützen. Auch dieser Hund zögerte nicht lange. In den ersten fünf Sekunden schien er genauso überrascht wie ich, aber dann kam er wieder zu sich, zeigte die scharfen Zähne und knurrte bedrohlich.

Mit vorsichtigen Schritten versuchte ich, mich zu entfernen, aber er stürzte sich auf meine Spur. Ich begann zu rennen, aber egal wie schnell ich lief, jedes Mal, wenn ich mich umsah, sah ich, dass er mir immer näher kam. Als ich mich dem Haus näherte, sprang Rex, der Hund der Familie, mir freudig entgegen, und dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Eindringling hinter mir, den er mit einem einzigen scharfen Blick vertrieb.

Ich erledigte den Rest des Tages gewissenhaft meine Hausarbeiten, und am Abend, als ich den Rucksack öffnete, um ihn für den nächsten Schultag vorzubereiten, bemerkte ich, dass mein Heft fehlte, das Geschichtsheft. Verzweifelt nahm ich alles aus dem Rucksack und schüttelte ihn hektisch, aber vom Heft keine Spur. Ich erkannte, dass es wahrscheinlich aus dem Rucksack gefallen war, als ich vor dem Hund auf dem Pfad durch den Wald geflohen war.

Als ich aus dem Fenster schaute, war es draußen stockfinster, nicht einmal das Licht der Glühwürmchen drang durch die schwarze Finsternis. Ich zog schnell meine neuen roten Stiefel an und zündete eine Laterne an, aber in dem Moment, als ich die Tür öffnete, begann es zu regnen. Nicht irgendein sanfter Regen, sondern ein starker Platzregen, begleitet von einem Wind, der drohte, die Tür aus den Angeln zu reißen.

Verzweifelt ging ich zurück ins Haus. Ich könnte die Notizen aus dem Geschichtsunterricht wiederholen, wenn ich eine Mitschülerin frage, aber wenn ich jetzt rausginge, um das Heft zu suchen, wäre nicht sicher, ob ich es finde, und vielleicht würde ich mich erkälten. Mama wäre sehr wütend, wenn ich Fieber bekäme und einige Tage nicht zur Schule gehen könnte. Ich entschied, an diesem Abend früher schlafen zu gehen und die Träume mich weit weg von der realen Welt tragen zu lassen.

Am nächsten Morgen wachte ich bei den ersten Sonnenstrahlen auf und machte mich auf die Suche nach dem Heft. Zu meiner Überraschung fand ich es, bedeckt von einigen eiergelben Blättern. Zerfleddert, der Einband geknickt, aber fast trocken. Natürlich – als ich es öffnete, konnte ich nichts mehr von dem entziffern, was ich geschrieben hatte; der Regen hatte die Tinte auf der ersten Seite völlig verschmiert. Ich blätterte Seite um Seite, aber ich erkannte meine eigene Schrift nicht. Nicht, weil sie zerstört war, sondern weil sie mir nicht gehörte. Vor mir, auf den Seiten von Tannengrün, war eine kalligrafische Schrift, wie aus einem der geheimen Dokumente, die in den Archiven der Stadt aufbewahrt werden.

Als ich mit den Fingern über die Buchstaben strich, durchfuhr mich ein kalter Schauer, wie wenn man gefrorenes Metall berührt. Es schien unmöglich. Das Heft war meines, und doch gehörte die Schrift jemand anderem. Ich schlug reflexartig die erste Seite um, und mein Blick blieb an der ersten Zeile hängen, geschrieben mit schwarzer, eleganter, aber beunruhigender Tinte: „Wenn jemand dies findet… möge er mir verzeihen.“

Ich blinzelte einige Sekunden lang nicht. Der Wald schien ebenfalls den Atem anzuhalten. Ich las weiter: „Mein Name ist Carlotta Weiß. Wenn diese Seiten zu dir gekommen sind, bedeutet das, dass der Wind mich gefunden hat. Hauch der Schatten… kommt wieder.“

Ich runzelte die Stirn. Ich hatte noch nie von Carlotta gehört, aber es schien, als wollte das Tagebuch direkt mit mir sprechen, mir eine Warnung geben, oder dass jemand Hilfe brauchte, oder dass ich einfach aufpassen sollte, um nicht selbst Hilfe zu brauchen. Ich schob diese Gedanken mit einer einfachen Handbewegung bei-seite und machte mich auf den Weg zur Schule.

Im Geschichtsunterricht blätterte ich weiterhin in Carlottas Aufzeichnungen, verfolgte ihren Alltag: eine schlechte Note in der Schule, das Füttern der Hühner morgens, die kühlen Herbstabende. Wie in einem Traum hörte ich jemanden meinen Namen immer wieder rufen. Als ich schließlich aufsah, sah ich Frau Re{an, die mich mit einem durchdringenden Blick unter ihren dicken Brillenrändern ansah:

„Ania, gib mir das Heft, ich will sehen, wie viel du während der Stunde geschrieben hast.“ 
Ich geriet in Panik und fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, noch röter als die Blätter, die von den Ästen der Bäume fallen. Ich reichte ihr das Heft, erwartete eine Strafe für meine Unachtsamkeit während des Unterrichts. Zu meiner Überraschung gab sie es mir sofort zurück, mit einem zufriedenen, katzenartigen Lächeln. Als ich hineinsah, erkannte ich meine eigene Schrift wieder, sogar einige der Notizen, die ich während dieser Stunde hätte machen sollen, und langsam und allmählich wurden die Geheimnisse des mysteriösen Tagebuchs wieder sichtbar. 

Am Schulende stürmte ich die Treppe hinunter und an der Ecke des Gebäudes sah ich eine alte Frau, die kleine Blumensträuße verkaufte. Ich brauchte die Blumen nicht, aber ich dachte mir immer, wenn ich die Möglichkeit habe, den Menschen zu helfen, die weniger haben als ich, sollte ich sie nicht verschwenden. 
Bevor ich ihr Geld reichen konnte, sah die alte Frau mich eindringlich an, schlau wie ein Fuchs, als würde sie mehr wissen, als sie zeigt, und sprach mit geheimnisvoller Stimme:

„Du hast schöne Augen, Kind, braun wie die Baumrinde nach dem Regen. So hatte sie auch die andere… Carlotta. Kennst du sie?“ 
Mein Mund blieb offen stehen, und das Geld fiel mir aus der Hand. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Die Frau verzog nur eine Mundhälfte zu einem Lächeln. 
„Ach, es macht nichts. Der Wald erinnert sich schneller als die Menschen. Und manchmal gibt er zurück, was man ihm genommen hat.“

Ich entfernte mich so schnell ich konnte, das Tagebuch von Carlotta fest an meine Brust gedrückt. Ich wusste nicht genau, wer die alte Frau war, oder wer Carlotta war, oder welche Verbindung zwischen ihnen bestand. Aber eins war klar: Die Frau schien zu glauben, dass ich Carlotta folgte.

Die nächsten Tage waren ein Albtraum: Flüstern, das mich in den  Ohren kitzelte und mich nicht schlafen ließ; das Gefühl, verfolgt zu werden; seltsame Träume, in denen ich durch den Wald rannte, hinter einem angeblichen Geist von Carlotta her; und gestern schien ich sogar in der Klasse die alte Frau durch das Fenster an der Ecke zu sehen, was logisch betrachtet unmöglich war, da wir im zweiten Stock waren.

Als ich nach Hause kam, war mein Vater draußen und spaltete Holz. Ich dachte, er würde keine Pause machen, also fragte ich: „Papa, kann ich dich etwas fragen?“ 
Er setzte sich auf einen Baumstumpf, legte die Axt aus der Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Bingo, ich hatte den richtigen Moment erwischt. 
„Was weißt du über Carlotta Weiß?“ 
Sein Arm blieb in der Luft hängen, als wäre er gerade versteinert worden. Er nahm einen ernsten Ausdruck an und antwortete mir. 
„Woher hast du diesen Namen?“ 
„In der Schule“, antwortete ich einfach, mit einer logischen Erklärung, wie man sie oft benutzt. 
„Ich dachte nicht, dass die Leute noch darüber sprechen. Warum fragst du nach diesem Mädchen?“ 
„Weil ich viele Dinge höre und nicht weiß, welche wahr sind und welche nicht.“ 
Oh Gott, wann bin ich so gut im Lügen geworden? 
„Nun, vielleicht, weil sich die Blutmondzeit nähert. Gut, ich werde dir erzählen. Du warst sehr klein, als es passierte, und du erinnerst dich wahrscheinlich kaum noch.“ Ich wartete geduldig, dass er fortfuhr. Ich wollte nicht zu neugierig wirken. 
„Seit einiger Zeit gibt es eine unheimliche Legende im Dorf: Man sagt, in den Nächten mit Blutmond kann man Kraft erbitten oder das Schicksal ändern, aber nur, wenn man die genauen Schritte eines Rituals zur Einigung mit der Göttin der Schatten, Vespera, befolgt.“ 
Meine Mutter erzählte mir früher Geschichten über Vespera und ihre positiven, magischen Eigenschaften, bevor ich schlafen ging. 
„Ich habe gehört, dass es im Wald eine Lichtung mit drei hohen, alten Kastanienbäumen gibt, die wie die Spitzen eines Dreiecks angeordnet sind, und in der Mitte steht eine steinerne Statue dieser Göttin. Ich habe gesehen, dass die Leute dorthin gehen, um bestimmte Gaben im Gedenken an Carlotta zu hinterlassen, normalerweise nach der Ernte. Die Leute sagen, die alte Ilsa Zeiler wüsste das Ritual und nutze jede Gelegenheit, um ihr Leben zu verlängern. Sie hätte vor zehn Jahren Carlotta in den Wald gelockt, um das Ritual durchzuführen. Sie brauchte etwas junges Blut, aber irgendetwas ging schief, und das Mädchen verschwand zwischen den Welten. Weder lebendig noch tot. Alles, was sie hinterließ, war ein abgenutztes Tagebuch auf ihrem Schreibtisch.“ 
Ich hätte niemals mit einer solchen Geschichte gerechnet. Es klang noch unwirklicher als die Geschichten über Dracula, die benutzt wurden, um Touristen zu locken, die Abenteuer und Geheimnisse in unserem Land suchten. 
„Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass all dies nur Erfindungen der Dorfältesten sind und der Frauen, die den ganzen Tag zu Hause nichts zu tun haben und sich langweilen. Die Wahrheit ist, dass die alte Ilsa nur ehrliche Arbeit macht, indem sie Kräuter und Blumen verkauft und gelegentlich Touristen die Zukunft vorhersagt.

Die arme Carlotta ist mit der ersten Gelegenheit von zu Hause weggelaufen, genau wie ihre Mutter, anstatt ihr ganzes Leben bei einem Vater zu verbringen, der seine Zeit nur in der Kneipe verbrachte. Zufälligerweise war genau am Abend ihres Verschwindens Blutmond, und daraus entstand diese elaborierte Geschichte.“

Am Abend, bevor ich schlafen ging, bemerkte ich ein seltsames Licht vom Tagebuch aus. Als ich es in die Hand nahm, öffnete es sich von selbst auf einer Seite, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Sie sah aus wie ein Symbol: ein X mit einer Krümmung darüber, deren Enden wie Pfeile wirkten, als wären sie in die Seite geritzt und in einer bedrohlichen roten Farbe. Darunter standen die Worte: „Heute Nacht ist Vollmond. Sei vor Mitternacht bei der Statue. Sprich diese Worte, wenn du mich vom Fluch befreien willst: Sanguis oblitus revertitur. Animam meam tradere umbrae.“

Ich wusste nicht genau, was die Worte bedeuteten; ich war nie sehr aufmerksam im Lateinunterricht, aber beim Lesen des Tagebuchs begann ich zu glauben, dass wir gute Freundinnen hätten sein können, dass sie es verdient hatte, dass ich alles riskiere, um sie zu retten.

Mitten in der Nacht wachte ich auf, als hätte mich der Hahn geweckt, und folgte einem unbekannten Weg durch den Wald, in meinem Nachthemd. Zu meiner Überraschung fror ich nicht einmal. Aber das war nicht das Wichtigste. Der einzige Pfad, den ich im Wald kannte, führte nach Hause, und auf dem hatte ich gelernt, mich nie abzulenken – und trotzdem schien ich innerlich von einer übernatürlichen Kraft zu den drei hohen Bäumen geführt zu werden. Es fühlte sich an, als wäre ich diesen Weg schon einmal gegangen, vielleicht in einem früheren Leben.

Mit diesen Gedanken im Kopf bemerkte ich kaum, wann ich vor der Statue der Göttin ankam. Im tiefen Wald, zwischen den langen Schatten der Bäume, sah ich sie zum ersten Mal: die Statue von Vespera. Ihr altes, rissiges und moosbedecktes Gestein schien die Dunkelheit der Nacht zu absorbieren, und ihre kleinen schwarzen Kristallaugen reflektierten das Mondlicht wie lebendige Obsidiansplitter. Ihr Mantel schien im unsichtbaren Wind zu flattern, und ihre starre Haltung schickte eine Warnung: Komm nur näher, wenn du weißt, was du suchst. In ihrer Hand hielt sie einen rituellen Dolch. In die dünne, leicht gebogene Klinge war das gleiche Symbol graviert, das mir das Tagebuch von Carlotta vor einigen Stunden gezeigt hatte, und pulsierte in der Dunkelheit, Gefahr verheißend. Unter dem Blutmond schien die Klinge alles um sich herum zu absorbieren, und der Schatten der Statue wurde in der sachten Mondbeleuchtung unheimlich lang – ich zuckte zusammen.

Eine dichte Stille breitete sich über den Ort aus. Die Statue war nicht nur ein Steinobjekt: Sie wirkte wie ein Wächter des Schattens, eine lebendige Präsenz, die jede Emotion spürte, wusste, dass ich, Ania, hier war, um Carlottas Heft zu holen. Mein Herz schlug rasend schnell. Es gab keine Zeit mehr zum Zögern.

Mit zitternden Fingern streckte ich die Hand nach dem Dolch aus, den Vespera ewig hielt. Ich hätte nicht erklären können, warum ich es tat. Vielleicht aus krankhafter Neugier. Vielleicht der seltsamen inneren Stimme folgend, die ich seit dem Finden des Tagebuchs in meiner Brust spürte. Oder vielleicht… die Stimme flüsterte aus meinem Inneren, wie ein altes Echo, das in meinem Blut begraben war: „Die Schatten rufen… das Blut antwortet.“

Meine Finger berührten die Klinge. Ich spürte einen kalten Schauer und dann einen unerklärlichen Impuls. Es war, als hätte nicht ich meine Hand gehoben, sondern jemand anderes sie geführt. Ich stach mich. Ein Tropfen Blut lief über das Symbol auf dem Dolch. In diesem Moment rührte sich die Statue. Nein… nicht die Statue. Der Boden um sie.

Die Luft zog sich plötzlich zusammen, der Wind stoppte, und der gesamte Wald hielt den Atem an. Das blutrote Symbol im Tagebuch, das ich in meiner Tasche trug, leuchtete plötzlich wie eine offene Wunde. Ein Wirbel von Flüstern begann hinter mir, aus den Bäumen, aus der Erde – von überall. 
Meine Lippen bewegten sich von selbst. Die Worte kamen aus mir, obwohl ich sie nie gelernt hatte: „Sanguis oblitus revertitur. Animam meam…“

,,NEIN!” Ein Schrei durchschnitt die Nacht.

Meine Hand wurde brutal vom Dolch weggerissen. Ich fiel in das Laub, erschrocken, mit dem Blut immer noch an meinen Fingerspitzen. 
Vor mir stand die alte Frau aus dem Dorf – die, die alle die Hexe von der Verlassenen Lichtung nannten. Sie hatte große, feuchte Augen, wie die eines Menschen, der schon zu oft zu spät gekommen war. Ihr weißes Haar wehte wild im plötzlich wieder aufkommenden Wind. 


„Sprich kein Wort vor dieser Statue!“ 
Ihre Stimme zitterte. Nicht aus Angst. Aus Verzweiflung. 
„Ania, wenn du die Beschwörung beendest, können wir sie nicht mehr stoppen.“ 
Ich starrte sie fassungslos an. 
„Wer? Vespera?“ zitterte ich 
„Nein, Carlotta.” Die Alte packte meine Hände fest. 
„Vor zehn Jahren versuchte sie, das Ritual zu brechen, um ihre Seele aus dieser Welt zu retten. Sie hatte genug von ihrem Vater und dem elenden Leben, das sie Tag für Tag führte. Sie scheiterte und blieb zwischen den Welten gefangen.“ 
Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach: 
„Jetzt will sie zurückkehren und jemand anderen benutzen… dich, Ania. Wenn du die Worte sprichst, wird deine Seele ihren Platz einnehmen, und sie wird in unsere Welt zurückkehren.“ 
Ich verstand noch nicht, wie das möglich war. 
„Ich… bin ihre Großmutter.“ Sie hob den Kopf und schaute mich mit großen, angsterfüllten und entschlossenen Augen an. „Ich habe diese Familie beschützt, damit sich die Tragödie nicht wiederholt. Ich bin gekommen, um dich zu stoppen, bevor es zu spät ist.” 
Ich habe das Tagebuch neben der Statue liegen lassen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich nicht nur das dort liegen lasse. Die Schatten flüsterten weiterhin meinen Namen, und tief im Wald wartete Carlotta geduldig.