Wir sind heute hier versammelt, um die Preisträgerin des Apollonia-Hirscher-Preises für das Jahr 2012 zu ehren, Frau Doktor der Chemie Hannelore Roth.
Es ist das 14. Mal, dass seit dem Jahre 1998 dieser Preis vom Demokratischen Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt und von den HOG Kronstadt und Bartholomä – seit 2012 vereinigt in der Heimatgemeinschaft der Kronstädter – verliehen wird. Der AHP soll jeweils eine Persönlichkeit würdigen, die sich Verdienste um die deutsche Gemeinschaft in Kronstadt erworben hat.
Von den bisherigen 15 Preisträgern sind elf Frauen und vier Männer. Die jüngste Preisträgerin war Frau Astrid Hermel – damals 55 Jahre alt -, die älteste Preisträgerin war 1999 Era Nussbächer mit 86 Jahren, die zweitälteste ist Frau Dr. Hannelore Roth, mit 85 Jahren, sie ist aber auch die erste Preisträgerin mit dem Doktortitel.
Ihren wissenschaftlichen Titel hat Frau Dr. Roth auf einem besonderen Gebiet erworben, und zwar für Chemie. Wir leben zwar alle ständig umgeben von Chemie, aber manchen von uns war die Chemie in der Schule eine Last, jedoch für Hannelore Roth wurde sie zur Lust, der sie ihr Leben widmete. In ihrem Leben hat Frau Roth ihr erworbenes Fachwissen auf verschiedenste Weise angewandt, wie wir noch hören werden.
Ihr Lebenslauf ist kurz folgender:
Hannelore Roth wurde am 5. August 1927 in Kronstadt geboren. Ihre Eltern waren Georg Roth, Drogist (1885-1975) und Eleonore Dorothea geb. Theil (1895-1962). Die Familie stammte ursprünglich aus Schäßburg, wo sich die Vorfahren bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Der Vater Georg Roth war bis nach dem Weltkrieg in der „Pharmag“ in der Schwarzgasse in leitender Stellung angestellt. Das war eine Firma, die bis zur Nationalisierung des Gesundheitswesens im Jahre 1949 die Apotheken mit Medikamenten versorgte.
In den Jahren 1937/1938 hatte sich die Familie Georg Roth nach den Plänen des bekannten Architekten Albert Schuller (1877-1948) und mit Hilfe der „Wohnhausbaukredit-Genossenschaft“ ein Haus in der Dup²-Ini{te-Gasse Nr. 12 bauen lassen, ein Unterfangen, das sich aber infolge der geschichtlichen Entwicklung – Krieg und dessen Folgen – als wenig erfreulich erweisen sollte – sogar bis heutigentags.
Die Volksschule und das Mädchengymnasium bis zur Quarta besuchte Hannelore Roth in Kronstadt, danach die Klassen Quinta und Sexta in Hermannstadt am deutschen Mädchenlyzeum, das aber nach dem 23. August 1944 aufgelöst wurde. Deshalb kam sie für die Septima und Oktava wieder nach Kronstadt an das rumänische Mädchenlyzeum „Principesa Elena“ (das heutige „Unirea“-Kollegium), wo sie im Jahre 1947 die Bakkalaureatsprüfung ablegte.
Aus ihrer Kindheit erinnert sich die heutige Preisträgerin gerne an die Zeit, als sie mit ihrer Mutter, die seit der Gründung (1933) im Bachchor unter Prof. Victor Bickerich (1895- 1964) mitsang, bei den großen Aufführungen in der Schwarzen Kirche mit dabei war. Ebenso war sie selbst auch vor Beginn ihres Studiums Schülerin von Prof. Bickerich.
In den Jahren 1947 - 1951 studierte sie an der rumänischen „Victor Babeş“-Universität in Klausenburg Chemie.
Nach der Nationalisierung und Auflösung der „Pharmag“ (1949), als der Vater seine Stelle verlor, war es dann die Mutter, die ihren Beruf als Schneiderin wieder aufnahm, um so der Tochter die Beendigung ihres Studiums in Klausenburg (1951) zu ermöglichen.
Die Vorlesungen anerkannter Professoren jener Zeit und das Studium ausländischer Fachbücher in der Universitätsbibliothek führten mehr und mehr zur Erkenntnis der großen Zusammenhänge in der Natur. So schrieb sie zum Abschluss ihres Studiums im Jahre 1951 ihre Diplomarbeit über „Die Photochemie der Chlorophyllassimilation“, diesen gewaltigen Vorgang der Umwandlung des Kohlendioxyds in organische Verbindungen, unter Abspaltung von Sauerstoff.
Ihre Leistungen als Studentin waren derart, dass sie im Anschluss an das Chemie-Institut der Rumänischen Akademie in Klausenburg kam, wo sie bis zum Jahre 1961 tätig war. Dort wurde sowohl Grundlagen- als auch angewandte Forschung betrieben.
Eine wichtige Tätigkeit entfaltete sie dort in den Jahren 1956-1961, als sie im Rahmen einer Konvention zwischen der Rumänischen Akademie und der Akademie der Wissenschaften in Berlin mit der Referiertätigkeit für das „Chemische Zentralblatt“ beauftragt wurde. Es ging dabei um die Erfassung aller veröffentlichten Mitteilungen, die seit Kriegsbeginn bis 1956 nicht referiert worden waren.
Das „Chemische Zentralblatt“, gegründet 1830, das „vollständige Repertorium für alle Zweige der reinen und angewandten Chemie“, war die weltälteste chemische Bibliografhiezeitschrift und war auch in der Zeit des geteilten Deutschlands eine gesamtdeutsche Publikation, die in zwei Verlagen – und zwar im im Akademie-Verlag Berlin (DDR) und im Verlag Chemie in Weinheim/Bergstraße (BRD) – erschien, damals wöchentlich in einem Heft von 250 – 300 Seiten, dazu jährlich Autoren- und Sachregister; es ermöglichte also eine vollständige Dokumentation für jedes Problem. Hannelore Roth verfasste für das „Chemische Zentralblatt“ in den Jahren 1956 – 1961 – nach strikten redaktionellen Vorschriften – über 500 Referate auf den Gebieten der anorganischen und analytischen Chemie, Mineralogie und Biochemie. Andere Teilgebiete wurden von zwei deutschsprechenden Kollegen bearbeitet. Diese Arbeit erfreute sich der vollen Anerkennung sowohl des Herausgebers des „Chemischen Zentralblattes“, Prof. Dr. Maximilian Pflücke, als auch der zuständigen Stellen der Rumänischen Akademie (Akad. Prof. Dr. Raluca Ripan und Akad. Prof. Dr. C. D. Neniţescu).
Dies war natürlich nicht eine Tätigkeit für die deutsche Gemeinschaft in Kronstadt, sondern trug aktiv bei zur Bekanntmachung der rumänischen Chemieforschung jener Zeit in internationalen Kreisen. Dies muss aber heute doch auch erwähnt werden.
In Klausenburg schrieb sich Hannelore Roth zur damals noch nach sowjetischem Vorbild so genannten Aspirantur ein, um den Titel eines Kandidaten der Chemischen Wissenschaften zu erwerben, der gesetzlich im Jahre 1965 dem Doktortitel gleichgesetzt wurde. Ihre Dissertation – eine Arbeit auf dem Gebiet der Metallchelatverbindung – verteidigte sie – unter Tränen – am 1. Dezember 1962, einen Tag vor dem Tod ihrer schwerkranken Mutter.
Schon lange vor dieser Zeit hatten die Schikanen der kommunistischen Behörden gegen die Familie Roth begonnen. Die Eltern wurden im Mai 1952 evakuiert und mussten in Elisabethstadt Zwangsaufenthalt nehmen, damit Angehörige der Repressivorgane im schönen Haus wohnen konnten.
In Elisabethstadt mussten die Eltern niedere Tagelöhnerarbeiten verrichten, bis der Vater eine fixe Anstellung beim Volksrat als Marktkehrer erhielt, die er zur vollsten Zufriedenheit der Behörde mit Gewissenhaftigkeit erfüllte! Nach zwei Jahren konnten die Eltern wieder nach Kronstadt zurückkehren, mußten aber im eigenen Haus die Waschküche zu ihrer Unterkunft adaptieren und auch das konnte nur mit der schriftlichen Einwilligung der anderen Hauseinwohner geschehen – unglaublich, aber wahr!
Um ihren alten Eltern näher sein zu können, kam Hannelore Roth im Jahre 1961von Klausenburg nach Kronstadt zurück und wurde im Zentrallaboratorium des Traktorenwerkes angestellt, wo sie dann mehr als zwei Jahrzehnte lang tätig war. Sie war zuständig für Dokumentation, für die entsprechende Neuausstattung des Laboratoriums und für Forschung. Neue Apparaturen (aus Ost und West) wurden angeschafft und moderne physikalisch-chemische Analysenmethoden eingeführt. Ein mit zwei Kollegen gebautes und erprobtes Gerät zur Schnellbestimmung von Silicium im Gusseisen wurde als Erfindung anerkannt (1977).
Von ihrer breit gefächerten Tätigkeit im Traktorenwerk wollen wir hier nur noch anführen, dass sie etwa zwei Jahre lang auf maßgebliche Weise beteiligt war bei der Untersuchung und Aufklärung der Ursachen der Explosion vom 1. September 1979 in der Gießerei des Traktorenwerkes, bei der es zahlreiche Opfer gegeben hatte.
Im Jahre 1982 ging Frau Dr. Hannelore Roth vom Traktorenwerk in Pension. Dass ein Großteil ihrer Lebensarbeit durch die Vernichtung des Traktorenwerkes nach der Wende von 1989 ebenfalls vernichtet wurde, kann sie heute nur zutiefst bedauern. Denn es wurde dort ernst und mit Sachkenntnis gearbeitet, mit einer Ausrüstung, die noch für Jahre zukunftsfähig gewesen wäre. Auch erfreute man sich – von einigen Ausnahmen abgesehen – guter Kollegialität und Zusammenarbeit.
Ein damaliger Kollege charakterisierte sie als „warmes, hilfsbereites, stets freundliches Wesen“.
Im Jahre 1981 wurde sie als aktives Gemeindeglied in das Presbyterium der Honterusgemeinde gewählt, dem sie bis zum Jahre 1995 angehörte.
Ihre erste große Aufgabe war es, sich vom wissenschaftlich-technischen Standpunkt um die neue Verglasung der Fenster der Schwarzen Kirche zu kümmern, die ein Teil der Renovierung von 1981 – 1984 war, welche durch die Wiedereinweihung am 27. Mai 1984 abgeschlossen wurde. Das Ziel der Verglasung war, die wertvolle Teppichsammlung der Schwarzen Kirche vor schädlicher ultravioletter Strahlung möglichst zu schützen und gleichzeitig eine optimale Beleuchtung des Kirchenraumes durch das Tageslicht zu gewährleisten.
Diese entsprechende Verglasung wurde von Era Nussbächer (1913 – 2003), der Leiterin der Teppichrestaurierungswerkstatt im Obervorstädter Pfarrhaus, angeregt, vom damaligen Kurator Dr. Otmar Richter (1908-1987) energisch betrieben und von der Historikerin Dr. Maja Philippi (1914 -1993) sehr befürwortet. Der damalige Stadtpfarrer Mathias Pelger koordinierte alle Wiederherstellungsarbeiten.
Wir erinnern daran, dass mehrere der AHP-Preisträger für ihre Verdienste gerade um die Schwarze Kirche geehrt wurden: Era Nussbächer (1998) hatte die Teppichsammlung betreut, Eckart Schlandt (2001) hat jahrzehntelang die große Orgel der Schwarzen Kirche gespielt, Eugen Bruß (2008) hat die Arbeiten für den neuen Fußboden der Schwarzen Kirche geleitet.
Frau Dr. Hannelore Roth bereiste zur Erfüllung ihres Auftrags zuerst im Jahre 1982 mehrere Glasfabriken des Inlandes, von denen aber leider keine die entsprechende Glasqualität herstellen konnte. Zahlreiche Messergebnisse der untersuchten Glasproben führten zu dieser Erkenntnis.
Ebenso konnte sie auf Grund spektralfotometrischer Untersuchungen beweisen, dass auch andere vorgeschlagene Gläser nicht zweckentsprechend waren. Deshalb wurde vom Presbyterium ein Angebot der „Deutschen Spezialglas AG“ (DESAG) - in Mitterteich im Bayerischen Wald - angenommen, weil dort die gewünschten Gläser hergestellt werden konnten. Im Frühjahr 1983 wurde Dr. Hannelore Roth nach Deutschland delegiert, um bei der DESAG die wissenschaftlichen Details zu besprechen. Danach erfolgte die Produktion.
Diese Aktion wurde vom damaligen Bischof D. Albert Klein (1910 – 1990), der auch Physik und Chemie studiert hatte und somit vom Fach war, mit viel Interesse begleitet, hatte er doch als Kronstädter Stadtpfarrer die große Renovierung der Schwarzen Kirche begonnen.
Im Sommer und Herbst 1983 wurden dann die Chorfenster neu verglast, im Frühjahr 1984 die Fenster des Langhauses, alles unter der Leitung und Kontrolle des verdienten Denkmalpflegers und Herderpreisträgers (1983) Architekt Günther Schuller (1904-1995). Danach konnte am 27. Mai 1984 die feierliche Wiedereinweihung der im Inneren renovierten Schwarzen Kirche erfolgen.
Der Schäßburger Architekt Kurt Leonhardt (1911-2012) – der im Auftrag des Bischofs D. Albert Klein die Aktion in Mitterteich begleitet hatte - schrieb an Dr. Hannelore Roth am 27. Oktober 1984:
„Deine Mühe und die Fahrt in den Bayerischen Wald waren nicht umsonst. Du hast der Stadtpfarrkirche Deiner Heimatstadt einen großen bleibenden Dienst erwiesen. Der früher etwas kalte und fast düstere Innenraum der Schwarzen Kirche hat durch diese Renovierung eine freudige und festliche Note erhalten und dieses sicher auch durch die von Dir vertretene und durchgesetzte Verglasung der gotischen Fenster.“
Nach fast drei Jahrzehnten hat Frau Dr. Hannelore Roth am 25. Juni 2012 einen Bericht mit zahlreichen Anhängen und Dokumentationen über die Verglasung der Fenster der Schwarzen Kirche dem Presbyterium der Honterusgemeinde eingereicht und gebeten, dass diese Dokumentation in das Archiv der Schwarzen Kirche gelange, wo auch andere Dokumentationen über die Kirchenrenovierung aufbewahrt werden. In seiner Sitzung vom 5. März 2013 hat das Presbyterium diesen Bericht dankend zu Kenntnis genommen. Dazu kam ein schöner Dankesbrief am 25. April 2013, worin auch zu lesen ist, dass die Dokumentation von Dr. Hannelore Roth im Archiv der Honterusgemeinde die Signatur IV.F.374 erhalten hat und künftig dort eingesehen werden kann.
Dass die vor 30 Jahren durchgeführte Verglasung – dank der kantenfilterartigen Absorbtion der ultravioletten Strahlung – unverändert effizient ist, konnte kürzlich durch eine im Bukarester Institut für Atomphysik durchgeführte Analyse bewiesen werden. Auch für die Zukunft besteht also diesbezüglich kein Anlass zur Besorgnis.
Frau Dr. Hannelore Roth hat im Presbyterium der Honterusgemeinde fast 15 Jahre lang, von 1981 bis 1995 mitgewirkt. Bei ihrem Ausscheiden erhielt sie einen Brief des Presbyteriums, aus dem wohl am besten wörtlich zu zitieren ist. Das Presbyterium hatte beschlossen: „Ihnen unser aller herzlichsten Dank für die im Laufe der Jahre geleistete Arbeit und Ihr Engagement für die Belange der Gemeinde auszusprechen. Sie haben immer aktiv an den Beratungen teilgenommen. Dabei kam Ihr fachliches Wissen und Können neben der zutiefst christlichen Einstellung zu den besprochenen Problemen zum Ausdruck. Das ist wohl das Bedeutendste in dieser Arbeit, dass nicht nur der weltliche Aspekt, sondern auch das geistliche Moment zum Tragen kommt. Und dieses kam in allen Ihren Diskussionsbeiträgen voll zum Ausdruck“.
Aus dem geistlichen Leben von Hannelore Roth wollen wir noch anführen, dass sie als Obervorstädter Kind in der Obervorstädter Kirche am 18. April 1943 von Pfarrer Waldemar Keintzel konfirmiert wurde. Ihr Konfirmationsspruch war aus dem Sendschreiben an die Gemeinde in Ephesus in der Offenbarung 2,10: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben“.
Ihre lebendige Beziehung zu Gott hat sie im Laufe ihres langen Lebens auch durch viele Fährnisse getragen, und für einen Teil davon passt das Schiller-Wort:
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Aber natürlich gab es nicht nur böse Nachbarn, sondern auch viele treue Freunde und Helfer, die schöne Lichtblicke für ihr Leben waren und sind.
Auch heute noch nährt sie sich täglich mit geistlicher Nahrung und ist offen für geistliche neue Erfahrungen. Ich erlaube mir zu sagen, dass sie ein wandelndes lebendiges Zeugnis der Liebe, Güte und Gnade Gottes ist. Ihm allein sei Dank und gebührt alle Ehre für dieses gesegnete Leben, das auch ein Segen für viele war und ist.
Kronstadt, 26. April 2013 Gernot Nussbächer