„Ich habe Mitleid mit meinem Mann. Es kommen schwere Zeiten auf ihn zu, der Arme“, sagt eine achzigjährige Frau aus Radeln/Roadeş. Gelassen schaut sie in die Kamera und erklärt, dass ihr Gatte öfters zu tief ins Glas schaut, deshalb würde ihm hundertprozentig das Höllenfeuer drohen. Daran glaubt sie fest. Über Himmel und Hölle, Legenden, vergessene Bräuche, Wahrsagen, verlassene Kirchen und vor allem über den Glauben – eine Woche lang nahmen Journalismus-, Kommunikations- und Geschichte-Studenten aus Hermannstadt alte sächsische Dörfer aus dem Haferland unter die Lupe und erkundeten die religiösen Ansichten ihrer heutigen Bewohner.
Ziel war, eigene Kurzfilme zu entwickeln. Ob auf den Spuren des sagenumworbenen Draaser Schwer-tes, auf der Suche nach seltenen Sektenbewegungen auf dem Land oder einfach nach interessanten Gesprächspartnern und deren Lebensgeschichte – die Woche im Haferland verlief für alle Teilnehmer spannend.
„Gottes Mühlen mahlen im Haferland“
Die Sommerakademie für angehende Videojournalisten fand im Rahmen des Projekts „Siebenbürgische Dorfporträts“ zwischen dem 7. und dem 13. Juli 2014 unter der Leitung des aus Siebenbürgen stammenden Regisseurs Günter Czernetzky statt. Die Studenten wohnten im Pfarrhof von Katzendorf/Caţa. Jeden Tag fuhren sie in Zweier-Teams durch die Gegend und suchten interessanten Stoff für ihre Kurzfilme. „Alle müssen eine Story entwickeln, Ansprechpartner finden, Kontakt aufnehmen und die Menschen motivieren, ausführliche Antworten zu liefern. Sie sollten keine Angst vor den Menschen haben. Und viele Fragen stellen“, meint Czernetzky. Alle Filme werden gegen Ende des Jahres auf einer DVD mit dem Titel „Gottes Mühlen mahlen im Haferland“ veröffentlicht werden. Es wird schon die achte DVD der von Czernetzky ins Leben gerufenen Serie „Siebenbürgische Dorfporträts“ sein.
Sekten und Legenden
Katzendorf, Radeln, Deutsch Weißkirch/Viscri, Deutschkreuz/Criţ, Meschendorf/Meşendorf, Hamruden/Homorod, Ungra/Galt, Klosdorf/Cloaşterf und Draas/Drăuşeni sind die Dörfer, wo die Studenten eine Woche lang recherchiert haben. Vielen ist es gelungen, interessante Gesprächspartner zu finden – wie etwa die zwei Angehörigen der Nazarener Kirche in Deutsch Weißkirch. Das Ehepaar trat der Sekte bei, nachdem der Chef der schwangeren Frau drohte, sie zu entlassen, wenn sie nicht abtreibt.
Außerdem gab es dauernd Geldprobleme in der achtköpfigen Familie. Eines Tages fand die Frau, fast aus Versehen, die Nazarener Kirche in Schäßburg. „Die Leute waren so nett zu uns“, meint sie. Das Leben der Nazarener ist strikt. Man darf nicht ins Kino gehen, nicht Karten spielen, keinen Alkohol trinken. Frauen durften bis vor kurzem keine Hosen tragen und auch kein Make-up. Die Kernaussage der Nazarener lautet: die Menschen werden nicht erlöst, wenn sie zu Lebzeiten sündigen. „Meist sind es Menschen, die einsam sind. Die Sekte gibt ihnen das Gefühl, dazu zu gehören“, meint Laura, die den Film über die Familie aus Deutsch Weißkirch gedreht hat. Auch sonst ist das Leben der Sektenmitglieder auf dem Dorf nicht sehr leicht. Sie werden von ihren Nachbarn oft nicht toleriert. Orthodoxe Pfarrer haben Angst, dass die Sekten ihnen die Gemeindemitglieder stehlen. Und meinen, dass die Leute wegen Geld einer Sekte beitreten.
Ein anderer Student ging auf die Spuren des Draaser Schwertes. Die Legende sagt, dass die Fürsten der ersten Einwanderer ihre Schwerter, das eine in Broos/Orăştie und das zweite in Draas/Drăuşeni in die Erde steckten und somit die äußersten Punkte des neu besiedelten Gebiets markierten. Damals machten sie auch eine Prophezeiung: Wenn die Schwerter verschwinden, werden auch die Sachsen aus dem Dorf verschwinden. Das legendäre Draaser Schwert wurde im Chor der Kirche aufbewahrt und ist nach 1944 tatsächlich verschwunden. „Leider konnte ich nichts Neues herausfinden. Die einzige Sächsin im Dorf war erst zwei Monate alt, als das Schwert verschwunden ist. Trotzdem habe ich viele nette Dorfbewohner kennengelernt, die mir verschiedene Varianten der Geschichte erzählt haben“, meint der Student.
„Wir haben viel gelernt“
Die Spurensuche war nicht immer leicht, weil nicht alle befragten Dorfbewohner sprechen wollten. „Manche hatten Angst vor der Videokamera. Wir mussten ihnen erklären, dass wir nicht vom Fernseher sind, sondern einen Film für die Schule drehen. Besonders in Deutsch Weißkirch/Viscri waren die Leute skeptisch. Das Dorf ist inzwischen dank Prinz Charles international bekannt und fast täglich kommen Journalisten vorbei. Die Leute haben davon die Nase voll“, meint Laura, eine Geschichte-Studentin.
Trotzdem trafen die Studenten überall auf Gastfreundschaft. Für die Dokumentation mussten sie oft im Dorf übernachten, in dem sie recherchiert haben, da es abends keine Möglichkeit gab, nach Katzendorf zurückzufahren. Die Dorfbewohner boten ihnen kostenlos Quartier an, oft wurden sie zum Essen eingeladen und am nächsten Tag sogar mit dem Auto ins nächste Dorf gefahren. „Die wichtigste Erfahrung, die ich gemacht habe, ist, dass es noch gute Menschen gibt. Wir waren Fremde, und trotzdem wurden wir wie Freunde aufgenommen. Wenn dir Gutes widerfährt, möchtest du es weitergeben. Es gibt also noch Hoffnung“, sagt Felicia. „Wir haben über Toleranz gelernt. Man muss zusammenleben können, den anderen respektieren, auch wenn er einem anderen Glauben angehört. In vielen Dörfern durften wir den Gottesdienst filmen, die Leute waren sehr offen und freundlich”, meint die Journalismus-Studentin.
Wahrsagen am Frühstückstisch
Den Studenten wurde auf dem Pfarrhof von Katzendorf ein umfassendes Rahmenprogramm angeboten. Jeden Abend hatten sie die Möglichkeit, Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft oder Religion kennenzulernen und ihnen Fragen zu stellen. Am letzten Abend las der Schriftsteller und Gastgeber Frieder Schuller aus seinem Gedichtband „Mein Vaterland ging auf den roten Strich“ und erzählte auf spannende Weise den Kontext zu jedem Gedicht.
Am letzten Vormittag wurde ein ungewöhnlicher Gast zum Frühstück eingeladen: die Wahrsagerin des Dorfes, Clara. Mit Hilfe von alten, schmutzigen Spielkarten hatte sie Einblick in die Zukunft aller Teilnehmer der Sommerakademie. „Genau dann, wenn du glaubst, dass du glücklich bist, dann bist du es nicht“ und „ Ist jemand in deiner Familie krank? Nein? Jemand wird aber krank sein“, bekamen alle zu hören, ohne Ausnahme. Außerdem erfuhren die Studenten, dass alle noch in diesem Jahr heiraten werden. Ob sich die Prophezeiung als wahr herausstellt, kann noch niemand wissen. Aber eins ist sicher: alle Studenten werden diesen Sommer an ihren Dokumentarfilmen arbeiten. Unter Anleitung von Lehrern und erfahrenen Kommilitonen wird jeder aus den 2, 3 oder sogar 6 Stunden Material das Interessanteste ausschneiden und zu einem 10-Minuten-Film zusammenfügen. Für die einen wird es vielleicht der Anfang einer Karriere bedeuten.