Die Zahl Sieben ist etwas Besonderes. Das eben angebrochene Jahr 2017 sowie das heutige Datum, der 17. Januar und die Uhrzeit des Beginns unserer Begegnung, 17:00 Uhr, laden förmlich dazu ein, sich in der Rück- und Vorschau ein wenig mit dieser Sieben zu befassen.
Fangen wir also mit uns selbst an, wir, die wir uns als Siebenbürger Sachsen fühlen oder uns zumindest in Beziehung zu dieser Gruppe sehen und nicht schlichte Rumäniendeutsche oder, wie unbeholfene Bundesbürger auch gerne manchmal sagen, Deutsch-Rumänen, sein wollen, warum heißen wir denn eigentlich nicht Achtbürger oder Elfbürger Sachsen? Historische Entsprechungen ließen sich dafür problemlos finden, etwa die Sieben Stühle der Hermannstädter Provinz, die zusammen mit dem Vorort Hermannstadt acht ausmachen würden, oder die Anzahl elf der markanten regionalen städtischen Vororte der Siebenbürger Sachsen im Laufe der Jahrhunderte. Gerade der Bedarf an Zeit, an Entwicklungszeit für das Entstehen der oben skizzierten Achter- oder Elfer-Namensüberlegungen ist Teil der Antwort: einen griffigen Namen braucht es nämlich gleich am Anfang, ebenso muss man ja auch zugeben, dass praktisch alle Zahlen-Burg-Namen, die nicht Siebenbürgen lauten, in unserem Ohr nicht gut klingen wollen, um nicht zu sagen, sie klingen schlicht doof.
Das liegt wohl daran, dass kultur- und menschheitsgeschichtlich die Zahl Sieben enorme Prägekräfte hat. Sie kommt nicht nur im Märchen vor, etwa bei Schneewittchen und den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen, oder ist als Glücks-, seltener als Unglückszahl anzutreffen. Die Sieben findet sich auch an herausragenden Stellen des christlich-abendländischen Weltbildes: Gott schuf die Welt in sieben Tagen, dem katholischen Konzept der sieben Totsünden stehen die sieben Tugenden gegenüber – zu letzteren sei auf den Tugendzyklus im Eingangsbereich der Schwarzen Kirche verwiesen, der eine originelle Auslegung der Keuschheit mit Blick auf den Erhalt der evangelischen Konfession in Anbetracht des gegenreformatorischen Drucks vor rund 300 Jahren aufweist. Grundlegend für die Macht der Sieben dürfte jedoch das Bedürfnis des Menschen sein, sich in der Zeit zu orientieren, und die Hilfe, die ihm der Mond dabei leistete. Binnen 28 Tagen ist ein Mondzyklus durchlaufen, was mittelbar zur siebentägigen Woche als Untereinheit geführt hat.
Die oben angeschnittene „siebenbürgische Frage“ könnte auch wie folgt aufgelöst werden: das transylvanische Sonderherrschaftsgebiet im Rahmen des mittelalterlichen ungarischen Königreichs war ursprünglich in sieben Komitate, also Grafschaften gegliedert. Grafen, lateinisch comites, ohne Burg? Undenkbar. Sollte damit die Identifizierung der septem castres, der sieben Burgen, aus der lateinischen Bezeichnung Siebenbürgens als Terra Septem Castrensis gelungen sein? Die Sache hat insofern einen Hacken, als die Wald-Namen als Landesbezeichnungen älter sind, also lateinisch Transylvania und ungarisch Erdély. Beide Bezeichnungen beschreiben das Land als hinter den Wäldern gelegen, wobei der Standpunkt des Betrachters in der ungarischen Tiefebene zu verorten ist – das rumänische Ardeal weist übrigens keine eigene Etymologie aus und ist als Einbürgerung des ungarischen Begriffes aufzufassen. Einiges spricht damit dafür, dass der vergleichsweise junge Name „Siebenbürgen“ doch mit der relativ späten Einwanderung der deutschen Siedler im 12. Jahrhundert in den Landstrich zwischen Broos und Draas in Verbindung steht, also den Sieben Stühlen des sogenannten Alten Landes – Schäßburg nämlich als „störender“ achter Stuhl in diesem Sinne kam erst im 14. Jahrhundert hinzu (urkundliche Ersterwähnung 1339, als Teil der Sieben Stühle 1349).
Damit bleibt nur noch die Frage, was hinter dem Sachsen-Begriff denn eigentlich steckt? Historisch ist das schnell beantwortet: es ist ein lateinischer Sammelbegriff v.a. der königlichen Kanzleien für die westeuropäischen Siedler des Mittelalters, die überwiegend, aber nicht ausschließlich aus deutschsprachigen Regionen zugewandert waren und an dessen Anfang Bergbaufachleute aus dem tatsächlichen Sachsen standen. Neben siedlungsrechtlichen Aspekten ist beim Gebrauch des mittelalterlichen saxones-Begriffes eine pejorative Note, wie sie die Migrantenbezeichnungen unserer Zeit begleiten, nicht auszuschließen.
Als Johannes Honterus im Jahr 1547 also vor genau 470 Jahren die „Reformatio ecclesiarum Saxonicarum in Transylvania“ lateinisch in seiner Druckerei herausbrachte, hieß der deutsche Paralleltitel „Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen“. Nur aus heutiger Sicht scheint die Übertragung des lateinischen Buchtitels ins Deutsche Mängel aufzuweisen. Für Honterus waren die Begriffe deckungsgleich, Reformation bedeutete Neuordnung, was in Kombination mit dem Begriff „Kirche“ eben Kirchenordnung ergab und das, was lateinisch Saxones waren, hieß in der Volkssprache de Detschen. Mit dem Aufkommen der hochdeutschen Sprache, die in unserem Winkel des Kontinents erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur Norm wurde, entstand der Bedarf, deutsch von detsch sauber zu trennen. Siebenbürgisch-sächsisch bezieht sich fortan als Begriff auf das Folkloristische und Dialektale, wobei Saksesch als Wort sich nicht recht in die Lautgesetze der Mundart fügen will. Diese fordern ein stimmhaft-summendes „S“ als Anlaut, was in Kombination mit dem aus dem lateinischen Begriff stammenden „X“, deutsch „ks“, als saksesch ausgesprochen werden müsste, was praktisch nicht möglich ist, wie Paul Philippi zuletzt unterstrichen hat. Das dialektale Aussprachedilemma kann gelegentlich noch erlebt werden bei stark siebenbürgelnd-hochdeutscher Aussprache von „Sachsen“ mit stimmhaftem Anlaut und mit Ch-Laut (wie bei „ich“), etwas häufiger dürfte der dialektale Nachklang beim Adjektiv „sächsisch“ vorkommen. Eine schöne Bescherung! Rund 700 Jahre hat es gedauert, bis aus dem lateinischen Rechtstitel Saxones der Einwanderungszeit mit „Siebenbürger Sachsen“ sich eine deutschsprachige Volksbezeichnung durchsetzen konnte und dann ist sie im Dialekt nicht einmal ohne weiteres aussprechbar!
Die Anzahl der Sprecher des siebenbürgisch-sächsischen Dialekts ist bedauerlicher-weise in starkem Rückgang begriffen. Etwas überspitzt kann man sagen, dass diese Entwicklung zeitgleich mit der Etablierung des Begriffs „Siebenbürger Sachsen“ einsetzt. Zumindest für die Innere Stadt von Kronstadt kann man das sagen, wo die weitgehend unkritische Hingabe an die Modernität in Kombination mit der Begeisterung für die Reichs-einigung in Deutschland unter Bismarck im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das Ablegen des Dialekts bedeutete. Man fühlte sich fortan als Siebenbürger Sachse und Deutscher gleicherma-ßen. Praktischer Nebeneffekt war, dass die Integration in die Gemeinschaft leichter wurde für Zuwanderer aus Deutsch-land, aus Böhmen oder anderen Regionen und Nationen. Die Zugewanderten fühlten sich bald selbst als Sachsen. Das hat Zukunftspotential in einer Gegenwart, wo die Zugehörigkeit zur Minderheit zwangsläufig mehr und mehr eine Frage der sprachlichen Kenntnisse und des kulturellen Bekenntnisses werden muss.
2017 steht in Sachen Gedenken ganz im Bann des Beginns der Reformation vor 500 Jahren mit dem Thesenanschlag an der Tür der Wittenberger Schlosskirche durch Martin Luther, der so, wie wir es gelernt haben, wohl nie stattgefunden hat, wie neuere Forschungen nahelegen. Angezweifelt wird dabei nicht die Existenz der 95 Thesen, die v.a. gegen den Ablasshandel als Methode des Sündenerlasses gerichtet gewesen sind, sondern der Akt des öffentlichkeitswirksamen Anschlagens an die Kirchentüre, der zur Mythenbildung um die Initialzündung der Reformation hinzuzurechnen ist. Diese Rolle hatten die 95 Thesen inne, auch wenn sie niemals an der Kirchentüre hingen. Bis nach Kronstadt hallte dieser Startschuss zur Reformation jedenfalls erstmal nicht. Hier hatte man andere Sorgen, etwa die Osmanen (Türken). In diesem Kontext steht auch der Vertrag, den Kronstadt 1517 mit Neagoe Basarab, dem Herrscher der Walachei, schloss. Es ging darin, worum es immer gegangen war in solchen Verträgen während der letzten mehr als 100 Jahre: Sicherung des Handelsinteressen der Kronstädter und militärischen Beistand gegen die Osmanen. Baulich hinterließ das gute Verhältnis der Stadt zum Fürsten eben-falls Spuren: Basarab konnte als Stifter der Nikolauskirche in der Oberen Vorstadt in Erscheinung treten.
Bis das reformatorische Geschehen Kronstadt erreichte und zum Durchbruch gelangte, sollten noch 25 Jahre vergehen. In das Gedenken des Jahres 2017 ist damit mitzunehmen, dass 475 Jahre vergangen sind, seit der Kronstädter Organist Hieronymus Ostermeier in seiner Chronik 1542 festhielt: „Eodem anno. Hat man im Monat Octobris angefangen evangelische Mess zu halten in Croner Kirch und die papistische weggeschafft, Gott und seinem heiligen Namen zu Ehren. Amen“. Damit ist heuer auch in Siebenbürgen ein rundes Datum für die kirchliche Reformation geboten. Vor 600 Jahren erfolgte 1417 die urkundliche Ersterwähnung der Bartholomäer Kirche, bzw. von Michael, dem Prediger dieser Kirche (presbyter capellaneus), die im Zusammenhang mit der Ausstellung einer Urkundenabschrift zur Bestätigung des Besitzes von Tohan und Zernen (Zarnesti) stand. Vor 640 Jahren wurde im Jahre 1377 ein wichtiger Meilenstein im Aufstieg des Burzenlandes und mehr noch der Stadt Kronstadt erreicht: im Gegenzug für die Errichtung der Törzburg wurden der Rechtsstatus und die Freiheiten der deutschen Siedler durch König Ludwig den Großen weiter ausgebaut. 1717 bricht im Burzenland die letzte große Pest-Epidemie aus und fordert bis zu ihrem Abklingen 1719 in Kronstadt mehr als 4000 Opfer, was etwa einem Viertel der Stadtbevölkerung entspricht.
1817 erlebte Kronstadt den Kaiserbesuch von Franz I. und Caroline Auguste. Der erste Besuch dieser Art, der als reine Imagepflege der Herrschenden angesehen werden darf, hatte auch einen nützlichen Nebeneffekt: im Zusammenhang mit dem Besuch sollte die Fahne der Kronstädter Bürgerwehr geweiht werden. Verdient gemacht hatte sich diese bei der Bekämpfung einer kleineren Pest-Epidemie 1814/15 und sollte nun mit einer blau-roten horrend teuren Fahne geehrt werden. Die Zeitplanung ging schief, die Fahne wurde erst über ein Jahr nach der Abreise des Kaiserpaares fertig. Ob es überhaupt zu einer feierlichen Weihe gekommen ist, darf bezweifelt werden. Nichtsdestotrotz sollte diese Fahne unserer Gemeinschaft noch recht nützlich sein. Um 1900, der ungarische Nationalismus stand auf seinem Höhepunkt, hatten sich die Farben Blau und Rot als die Nationalfarben der Siebenbürger Sachsen längst etabliert, aber nicht offiziell im Sinne einer staatlich-administrativen Territorialeinheit, denn über eine solche verfügten wir zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Die Folge davon war, zufällig, oder eher weniger zufällig, dass etliche siebenbürgisch-sächsisch geführte Städte Blau und Rot als ihre offiziellen Stadtfarben festgelegt hatten. In Budapest war die Sache aufgefallen, Untersuchungen wurden angestrengt, Kronstadt hatte mit Verweis auf den Besuch des Kaiserpaares aus dem Jahre 1817 dabei aber gute Karten.
1817 öffnete ferner das Brukenthal-Museum als erstes Museum Südosteuropas seine Pforten für das breite Publikum.
1917 tobte der Erste Weltkrieg, glücklicher-weise nicht mehr in Kronstadt. Das führte dazu, dass diesmal der Kaiser des Deutschen Reiches, Wilhelm II., Kronstadt besuchte. Außer exotisch anmutenden Fotographien scheint nichts diesbezüglich erwähnenswert gewesen zu sein. Zum Jahresbeginn 1917 war Kronstadt unter der Leitung seines umsichtigen Bürgermeisters Carl Ernst Schnell im Begriff, einen klugen Schachzug gegenüber dem neuen Monarchen der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, Karl, zu unternehmen.
Im Laufe der Jahrhunderte hatte Kronstadt sich für die rechtliche Absicherung des Besitzes der Törzburg politisch so richtig ins Zeug gelegt, teils auch tief in die Tasche gegriffen, da sie den Stellenwert einer handelspolitischen Garantie für den Wohlstand Kronstadts inne hatte. Diese Bedeutung hatte die Burg mittlerweile verloren, der Verkehr in die Walachei lief inzwischen über den Predeal-Pass, so dass die Törzburg sich als originelles Krönungsgeschenk Kronstadts an den am 30. Dezember 1916 gekrönten Habsburger überaus eignete, da es versprach, auf lange Sicht in der Erinnerung des Monarchen haften zu bleiben. Der Krieg ging anders aus als erwartet, die Hoffnung hatte sich zerschlagen. Die Stadt musste nun dem Wunsch des rumänischen Königshauses nachkommen, die Törzburg noch einmal zu schenken, wozu es auch gekommen ist. Es lässt sich jedoch nicht nachvollziehen, ob sich aus dieser zweiten Schenkung politisches Kapital für die Stadt schlagen ließ.
2017 wäre dem Gesetz der Serie zufolge also wieder ein Kaiserbesuch fällig, nur ist diese Spezies Herrscher trotz aller Globalisierung rar geworden… Zehn Jahre sind es heuer her, dass Rumänien Mitglied der Europäischen Union geworden ist – es könnte ruhig europäischer zugehen, bei uns, aber auch auf dem gesamten Kontinent. Wir dürfen dabei mit Sicherheit davon ausgehen, dass es die europäischen Werte von Freiheit und Demokratie und den europäischen Wohlstand, die beide den Weg zu uns erst teilweise gefunden haben, nicht mehr so „günstig“ geben wird wie bisher. Als Historiker kann man sich gegenwärtig auch nicht recht des Eindruckes erwehren, es neuerlich mit Zar und Sultan zu tun zu haben.
Ein Blick in die Geschichte nur derjenigen Jahre, die eine Sieben enthalten, zeigt, dass es keine Alternative für unsere Minderheit gibt, als für unsere europäischen Werte weiterhin einzustehen. Erinnert sei hier an den Aufstand der Kronstädter 1987, den Beginn der Festnahmen zum Schwarze-Kirche-Prozess 1957 oder das von der Agrarreform mit ausgelöste Hungerjahr 1947. Das Jahr 1947 sei auch mit Blick auf unser traditionelles Deportationsgedenken im Januar erwähnt, da es nach dem Jahr 1945 dasjenige war, das die meisten Menschenleben gefordert hat.
Einiges ließe sich noch anbringen, etwa 50 Jahre seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien1967 oder 40 Jahre seit dem Erdbeben von 1977. Zu letzterem musste ich feststellen, dass es zu Erdbeben in Kronstadt gerne in einem Jahr mit einer Sieben gekommen ist, etwa 1607, 1617, 1637, 1717 oder 1847. Also doch Unglückszahl Sieben? Eher nicht, der Blick in die Geschichte hat gezeigt, dass es bisher immer weiter ging, man muss nur aneinan-der festhalten, dazu lade ich Sie auch 2017 ein, dann können wir auch Größeres und Großes schaffen, wie es etwa die Aktion „Für unsere Schwarze Kirche“ gewesen ist, die 1937 ihre Arbeit aufnahm.
Der Entschluss, unser Siebenbürgenlied zum Abschluss gemeinsam zu singen, hängt mit der behandelten Thematik zusammen: Unser Lied wurde in Kronstadt 1846 erschaffen, erlebte 1847 am Honterusfest seinen Durchbruch als Volkshymne und hat offensichtlich nicht zufällig sieben Strophen! Davon singen wir nur drei. Gewöhnlich werden in einem solchen Fall die Strophen 1, 2 und 7 gesungen. Wir haben uns für 1, 6 und 7 entschieden, nicht nur reformationsbedingt („Siebenbürgen, Land der Duldung,/ jedes Glaubens sichrer Hort“), sondern auch des „freien Wortes“ zuliebe („Mögst du bis zu fernen Tagen/Als ein Hort der Freiheit ragen/ Und als Wehr dem freien Wort!“). Das „freie Wort“ für das Johann Lucas Hedwig und Maximilian Moltke eingestanden sind, wurde offensichtlich im Zuge großdeutscher Begeisterung geopfert und zum „treuen Wort“ gewandelt. Erstmals lässt sich dies „im Reich“ für 1914 bisher belegen. Seither kursieren zwei Varianten des Liedes, eine freie und eine treue. Wir wollen dem Original des „freien Wortes“ treu bleiben.
Thomas Şindilariu