„Talmayer, Wild, Paller, Schiller, Kamenitzky, Reichenberger, Kolbert, Eigel – wenn man das Telefonbuch der Ortschaft Bor-seck durchblättert, sieht es ganz multikulturell aus. Schaut, dieser Mann, der jetzt durch die Tür kommt, ist Zipser. Und der da, am Tisch hinten, hat italienische Vorfahren“, sagt Sanyi. Es ist ein kalter Novemberabend, draußen riecht es schon richtig nach Winter, gerade hat RO Alert uns vor einem Bären gewarnt, der angeblich auf der Promenade im Zentrum seinen Abendspaziergang macht, während wir bei Gulaschsuppe und Harghita-Bier gemütlich in einer Gaststätte sitzen. Sanyi (ungarischer Kosename für Sándor) heißt eigentlich in seinem Ausweis Alexandru Pădurean. Den Nachnamen hat er von seinem einzigen rumänischen Großvater geerbt, der Rest der Familie ist ungarisch. Niemand weiß, wer Alexandru Pădurean ist. Aber wer Sanyi ist, weiß jeder, der wenigstens einmal in seinem Leben in Vama Veche an der Schwarzmeerküste war.
„Papa la Șoni“, das Lokal, wo man die beste Kartoffelsuppe mit Estragon weit und breit essen konnte, war jahrelang eine der angesagtesten Adressen im ehemaligen Hippie-Dorf. In den besten Jahren von Vama Veche gab es bei „Papa la Șoni” nicht nur leckeres Essen, sondern auch legendäre Rock- und Folk-Konzerte. Von Ada Milea bis Timpuri Noi – es gibt kaum einen Künstler, den Sanyi nicht eingeladen hat. Vor zwei Jahren verkündete ein Schild vor dem Lokal: „Wir sind weggezogen“. In diesem Sommer hatte an dem Ort schon eine andere Terrasse aufgemacht.
„Wisst ihr, dass Sanyi nach Borseck umgezogen ist?“, hatte uns vor ein paar Stunden die Managerin des Wellnesszentrums Fontana Spa, Tamara Proca, gesagt. Ich sage ihm mal, dass ihr hier seid.“ Nach kurzer Zeit, wir kamen gerade von einer Schlammbehandlung, steht ein robuster Mann mit fröhlichen Augen vor uns und reicht uns die Hand. „Seid ihr von der deutschen Zeitung? Ich bin Sanyi, wir sollten zusammen Abend essen und ich erzähle euch über Borseck“.
Und so kam es, dass wir zusammen in der Gaststätte sitzen. Alle, die an unserem Tisch vorbeigehen, grüßen Sanyi. Hier hat er ein neues Zuhause gefunden. Bukarest (wo er das legendäre Lokal “Lăptăria lui Enache” im Gebäude des Nationaltheaters und den beliebten „ClubA“ in der Altstadt eröffnet hatte) ist ihm zu stressig, Vama Veche verwandelt sich in etwas, das ihm nicht gefällt. Also zog der aus Sächsisch Regen stammende Geschäftsmann zusammen mit seiner Familie in den Heimatort seiner Frau. Der Kurort Borseck muss den Glanz aus vergangenen Zeiten wieder zurückgewinnen. Das ist keine leichte Aufgabe. Doch Sanyi mag komplizierte Aufgaben. In Borseck werden seine Ideen gebraucht.
Nachkommen der Glasmacher und der Glanz verlorener Zeiten
Schiller, Kamenitzky und Vild aus dem heutigen Telefonbuch sind die Nachkommen von Glasmachermeister aus Österreich, Böhmen, Bayern und Polen, die dem österreichischen Glasmacher Anton Zimmethausen im Jahr 1805 nach Borseck gefolgt sind. Zusammen mit Valentin Günther gründete dieser eine Glasfabrik und exportierte das Mineralwasser, das bereits 1770 europaweit bekannt war, in Flaschen. Borsec ist heute noch die „Königin der Mineralwässer“ – ein Prädikat, das ihm bereits 1873 bei der Weltausstellung in Wien zugesprochen wurde.
In diesem Ort, von blaugrünen Wäldern und Bergen umgeben, haben sich die Glasmacher niedergelassen und haben Familien gegründet. Heute sind nur noch ihre Namen erhalten geblieben. Niemand in der Ortschaft spricht noch deutsch, tschechisch oder polnisch.
Paralell zur Mineralwasserproduktion kamen erste Badeeinrichtungen und der Ort wurde bald bekannt für seine wohltuenden Trink- und Badekuren. Langsam entwickelte er sich zum beliebtesten Kurort in Österreich-Ungarn. Anreisen konnten die Badegäste auch mit der Schmalspurbahn aus Toplița, die heute stillgelegt ist.
Heute zeugen nur ein paar Schwarz-Weiss Fotografien von der Pracht des einstigen Kurorts. Eine von ihnen zeigt die Villa des Fotografen Georg Heiter. Elegant gekleidete Männer unterhalten sich im Schatten, eine Frau hat gerade die Zeitung gekauft, auf dem Balkon stehen ein paar Frauen in hellen Sommerkleidern und mit Hut. Die Villa steht heute nicht mehr. Auch das ehemalige Hotel Speranța nicht, das alte Kino, das Behandlungszentrum und die Kantine. Fast alle Villen mit Jugendstilfassaden sind inzwischen Schutt und Asche. Krieg und Kommunismus haben ihre Spuren deutlich hinterlassen, aber die richtige Zerstörung folgte in den Jahren nach der Wende. In den einst blühenden Kurort wurde nicht mehr investiert und langsam geriet er in Vegessenheit. Vor allem aufgrund von zweifelhaften Enteignungen und Privatisierungen, die zu zahlreichen Gerichtsverfahren führten. Dies setzte sich zwei Jahrzehnte lang fort und gipfelte in der Schließung der Poliklinik und des Behandlungszentrums. Nach dem EU-Beitritt Rumäniens beschlossen die Lokalbehörden, Gelder zu beantragen, um die Ortschaft vor dem Verfall zu retten.
Im Schneckentempo begann sich alles zu ändern. Viele Gebäude, darunter einige historische Denkmäler, wurden vollständig saniert, Gassen, Parks und Straßen wurden mit europäischen Fonds renoviert, das Kurzentrum wurde umgebaut, Skipisten und eine Sommerrodelbahn wurden gebaut. Langsam kehrt wieder Leben in die Ortschaft zurück.
Baden unter dem silbernen Hexenhut
Im Herzen von Borseck steht seit mehr als einem Jahr ein interessanter Bau. Von außen sieht er wie ein silberner Hexenhut, eine Pyramide aus Metall oder ein gerade eben gelandetes UFO aus. Das im Dezember 2022 eröffnete Wellness-Zentrum Fontana Spa ist inzwischen die Hauptattraktion des Kurortes und gleichzeitig einer der wichtigsten Gründe, weshalb immer mehr Touristen nach Bad Borseck kommen. Mit über 3000 Quadratmetern und einer Kapazität von bis zu 1000 Personen ist es eine der größten Wellness-Einrichtungen in der Gegend. Um Menschenmassen zu vermeiden und sich richtig zu entspannen, sollte man am besten unter der Woche kommen. Für nur 50 Lei kann man drei Stunden lang im Innen- und Außenpool schwimmen und plantschen und die Saunas benutzen. Am schönsten ist es, während der kalten Jahreszeit aus dem Außenbecken, dessen Temperatur 38 Grad beträgt, die verschneite Landschaft zu betrachten. Zahlt man noch 15 Lei dazu (und das ist unbedingt auch zu empfehlen), hat man Zugang ins sogenannte Sakralbad, das sich gerade unter dem hexenhutförmigen Dach befindet. Hier gibt es Becken mit Thermalwasser unterschiedlicher Temperatur. Was am allerschönsten ist: auf dem Flur sind mehrere Mineralwasser-Brunnen, aus denen man Wasser trinken kann.
Ein anderer Bereich des Zentrums sind die Wellness-Räume, wo man verschiedene Arten von Massagen und Therapien ausprobieren kann. „Fontana ist kein Aquapark. Das müssen die Touristen von Anfang an verstehen. Wir haben keine Wasserrutschen, es ist ein Ort der Entspannung“, erklärt Tamara Proca, die das Behandlungszentrum seit seinem Bestehen leitet. „An Feiertagen ist es voll, aber auch unter der Woche kommen sehr viele Menschen aus der Gegend, aus der Republik Moldau, aus Ungarn zu uns. Chișinău ist näher an Borseck als Bukarest, von daher sind viele unserer Kunden aus der Moldau”, erklärt sie.
Eine Badewanne voll mit Kräutertee
Die Auswahl an Kuren und Behandlungen ist riesig – und man hat die Qual der Wahl, weil man alle ausprobieren will. Nachdem wir uns von den Damen an der Rezeption beraten lassen haben, wählen wir ein Ziegenmilch-Bad, ein Kräuterbad, Massagen und eine Schlamm-Behandlung.
Geta, eine der Therapeutinnen im Wellness-Zentrum, hat die Badewanne mit heißem Wasser gefüllt und fügt eine Handvoll weißer flüssiger Creme hinzu. „Es ist eine Creme aus Ziegenmilch, sie ist sehr konzentriert.
Ein Vollbad ausschließlich aus Ziegenmilch wäre viel zu teuer“, erklärt sie und vergewissert sich, dass die Wassertemperatur 38 Grad nicht überschreitet. Denn nur so können sich die wertvollen und wichtigen Inhaltsstoffe der Milch entfalten, um die Haut zu entspannen und zu nähren. Mineralien wie Magnesium, Kalium oder Kalzium, kostbare Vitamine (darunter A und D) und Proteine wirken besonders rückfettend und bewahren bei regelmäßigem Baden die jugendliche Spannung der Haut. Doch nicht nur für die Schönheit eignet sich das Milchbad, das seit der ägyptischen Königin Kleopatra bekannt ist. Viele Allergiker und Leute mit Hauterkrankungen nutzen es als Therapie, da Ziegenmilch bekanntlich die juckende und spröde Haut entspannt und glättet, ohne allergische Nebeneffekte aufzuweisen. Zwar wird empfohlen, eine Kur von mindestens zehn Tagen durchzuführen, damit die Effekte deutlich sichtbar werden. Doch auch ein 20-Minuten-Bad kann Wunder wirken. Auch das Bad mit Kräutern erwies sich als ein besonderes Erlebnis. Dabei wird ein großer Stoffbeutel, der mit verschiedenen Kräutern (Minze, Baldrian, Thymian, Melisse, Kamille) gefüllt ist in die Badewanne mit heißem Wasser gelegt.
Es ist, als ob man in einer riesigen Teekanne baden würde. Nach 20 Minuten fühlt man sich ganz entspannt und voller Energie.
Die Umhüllung mit Schlamm, dem sogenannten „schwarzen Samt“, lässt uns an die Leute denken, die wir als Kinder am Meer sahen. Sie waren ganz oder nur teilweise schwarz eingeschmiert und sonnten sich im Stehen. Doch nicht nur kranke Gelenke brauchen Umhüllungen, auch gesunden Körpern tun sie sehr gut. Wir haben Schlamm auf allen Gelenken, sind in dünne Plastikfolien eingepackt und mit einem warmen Handtuch zugedeckt.
Der Schlamm wärmt den Körper und wir hoffen, dass es entzündungshemmend wirkt - das ist eines der bekanntesten Vorteile von Schlammpackungen.
Die Behandlung endet mit einer Rückenmassage, danach fühlen wir uns wie neugeboren. Alle Verfahren wirken besser und schneller, wenn sie miteinander kombiniert werden – selbstverständlich auf Empfehlung des Arztes des Wellnesszentrums. Dieser kann Vorbeuge-Programme oder Behandlungen unterschiedlicher Beschwerden oder Krankheiten infolge einer Untersuchung empfehlen. Wer an allergischem Schnupfen, chronischen Entzündungen, peripheren neurologischen Störungen leidet, wer artikuläre rheumatische Erkrankungen hat, eine Verstauchung hat oder nach einem Unfall oder einer Operation, ja sogar nach einem Schlaganfall seinen körperlichen und geistigen Zustand verbessern will, ist in Borseck am richtigen Ort. Bei den angebotenen 10-tägigen Kuren besteht die Möglichkeit, zwei bis fünfmal täglich eine Anwendung zu machen.
Die Preise für die ganze Kur liegen zwischen 350 und 1100 Lei. Fontana arbeitet mit der Nationalen Krankenkasse CAS zusammen, sodass die Untersuchung beim Arzt des Zentrums kostenfrei ist.
Gerne hätten wir auch das belebende Peeling mit Wacholder und wildem Kiefer ausprobiert oder ein Bierbad, doch dafür ist erstens keine Zeit und zweitens ist Fontana ein Ort, an den man immer wieder zurückkehren will.
Kulturzentrum und Küche bei Sanyi
Am nächsten Morgen – wir hatten gerade leckeren Kümmel-Frischkäse aus Ditrău gefrühstückt und handgemachte Borseck-Souvenirs bewundert – klingelt das Telefon. Wir werden bei der Pension „Papa la Șoni“ mit frischem Kaffee erwartet. Sanyi zeigt uns die Zimmer seiner Gaststätte, gibt uns Icre und Zacuscă nach Kronstadt mit, erzählt von seinen Plänen. Vorläufig kommen die Touristen nur an den Wochenenden, doch im Winter, besonders im Februar, wenn man gut Skifahren kann und die Kinder Ferien haben, sind täglich alle Zimmer belegt. Draußen wird an einer Laube gearbeitet – im nächsten Sommer wird es hier kleine Konzerte und Feiern geben. „Die Gäste können sich Bier aus dem Kühlschrank nehmen, sie dürfen sich mit Essen bedienen.
Am Ende zahlen sie für das, was sie verbraucht haben. Ich kontrolliere sie nicht. Es kommen nur ehrliche Leute her, und wenn sie nicht erhlich sind, kommen sie kein zweites Mal“, erklärt Sanyi, der sich mit vielen seiner Gästen angefreundet hat.
Bei einem Spaziergang durch die Ortschaft gehen wir an wunderschön renovierten Villen vorbei, bis wir zu einer Lichtung gelangen, die Feengarten genannt wird. Hier befinden sich mehrere Mineralquellen, die als Freibadbecken funktionieren und jedermann kostenlos und zu jeder Uhrzeit zur Verfügung stehen. Kleine Umkleidekabinen und Ruhepunkte wurden vor einigen Jahren gebaut. Auch einen Barfußpfad gibt es hier, geschaffen von Sanyis Ehefrau, der Künstlerin Emese Fazakas. Im Sommer kann man mit den Fußsohlen unterschiedliche Oberflächen fühlen, was besonders für Kinder eine interessante Erfahrung ist.
Wanderwege in der näheren Umgebung – zu der Eulenburg, der Bärengrotte, der Eishöhle – wurden frisch markiert, Mountainbiker finden eigene Radwege vor, es gibt Seilrutschen und einen Kletterparcours, elektrische Fahrräder können gemietet werden. Wenn genügend Schnee vorhanden ist, finden auch Hundeschlittenrennen statt.
Das Reich der Königin der Mineralwässer ist eine faszinierende Ortschaft. Wenn der Kitsch vermieden wird, kann es sein, dass Borseck in Zukunft wieder der bekannteste Kurort Siebenbürgens wird wie einst. So wie in den Fotografien von Georg Heiter wird es wahrscheinlich nie mehr aussehen. Aber vielleicht werden in Zukunft wieder Touristen aus ganz Europa die heilende Kraft der Mineralquellen auf sich wirken lassen.