Es sind nun 25 Jahre vergangen, seitdem der Diktator gestürzt wurde, das kommunistische Regime zur Vergangenheit zählt. Und trotzdem sind noch immer nicht alle Details der Revolution geklärt. An Einzelheiten erinnert man sich immer wieder, da doch diese geschichtliche Wende zum Großteil überraschend auf einen zugekommen war. Zwar hat man durch inoffizielle Quellen, per ausländischen Rundfunksendern oder inländischem Mundfunk, von den Ereignissen in Temeswar erfahren, doch rechnete man kaum mit einer so radikalen Lösung. Unsere Wochenschrift, die vorletzte Ausgabe des Jahres 1989, war in Endfertigung in der Druckerei und sollte in Kürze gedruckt werden. Der Inhalt der Ausgabe war durch die vier Seiten umfassende Wandkalender-Beilage für 1990, auch nicht sehr inhaltsreich. In der staatlichen Druckerei, die sich damals in der Zizinului-Straße, jenseits des Bahnübergangs befand, erreicht uns die Nachricht von der Flucht des Diktatorenehepaares. Somit standen wir vor einem geschichtlichen Ereignis, dem wir im Stegreif gerecht werden mussten. Als Chefredakteur setzte ich mich gleich telefonisch mit Wolfgang Wittstock, dem Verantwortlichen Redaktionssekretär, in Verbindung und verfassten einen kurzen Aufruf an unsere Leser und Freunde, den wir unter das Trachten-Foto von Ortwin Weiß auf Seite 1 veröffentlichten.
„Das rumänische Volk durchschreitet historische Augenblicke. Stehen wir auch dieses Mal, wie schon so oft in unserer jahrhundertealten Geschichte, tatkräftig an seiner Seite. Bürger und Bürgerinnen aus Kronstadt und Temeswar, aus Hermannstadt und Reschitza, aus allen Landesteilen tretet für die Verteidigung des staatlichen und privaten Eigentums ein! Setzt Euch für eine normale Tätigkeit in allen Wirtschaftsbereichen ein!“ war dessen Wortlaut. Es war somit auch die erste Ausgabe, die frei erscheinen konnte, ohne die vorher verpflichtende Inhaltsangabe an die Propagandaabteilung des Kreisparteikomitees abgegeben zu haben. Auch hatte unser in der Redaktion befindliche Kollege Harald Sifft den Wortlaut des Kommunique des Rates der Front zur Nationalen Rettung, den dieser an das ganze Land gerichtet hatte, übersetzt, sodass wird dieses auch in jene Ausgabe aufnehmen konnten. Die restlichen Materialien bezogen sich auf Kulturereignisse, Sport, erste internationale Echos zum Sturz des Ceauşescu-Regimes. Die wie für gewöhnlich Donnerstag eingeplante Ausgabe erschien somit mit zwei Tagen Verspätung, am Samstag, dem 23. Dezember 1989.
Die in der Druckerei damals verbrachten Stunden, in denen wir diese Änderungen vornahmen, waren nicht nur sehr aufregend, sondern auch gefährlich. Die Buchdrucker waren zum Großteil an den Protestmärschen in der Stadt beteiligt. Es wurde gemunkelt, in Richtung Druckerei seien irgendwelche bewaffneten Formationen in Anmarsch. Erste Kugeln trafen schließlich einen roten Dacia-Wagen, der neben meinem geparkt war. Auf dem Umweg, den ich mit dem Wagen über die Verbindungsstraße beim Elektro-Fernheizwerk und dann durch die Honigberger-Straße machen musste, wurde ich mehrmals aufgehalten und von Vertretern der damaligen patriotischen Garde legitimiert und der Wagen kontrolliert.
Die Tätigkeit in der Redaktion war sehr hektisch in diesen Tagen, um unsere Leser vor allem mit den aktuellsten Ereignissen zu informieren. In unserer letzten Jahresausgabe, Nr. 52 vom 29. Dezember 1989, konnten wir aktuelle Berichte veröffentlichen. Darin brachten wir ein von Wolfgang Wittstock am ersten Weihnachtstag geführtes Gespräch mit Stadtpfarrer Mathias Pelger der, wie man weiß, zu den Demonstranten am Marktplatz ging und von da zu dem Sitz der Securitate. Annemarie Weber berichtete über die Ereignisse in Hermannstadt, Harald Sifft über Kronstädter Bürgergruppen, die sich gebildet hatten, um Institutionen und Privatbesitz zu bewachen. Manfred Wittstock leitete eine Dokumentation ein über die Meteor Wochenschrift (1944 – 1947) als wichtige heimatkundliche Dokumentationsquelle, Ralf Sudrigian stellte Hüttenwart Roland Boltres vor. Auch wurde das Telegramm der Redaktion der „Karpatenrundschau“ veröffentlicht, dass wir an das Rumänische Fernsehen am 24. Dezember 1989 richteten, in dem wir das Programm der Front der Nationalen Rettung begrüßten und uns für seine Verwirklichung engagierten.
In diesen heißen Tagen, in denen viele Ereignisse undurchsichtig waren, wurden auch die Redaktionsmitglieder von den neuen Vertretern der auf Kreis- und Stadtebene provisorisch gegründeten Behörden zur Unterstützung herangezogen. Beispielweise kam am Abend der Anruf seitens des ersten Vorsitzenden des ersten Rates der Front zur Nationalen Rettung auf Kreisebene, General Florea, um bei der Erdölraffinerie in der Honigberger-Straße zu überprüfen, ob da Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden waren. Als ich gemeinsam mit meinem Nachbarn, Dr. Dorin Com{a, da eintraf, stellten wir fest, dass nur eine Frau im Pförtnerhaus beim Eingang stand und ganz erschrocken war. Ein Rückruf führte bei General Florea dazu, dass bald eine Gruppe Soldaten da eintraf, um das Werk gegen eventuelle Anschläge zu bewachen, was nachträglich auch geschah, doch ohne ernste Folgen.
Aufforderungen gab es, auch Wachmannschaften bei Wohngemeinschaften zu gründen. Dazu sollte Verbindung mit einigen zugewiesenen Anschriften aufgenommen werden. Im Pressehaus in der Goldschmiedgasse Nr.3 (M. Sadoveanu-Straße), wo sich bis vor zwei Jahren auch unsere Redaktion befand, organisierten wir einen Nonstop-Dienst versehen von Redakteuren der da befindlichen Redaktionen und Vertretern der Landespresse, bis eine Wachmannschaft bewaffneter Soldaten abkommandiert wurde. In der Silvesternacht nützten sie die Gelegenheit, auch den Fernseher in meinem Büro zu gebrauchen. Dabei gelang es ihnen, die über Jahre hindurch von meinem Vorgänger im Amt, Dr. Eduard Eisenburger, gut behütete Glasplatte des Konferenztisches zu zerschlagen. Scherben sollen ja Glück bringen!
Eine wichtige Rolle sollten dann die Redaktionsmitglieder nach der Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen im Kreis Kronstadt (DFDKK) spielen. In den Redaktionsräumen wurden Einschreibungen vorgenommen, die Sitzungen des Vorstandes fanden da statt, bis der jetzige Forums-Sitz im Juni 1992 eröffnet wurde.
Es war eine Umstellung in unserer Arbeit, es gab ein neues Denken, als ob wir schon immer in einer freien, demokratischen Gesellschaft tätig gewesen wären.