Kronstädter Musikerinnen

Die „Karpatenrundschau“ plant Artikelfolge biografischen Inhalts zur Kronstädter Musikgeschichte im ausgehenden 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Titel der Mappe mit den Biografien bzw. Selbstbiografien von 26 Kronstädter Musikerinnen

Es muss vor rund 45 Jahren, gegen Ende der 1970er Jahre, gewesen sein, als der bekannte Kronstädter Geografie- und Geschichtslehrer Kurt Philippi (1913-2004) dem Verfasser dieser Zeilen, damals Redakteur der „Karpatenrundschau“, eine Mappe übergab, auf der schlicht Folgendes steht: Musik / Kronstadt / I. Diese Mappe enthält 23 maschinengeschriebene Beiträge, und zwar, in der alphabetischen Reihenfolge der Familiennamen,  Biografien und Selbstbiographien von siebenbürgisch-sächsischen Frauen, die ihre musikalische Ausbildung in Kronstadt erfahren haben und anschließend entweder hier oder in der großen weiten Welt als Berufsmusikerinnen (Instrumentalistinnen, Gesangssolistinnen, Musiklehrerinnen) erfolgreich gewirkt haben. Insgesamt handelt es sich um 26 Biografien oder Selbstbiografien: 21 Beiträge (davon 14 autobiografische) behandeln Leben und Wirken jeweils einer dieser Kronstädter Musikerinnen, einer ist drei prominenten Künstlerinnen (den Schwestern Gmeiner) gewidmet und ein weiterer zwei ebenfalls musikkünstlerisch erfolgreichen Schwestern (Else und Grete Krummel).

Prof. Kurt Philippi, der ein guter Geigen- und Bratschenspieler gewesen ist – als er 1951 aus politischen Gründen aus seinem Amt als Fachlehrer entfernt wurde, wirkte er etliche Jahre als Berufsmusiker im Orchester der Kronstädter Philharmonie –, hat dem Unterfertigten damals, als er ihm diese Mappe mit den Beiträgen über 26 Kronstädter Musikerinnen übergab, nicht gesagt, wie er in deren Besitz gelangt war. Die knappe Hälfte der Beiträge (11 von 23) ist datiert. Die Datierungen fallen alle in die erste Hälfte des Jahres 1943, und man kann mit Sicherheit annehmen, dass auch die übrigen Beiträge damals entstanden sind. Es war die Zeit des Zweiten Weltkriegs, als sich – nach Stalingrad – bereits die Niederlage Hitler-Deutschlands im Kampf gegen die Alliierten abzeichnete. Die politische Organisation der Rumäniendeutschen (und damit auch der Siebenbürger Sachsen) war damals die nationalsozialistisch ausgerichtete Deutsche Volksgruppe in Rumänien (DViR), aufgrund eines rumänischen Dekret-Gesetzes seit 1940 juristische Person des öffentlichen Rechtes, deren Führung von Berlin eingesetzt worden war. Es ist anzunehmen, dass die Dokumentation über Leben und Wirken Kronstädter Musikerinnen, die Prof. Kurt Philippi dem Unterfertigten übergeben hat, auf Initiative eines Amtes oder einer Dienststelle der DViR (etwa Kulturkammer oder Frauenwerk) zustande gekommen war. Genaueres dazu wissen wir nicht, auch nicht, ob damals weitere derartige Dokumentationen – etwa über Kronstädter Musiker oder über Kunst- und Kulturschaffende in anderen Bereichen – veranlasst und realisiert wurden.

Obwohl die 1943 zustande gekommene Dokumentation über Kronstädter Musikerinnen wohl einer DViR-Initiative zu verdanken ist, lässt die große Mehrheit der darin enthaltenen Beiträge kaum Einwirkungen des damals dominierenden nationalsozialistischen Gedankenguts erkennen. Andrerseits enthalten diese Beiträge manch zeitgeschichtlich interessante Information, sie werfen bezeichnende Schlaglichter u.a. auf damalige gesellschaftliche Verhältnisse und Gepflogenheiten, auf das damalige Schulsystem für Mädchen, auf das vielseitige, intensive künstlerisch-kulturelle und insbesondere musikalische Leben im Kronstadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und nicht zuletzt auch auf das Identitätsbewusstsein der behandelten künstlerischen Persönlichkeiten in deren Eigenschaft als Angehörige der Sprach- und Kulturgemeinschaft der Siebenbürger Sachsen.

Die „Karpatenrundschau“ hat vor, die Beiträge der Dokumentation über Kronstädter Musikerinnen ab einer der kommenden Ausgaben in einer Artikelfolge ungekürzt und unzensiert zu veröffentlichen - trotz gelegentlicher heute befremdlich klingender nationalbetonter bis nationalsozialistischer Anklänge. Das geschieht keineswegs aus Sympathie mit der die sogenannte Volksgruppenzeit dominierenden Ideologie, sondern aus strikt dokumentarischen Rücksichten, wobei in einigen Fällen auch die weltanschauliche Verblendung, die damals viele Angehörige der Rumäniendeutschen, der Siebenbürger Sachsen ergriffen hatte, sichtbar werden wird. Auch diese gilt es zu dokumentieren. Um jedes diesbezügliche Missverständnis zu vermeiden, werden wir auf derartige Textstellen in geeigneter Form durch redaktionelle Eingriffe hinweisen.
Unsere beabsichtigte Artikelfolge wird Biografien bzw. Selbstbiografien folgender Musikerinnen umfassen: Else Bömches von Boor, Irene von Brennerberg, Medi Fabritius, Grete Fleischer geb. Szabo, Elfriede Gärtner geb. Stenner, Ella Gmeiner, Lula Mysz-Gmeiner, Luise Gmeiner, Helene Greger-Honigberger, Albertine Berta Hajek geb. von Asboth, Julie Hesshaimer, Leontine Johanna Hesshaimer, Marie Justine Hesshaimer, Ella von Hild-Hesshaimer, Adele Honigberger, Selma Honigberger, Rosa Hübner-Honigberger, Traute Klein-Lienerth, Gabriele Klees, Irene Krüger geb. Lorenz, Else Krummel, Grete Krummel, Elfriede Kühlbrandt geb. Gärtner, Elvine Liehn geb. Hügel, Trude Marko-Tischler und Luise Stenner.

Bemerkenswert ist, dass jedem dieser Beiträge je ein Porträtfoto der behandelten Künstlerinnen beigegeben ist (mit einer Ausnahme: Traute Klein-Lienerth). Diese Fotos werden wir in unserer Artikelfolge ebenfalls reproduzieren. Vermerkt sei noch, dass bei der redaktionellen Bearbeitung der einzelnen Beiträge eine behutsame Anpassung an die zurzeit gültigen Regeln der deutschen Rechtschreibung erfolgte. Eingriffe im Text wurden ausschließlich zum Zwecke korrekten Sprachgebrauchs und besserer Lesbarkeit vorgenommen.