Das Leben A. B.s, geboren 1878 in Schäßburg, gelebt und gestorben 1948 in Kronstadt ist beispielhaft für viele Bürger dieser Stadt und nicht nur. Es ist das Leben der Generation, die es zweimal erleben musste, wie alle Werte umgewertet wurden, wie das, was ihnen als unbedingte Sicherheit für die Zukunft erschienen war, von heute auf morgen wertlos, ja zum Ballast wurde. Vor 1914, als die Schüsse von Sarajevo der Auslöser für einen bis dahin beispiellosen Vernichtungskrieg wurden, ein Krieg, der die Konten der, vor allem amerikanischen Banken füllen sollte, dessen Ende aber schon den Keim des folgenden, noch größeren Desasters in sich trug, ahnte noch niemand was folgen sollte.Vor diesem Sommer 1914 ging man mit 100 Prozent Sicherheit davon aus, dass eine Geldanlage für alle Ewigkeit mit 4 – 6 Prozent verzinst werden könne. Ein Beispiel dafür sind die jedem Kronstädter bekannten Gebäude der Honterusgemeinde, das Haus in der Goldschmiedgasse, in dem sich die Redaktion der Karpatenrundschau bis kürzlich befand, und das Eckhaus in der Purzengasse, in dem bis vor einiger Zeit das Reisebüro der Eisenbahn seinen Sitz hatte und vorher bis 1950, sich das Bürgermeisteramt, befand. Diese Gebäude wurden von der Honterusgemeinde als Geldanlage gebaut, die Miete sollte die Verzinsung der Investition mit 6 Prozent sichern. Diese Mieteinnahmen waren für das „Altfrauenheim“ bestimmt, denn diese Häuser stehen auf dem Baugrund, der durch einen Tausch des dem Altenheim gehörenden Anliegens in der Spitalsgasse mit der Stadt, an die Honterusgemeinde gefallen war. Aber schon nach 1918 ging die Rechnung nicht mehr auf, denn die Inflation und die Währungsumstellung hatten alle Rechnungen über den Haufen geworfen.
Aber wenden wir uns unserm Beispiel zu. A. B. kam am 10. April 1872 in Schäßburg als Sohn des Fleischermeisters Johann B. und der Therese, geborene R., zur Welt. Nachdem er die Schule in Schäßburg besucht hatte, trat er 1892 als Lehrling in die Eisenhandlung von Friedrich Zickeli in Hermannstadt ein. Ab 1896, nach beendeter Lehre, arbeitete er noch eine Zeit als Verkäufer in der Firma, dann wechselte er als Verkäufer und Magazineur in das „Eisen- und Nürnbergerwarengeschäft“ von Paul Nendwich in Hermannstadt. Es folgte ein Jahr bei Kamner & Jekelius in Kronstadt um dann, mit Unterbrechungen, von 1898 bis 1912 in verschiedenen Firmen in Graz, Mürzzuschlag, Wittkowitz und Wien tätig zu sein. Im Trauschein, der 1909 ausgestellt wurde, ist Wien als fester Wohnort angegeben. Eine Bescheinigung aus Wien führt A. B. als von 1911 bis 1916 hier ansässig an.
In die Familie werden eine Tochter und ein Sohn geboren, deren Lebensweg bei der Geburt festgelegt schien: Die Tochter würde Hausfrau werden, der Sohn die Firma weiterführen und ausbauen. So der Plan. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, den A. B. als Rechnungsleutnant mitmachte, arbeite er in Kronstadt bei Kamner & Jekelius und in der „Siebenbürger Industrie- und Handelsbank“. 1928 übernahm er durch einen Herrn Emanuel Haim aus Bukarest die Vertretung des „Alexanderwerkes“ (Maschinen und Geräte für Metzgereien) in Remscheid und der Firma Friedrich Diek aus Esslingen. Die folgenden Jahre brachten der Firma Erfolge, das Geschäft weitete sich aus, die Zukunft schien trotz Wirtschaftskrise und Königsdiktatur, gesichert. Doch der Krieg, in den Rumänien 1941 hineingerissen wurde, brachte immer größere Probleme. So steigerte sich der Konflikt mit der Volksgruppe bis zu dem im Januar 1944 erklärten Austritt. Hier folgt der Antrag:
12.Januar 1944
An die
Kreisleitung der Deutschen
Volksgruppe in Rumänien
Kronstadt
Piața Libertății 26
Im Zusammenhang mit unserer Unterredung und meiner Stellungsnahme zu Ihren Vorwürfen, erkläre ich noch einmal schriftlich, dass ich in Folge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und auch meines fortgeschrittenen Alters, nicht die Möglichkeit habe, Ihren Forderungen Folge zu leisten. Dazu muss noch betont werden, dass ich als rumänischer Staatsbürger vorrangig meinen Verpflichtungen dem rumänischen Staate gegenüber nachkommen muss.
Ihre Drohung, mir und meinem Sohn das Leben unmöglich zu machen, nehme ich zur Kenntnis. Ebenso nehme ich zur Kenntnis, dass meine ganze Familie auf die Schwarze Liste gesetzt wurde, da sie politisch nicht tätig wurde.
Nachdem ein so unerträglicher und erniedrigender moralischer Druck auf meine Person und meine Familie ausgeübt wurde, erkläre ich Ihnen, dass ich mich mit dem heutigen Tag nicht mehr als Mitglied der Volksgruppe betrachte und Sie bitte den Austritt meiner Person und meiner ganzen Familie, einschließlich meinem Schwiegersohn N. N. zur Kenntnis zu nehmen.
Zur Kenntnis genommen
(Unleserliche Unterschrift)
Amtssiegel, 12. Jan. 1944
Es ist ersichtlich, dass unter diesen Umständen das Leben immer schwieriger wurde. Dazu kam, dass bei dem ersten Bombenangriff der amerikanischen Luftwaffe auf Kronstadt das Wohnhaus, in dem sich auch das Warenlager der Firma befand stark beschädigt wurde, so das A. B. mit Ehefrau bei der verheirateten Tochter, deren Mann eingezogen war und die mit ihren zwei Kindern alleine lebte, Unterschlupf finden musste. Die Lage nach dem 23. August 1944 verschlimmerte sich. Rotarmisten besetzten das halb zerstörte Haus, so gingen die letzten noch vorhandenen Vorräte und die gesamte Wohnungseinrichtung verloren. Unter den neuen Verhältnissen war es kaum möglich das Geschäft noch weiter zu betreiben.Alle als Altersfürsorge angeschafften Immobilien mussten nach und nach für den täglichen Verbrauch veräußert werden.
A. B. verkraftete diese Verluste nur schwer. Seine Gesundheit war durch die Anstrengungen der Vergangenheit und ein der Zeit entsprechendes ungesundes Leben erschüttert, so war es nicht überraschend, als A.B. Im Jahre 1948, auf den Tag genau, zwei Monate vor seinem 70. Geburtstag einem Schlaganfall erlag. Erwähnenswert ist, dass die Firma „Alexanderwerk“, deren langjähriger Vertreter er gewesen war, am 6. April 1948 der Familie ein Beileidsschreiben geschickt hat, obwohl der „sozialistische Umbau“ des Landes bereits begonnen hatte. So ging ein Leben zu Ende, in dem die Vorsorge für den kommenden Tag und die Absicherung des Vermögens bestimmend waren. Es entspricht der Tragik der Zeit, dass alle Planung, alle Mühe vergebens waren, dass unter dem Strich von dem Vermögen rein gar nichts übrig blieb. Auch die Familie stand durch die 1944 einsetzende Entwicklung vor dem Nichts, es musste ein mühseliger neuer Anfang gemacht werden, um wieder einen entsprechenden Lebensstandard zu erreichen, der weit von dem entfernt war, den es vor 1944 gab.
Sollte hier noch eine moralische Betrachtung eingebracht werden? Oder lassen wir es mit den etwas trockenen Tatsachen stehen. Jeder Leser kann die Schlussfolgerung selbst ziehen. Alles menschliche Planen und Vorsorgen ist illusorisch. Einzig das Vertrauen auf Gott, seine Güte und Gerechtigkeit haben Bestand. Uns bleibt nur übrig, unsere Pflicht dort auszuüben, wohin Gott uns gestellt hat.