Der Jugendbachchor der Schwarzen Kirche ist längst außerhalb der Grenzen Kronstadts und Siebenbürgens bekannt und blickt wohl nicht ohne Stolz auf zwanzig rege musikalische Jahre zurück, im Laufe derer alte und zeitgenössische Musik aus der Heimat und der ganzen Welt einstudiert, aufgeführt, unter die Menschen gebracht wurde. Das Jubiläumsjahr 2013 wurde entsprechend gefeiert – etwa mit Konzerten im Rahmen der Festspiele „Diletto musicale” in Tartlau und „Musica Coronensis“ in Kronstadt, mit einer erfolgreichen Deutschlandtournee und schließlich mit der Herausgabe der dritten CD-Einspielung des Ensembles.
Es handelt sich dabei um „Wiederentdeckte Kantaten aus der Schwarzen Kirche”, eine Sammlung von Ersteinspielungen aus dem Archiv des größten Kronstädter Gotteshauses und Kulturdenkmals, interpretiert vom Jugendbachchor in Zusammenarbeit mit den Opernsolisten Cristina Radu (Sopran) und Dan Popescu (Bass), dem Chormitglied Beniamin Ghegoiu (Tenor) sowie dem Kammerorchester aus Miercurea Ciuc unter der Leitung von Steffen Schlandt. Die CD enthält sechs Werke aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die von Kronstädter Kantoren und Komponisten wie Martin Schneider und Johann Lukas Hedwig geschrieben wurden, oder aus dem Ausland in die Schwarze Kirche gelangten und in Vergangenheit hier aufgeführt wurden.
Das Begleitheft skizziert auf Deutsch und Rumänisch den Kontext, in dem diese Handschriften „wiederentdeckt“ wurden, und zwar im Laufe der Aufarbeitung des kirchlichen Musikarchivs in den vergangenen zehn Jahren. Die letzte systematische Bestandsaufnahme war 1929 durchgeführt worden, doch infolge der Sowjetbesetzung im Herbst 1944 musste das Archiv unter dem Vorwand des Platzmangels aus dem Gebäude des Honterus-Gymnasiums umgesiedelt werden, wobei zahlreiche wertvolle Bücher und Partituren verloren gingen, zerstört oder gestohlen wurden. „Von ca. 1000 Opusnummern, die in der Sparte Musik zu verzeichnen waren, sind im Jahr 2013 nur 20 Prozent nachweisbar“, lautet das Fazit im Einführungstext. Mit diesen 20 Prozent beschäftigte sich Steffen Schlandt akribisch – auf die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts und die Werke, die nun zum ersten Mal auf CD zu hören sind, konzentrierte er sich im Rahmen eines postdoktoralen Forschungsprojekts der Musikuniversität Bukarest.
Der einheitliche Klang des Ensembles, seine kammermusikalische Klarheit, die großzügige dynamische Spannbreite, der ansteckende jugendliche Elan kommen hier besonders zur Geltung – genauso wie die Begabung, das durchstrukturierte musikalische Denken und die stilistische Sorgfalt des Dirigenten. Man merkt es schon an den ersten sprießend lebendigen Orchestertakten und den seelenruhigen Chorälen im Werk „Warum toben die Heiden” des Kantors der Dresdner Frauenkirche, Gottfried August Homilius. Oder in der Kantate des Schlesiers Martin Wirbach, „Weint Blut, da Jesu Thränen rinnen”, mit den durchsichtig gesungenen Dissonanzen, den introvertierten Melodien und dem schlichten musikalischen Aufbau, aus dem zum Glück jegliche Emphase und Romantisierung fehlt.
Kompositorisch ausgereifte Musik und gefeilte Lyrik entdeckt der Hörer auch in der „Trauer Cantata auf den Charfreytag” von Martin Schneider und in der Arie „O Gnaden Wort, des Himmels Hort” von Joseph Joachim Hahn (Münnerstadt/Hessen). Hier treten Dan Popescu und Cristina Radu in den Vordergrund und geben eine Kostprobe ihres Könnens, auf einem Gebiet, das gerade von Opernsängern mit Verdi- und Puccini-Stimmen äußerste Zügelung, Eindämmung der Fülle, viel Sanftheit und Feingefühl fordert. Einer Herausforderung in die andere Richtung stellt sich Beniamin Ghegoiu, der seinen Part mit Ehrlichkeit, Wärme und Expressivität wiedergibt.
Das Orchester ist den anderen Mitwirkenden nicht nur ebenbürtig – es wirkt inspirierend und gibt mit besonders ausdruckskräftigen Passagen oftmals den Ton an. Etwa mit dem atemberaubend schönen Hornsolo (Liviu S²vu]², Szilárd Kelemen) in der Kantate „Nichts ist, das mich von Jesu scheide” von Johann Gottfried Krebs. Sicherlich ist es auch der Erfahrung der Instrumentalisten im Bereich Barockmusik zu verdanken, dass die gesamte Aufnahme so frisch, leicht und unbefangen klingt. Die Kantate zur Einweihung der neuen (Buchholz-)Orgel „Erschalle, Lob“ von Johann Lukas Hedwig aus dem Jahr 1839 schlägt schließlich eine Brücke über die Zeit und verbindet den Jugendbachchor und sein Publikum mit der reichen Geschichte der Stadt Kronstadt und ihrem wichtigsten Sakralbau. Die CD, die auch im Kapitel Design mit einem geschmackvollen Titelbild punktet, ist in der Schwarzen Kirche erhältlich (35 Lei).