Wie frei und kräftig das Glück des Lebens oder das Erleben des Glücks in Tanz, Licht, Klang und Videoprojektion umgesetzt werden können, zeigten am Sonntagabend im Kronstädter Kulturzentrum „Redoute“ zwei Inszenierungen der deutschen Choreografin Stephanie Tiersch. Unter dem friedlichen Titel „Happy Living“ ging es zugleich um die raue Konfrontation und die harmonierende Verflechtung von Körpern, um die Suche nach einer Schnittstelle zwischen Natur und menschlich geprägtem (zerstörtem?) Umland, um die kommentarlose Gegenüberstellung von Klang und Lärm – all das konzentriert in knapp anderthalb Stunden atemraubender Tanz-Performance.
Im Solo der Tänzerin I-Fen Lin gab es keine „Geschichte“, der das Publikum hätte folgen können. Stattdessen ließ die Regie viel Freiraum für Einsamkeit und innere Regungen, Konflikte, Freuden und Nostalgie übrig. Die Bewegung ging von flüssig bis furios und wurde mit kühlen Klängen auf der elektrischen Gitarre von Joseph Suchy begleitet. Gegensätze wurden nicht nur in der Seele der Tänzerin erkennbar gemacht, sondern auch im Bühnenbild: Dunkelheit und schrilles Scheinwerferlicht oder exponierte Bühnenausstattung (etwa ein roter „Kabelsalat“) und der flauschige, schneeweiße Teppich. Einprägsam waren wiederholte Kindheitsandeutungen: das Babbeln und Lallen der Künstlerin, die Schwarz-Weiß-Fotos auf einer kleinen Leinwand, und schließlich das Spiel und der Tanz mit der Gitarre und dem Gitarristen.
Nach dem Applaus fiel zum Glück kein Vorhang: So konnte man die eifrige Vorbereitung für die nächste Aufführung mitverfolgen. Spätestens als ein üppiger Transport Gartenerde auf die Bretter geschaufelt wurde, wusste man, dass es hier um reine Natur geht. Jedoch lautete der Titel des Stücks: „Nature Morte“, „Still-Leben“. Still (oder tot) war dabei nur die vom Menschen abgehetzte städtische Welt – das unberührte Tier- und Pflanzenleben blieb zutiefst vital, stand aber unter Bedrohung. Gegensätze prallten aufeinander: die bunt gekleideten Tänzer (Viviana Escalé und Valenti Rocamora i Torà) und der farblose Hintergrund; der starke Geruch der frischen Erde und die auf dem Bildschirm refrainartig erscheinenden Baustellen und Autobahnen; das Vogelgezwitscher oder das ruhige Regengeplätscher und das beinah hysterische Hupen der Autos.
Schmerzhaft nahm man den Kontrast zwischen der archaischen, wilden Bewegung der Darstellenden und der starren urbanen Welt auf der Projektionsfläche wahr (Videobilder: Martin Rottenkolber). Himmlische Quartettmusik und saftiggrüne Maisfelder wurden abrupt unterbrochen von grauen Gittern und dem Anblick von Mülltonnen. Die Frage, ob die Seele nach Domestizierung verlangt oder eher nach Wildnis – und welches von beiden wahrhaftiger ist – konnte jeder für sich beantworten.
(Derart) Moderner Tanz ist in Kronstadt leider selten – umso lobenswerter die Initiative des Deutschen Kulturzentrums und des Goethe-Instituts, das Ensemble „Mouvoir“ in die „Redoute“ einzuladen.