Heimweh, Entfremdung, Wiedersehensfreude gegenüber einer Stadt und ihrer Menschen – all das versteckt sich in den „Hermannstädter Miniaturen“ von Dagmar Dusil. Das Buch mit 30 Kapiteln und einem Nachwort von Andrei Codrescu ist unlängst im Johannis Reeg Verlag in Bamberg erscheinen – hergestellt wurde es in der Honterus-Druckerei.
Der kleine Band mit Illustrationen in monochromem Aquarell ist selbst eine Miniatur – die Sepiafarben der Bilder, des Umschlags und des Papiers passen gut zu der „Erinnerung“, die den Kern des Buches ausmacht. „Hermannstadt mit unseren Erinnerungen, die wir teilweise mitgenommen, teilweise im Leihhaus abgegeben haben. Ab und an komme ich hierher zurück und löse meine Erinnerungen ein“, schreibt Dagmar Dusil. Sie und die Illustratorin Sigrid Weinrich sind beide gebürtige Hermannstädterinnen und leben seit Mitte der achtziger Jahre in Deutschland. Auch das erklärt die leise Nostalgie des kleinen Bandes, in dem es viel Sehnsucht nach einem vorherigen „Zuhause“, doch keine offenen Wunden gibt.
Es geht um Hermannstadt und um Orte, die mit Erinnerungen, Gefühlen und Eindrücken gefüllt sind – laut Motto sind es „Orte der Zuflucht. In Worten geortete Fluchtwege“. Die Perspektive wechselt zwischen einheimisch, ehemalig einheimisch/ausgewandert, zurückgekommen, fast fremd oder rein touristisch, die Emotionalität all dieser Perspektiven haftet an den bekannten und weniger bekannten Ecken Hermannstadts. Die Stadt wird mit allen Sinnen wahrgenommen, das Buch macht zudem mit den zahlreichen Daten und Fakten gewiss auch den Nichtkennern Lust, Hermannstadt zu besuchen – wenn man so will, ein empfindsamer Reiseführer durch eine innere Landschaft.
Die Stadt wird als Bühne oder als Puzzle dargestellt, als Ort den man nach langer Abwesenheit „wie die gute Stube betritt“. Sie ist noch immer multiethnisch, und was zählt, ist die Selbstverständlichkeit dieses Multikulti – heute in der Form „mit deutschen Schulen und rumänischen Schülern“, mit ausländischen Investoren, mit einem deutschen Bürgermeister, auch wenn die deutsche Sprache sich „in die Luken der Häuser zurückgezogen“ hat.
In der ersten Miniatur, „(M)ein Hermannstadt“, erklärt die Autorin ihre Sicht: „Es gab eine Zeit, da wollte ich nie weg aus dieser Stadt, aus meinem Hermannstadt, und es gab eine Zeit, da wollte ich nur weg, und es gab eine Zeit, da wollte ich nie mehr hierher zurückkehren, in die Stadt am Zibin, die ich eines Tages kurz vor Weihnachten verlassen hatte. Ihr Bild versank in meinem Bewusstsein für viele Jahre und flammte in meinem Unterbewusstsein immer wieder auf. Wie sieht ein Fremder die Stadt, fragte ich mich oft. Kann ich die Stadt mit den Augen eines Fremden sehen?“
Dagmar Dusil kann es nicht ganz und will es vielleicht nicht wirklich, denn die Stadt ist Teil und Rahmen ihres Lebens. Diskret, aber konstant tauchen auch Anspielungen auf die schmerzliche und doch helle Zeit ihrer Jugend vor 1989 auf, wie in der Miniatur „Die Augen der Stadt“: „Sie sahen alles und wussten alles, ohne zu erpressen. Sie hatten die Macht, ohne es zu wissen. Ihre Tragik bestand darin, nicht eingreifen zu können“ oder „Neben der katholischen Kirche (...) steht die ehemalige Sparkasse, der CEC der sozialistischen Zeit, wohin das Geld, das man nicht hatte, gebracht wurde.“
Viele positive Überraschungen bringt das neue Hermannstadt mit: So manches „Areal hat sich wie Eliza Doolittle aus My Fair Lady verwandelt“; das „Butoiul de aur“, wo es früher nach „Bier, Pflaumenschnaps und billigen Wein“ roch, ist heute „ein Stück vom Totenbett auferstandenes Hermannstadt“; genauso der Krautplatz, „der vom hässlichen Entlein zum Schwan mutierte“. Der Gegenpart fehlt nicht: „Die Wohnung meiner Eltern nun von Fremden bewohnt.“
Manchmal kann man meinen, die Worte und Aufzählungen seien etwas zu ‘gesucht’, doch die entstandenen Bilder sind einzigartig und überzeugend. So wird beispielsweise der Große Ring vorgestellt: „Im neuen Kleid steht er da. Mit einem Schottenrock bekleidet. Hell- und dunkelgraue Pflastersteine von zurückhaltender Eleganz. Sieht man ihn, beginnt er zu laufen. Die eigenen Augen laufen mit. Die Blicke zerschellen an der barocken katholischen Kirche, werden von deren Mauern zurückgeworfen, ertrinken im modernen versenkten Brunnen des Großen Rings.“ Kurzum, Hermannstadt hat sich gewandelt und ist „plötzlich wieder jemand“. Dagmar Dusil lädt zum Entdecken dieser Stadt ein, in der sie selbst eine „Spurensucherin“ ist.