Viele haben sie selbst kennengelernt, andere nur vom Hören und Sagen. Fünf Monate hielt sich Paula Schneider, die 1976 in Leipzig geborene Schriftstellerin und Radiojournalistin, in Kronstadt auf. Als Stadtschreiberin hatte sie ein Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa aus Potsdam erhalten.
Herzlich empfangen wurde sie dann von dem Deutschen Ortsforum der Stadt, dessen Vorsitzender Thomas [indilariu, „dessen Kronstadt-wohlgesinnte Rede es schafft, schneller zu fließen, als ein Regisseur oder Moderator sie bändigen kann. Dabei wird nie, nie vergessen, den Rucksack zu schultern...Und neben seinem Träger hat auch er Fans: weil man ihn gewinnen kann, und er irgendwie ein Fernsehgesicht ist“ schreibt sie.
Seit 2009 wird das Stadtschreiber-Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa erteilt und soll das kulturelle Erbe der Deutschen in Mittel- und Osteuropa in der breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Seither wird es in Kooperation mit verschiedenen Städten verliehen. 2017 war es Kronstadt, auch in Betracht genommen, dass der 500 Jahre Reformation gedacht wurde. 2016 wurde Breslau dazu auserwählt, da es Kulturhauptstadt Europas war. Im ausgehenden Jahr 2018 war ein Stipendiat in Lemberg, im nächsten Jahr wird einer nach Polen entsandt und 2021 wieder nach Rumänien, wie Dr. Harald Roth, Leiter des Kulturforums, bei der nun stattgefundenen Buchvorstellung von Paula Schneider (Sonntag, dem 11. November) betonte.
Es handelt sich nicht um einen Chronisten, der lokale Ereignisse festhält, sondern frei, gefühlvoll über die Stadt schreibt, ein literarisches Werk abschließen will, sagte er. Der Vorsitzende des Ortsforums, Thomas [indilariu, hob bei seiner Begrüßung anlässlich der Buchvorstellung hervor, dass Paula Schneider verarbeitet hat, was sie in der Zeitspanne von Mai bis Oktober in Kronstadt gesehen und erlebt hat. Dieses soll die Zeit überdauern, so wie auch das Werk von Adolf Meschendörfer, dessen „Siebenbürgische Elegie“ mehrmals von ihr zitiert wird.
„Bleib bei mir, denn es will Abend werden“ war der Roman, den Paula Schneider 2016 veröffentlichte. Auch war sie im gleichen Jahr bei einem internationalen Theaterfestival für Minderheiten in Sankt Georgen. Das Ergebnis war die Reportage „Wunderwetter im Karpatenknick“. Nun konnte sie eine künstlerische Schaffenszeit in der Stadt unter der Zinne verbringen. Mit Recht betont sie: „Fünf Stadtschreibe-rinnenmonate sind kurz, in einer Gegend, in der Uhren Ewigkeit messen, wie man sagt, und Brunnen anderes rauschen, Zeit anders rinnt. Bald nach Ankunft im Mai hatte sich eine Optimistin diese ‚Siebenbürgische Elegie‘ bereit gelegt wie eine melancholische Praline, um sich damit zu verabschieden, nachher. Selten passt eine teilverlassene Landschaft so in ein Gedicht, und selten passt ein Dichter, ein Meschendörfer, so in die Historie einer Stadt. Doch im September, nachher...fehlte für Pralinen die Zeit“.
Von Anfang an wurde sie Zeuge besonderer Geschehnisse in der Stadt aber auch landesweit. Sie erlebte Staatspräsident Klaus Johannis beim Anpflanzen einer Eiche im Park der Kronstädter Forstfakultät, konnte aber diesen mit seinem „eichenhölzernen Charisma“ nicht sprechen, aber Lokalpolitiker wie Wolfgang Wittstock, Caroline Fernolend oder Cristian Macedonschi, wurde mit der „rezist“-Bewegung eingeweiht. Gleich stellte sie fest, dass es um rumänische Kinos nicht gut steht. Die freischreibende Chronistin erhielt aber einen „anderen, intensiven ersten Eindruck der Stadt: wie sehr die eben sie selbst ist, eine Stadt. Voller Traditionen und aneinandergedruckter historischer Häuser. Aber auch voll Leben und kreativer Urbanität“. Aufmerksamkeit zollt sie den Dächern der Häuser, aber auch den vielen Inschriften auf den Wänden, die so zum Sprechen gelangen. Kennzeichnend sind die zahlreichen Illustrationen, Graffiti, die sie da auf der Kamera festhielt. Und nicht nur diese. Der reich, ausschließlich von der Autorin – mit ganz wenigen Ausnahmen –, illustrierte Band, bietet nicht die gewohnten Stadtansichten, die auch auf Postkarten anzutreffen sind, sondern auch viele Kuriositäten, Schnappschüsse, Details, die vielleicht auch einer anderen Stadt zugeschrieben werden könnten. Vielleicht wären da auch literarisch verfasste aufklärende Bildtexte nicht falsch am Platz gewesen.
Sie selbst war untergebracht im Zentrum, „in der Nähe der grünen Berge, der Stadtmauern und -türme“, befand sich im Herzen des Stadtgeschehens, der vielen Festivals zu verschiedenen Themen, der Konzerte, die da ausgetragen wurden. Eingeweiht in die Geschichte der Stadt bezieht sie sich auf die Dezembertage 1989, auf die 87er Kronstädter Revolte der Lastkraftwagenbauer, deren gerade in diesen Novembertagen wieder gedacht wurde. Mit aufmerksamen Auge umfasst sie die Marterl, besonders in der Oberen Vorstadt, wird überrascht davon, dass der internationale Kindertag in Rumänien zum Feiertag erklärt wurde, und sich diesem dann noch großzügig ein zusätzlich angeschlossener Tag gesellte, im Mai und Juni die immerjungen Jünglinge aus der Oberen Vorstadt ihre Feste in schönsten Kostümen feiern. Nach einem Besuch auf dem Schlossberg kann sie nur feststellen: „Ein wahrer Schloss-Geist, ein Geisterschloss, umwölkt von Geschichte, Belagerung, Knast; doch eigentlich vergessen, weggeschlossen hinter pseudostarken Burgtüren. Und diese Art Geister sind nicht selten im Land. Je genauer man hinsieht, desto häufiger findet man sie“. Zutreffend auch für viele Kirchenburgen, verlassene Häuser in Dörfern, von wo längst ihre ehemaligen sächsischen Eigentümer ausreisten. „Zögernd nur schlagen die Uhren, zögernd bröckelt der Stein“ wie sie wieder Adolf Meschendörfer zitiert.
Am Septemberende 2017 stattgefundenen Kirchentag in Kronstadt, mit dem der vor 500 Jahren stattgefundenen Reformation gedacht wurde, wurde sie Zeuge der letzten emsigen Vorbereitungen. „Zeichen von Arbeit jedenfalls, ja, gab es immer wieder. Wie das so ist, ‘miles to walk‘ noch Tage und Stunden vor dem Termin, vor dem Fest. Sandberge, Kieslaster auf dem offenen Kirch-Schul-Hof, Tuckern, Rattern, Schütten, mitten in der großen Pause. Festzelte wachsen wie Pilze“. In Erinnerung bleib ihr die Begegnung mit den sieben Organisten und Organistinnen, mit denen sie an einem Tisch vor dem Kirchentag saß, über die „Messe von Kronstadt“ gesprochen wurde, „ein sehr gegenwärtiges, bewegendes Stück Siebenbürgen. Wie die vielen teilnehmenden Musiker auch“.
Die beiden von Paula Schneider gebotenen Lesungen, am ersten Abend vor den Deutschkennern im Festsaal des Forums, am Montagvormittag im Gedenkhaus „Casa Mure{enilor“ vor den rumänischen Zuhörern, wobei die Übersetzerin des Bandes Petra Antonia Binder die Vermittler-Rolle spielte, erfreuten sich einer anerkennenden und interessierten Zuhörerschaft. Ihr in acht Teilen gebotene Verszyklus in deutscher Sprache, der im Band der Stadtschreiberin enthalten ist,bietet besten Einblick in ihre poetische Begabung und schriftstellerische Gewandtheit.
Der vom Demokratischen Forum der Deutschen in Kronstadt und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa mit der finanziellen Unterstützung des Departements für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens veröffentlichte Band, ist nicht ein Stadtschreiberwerk im wahrsten Sinne des Wortes, sondern das Ergebnis des literarischen Schaffens von Paula Schneider zum Abschluss ihres Aufenthaltes. Wesentlich zur Gestaltung dieses Bandes haben Bernhard Heigl als Layouter, der Kronstädter aldus Verlag, die Hermannstädter Honterus-Druckerei, in der dieser erschienen ist, Petra Antonia Binder als Übersetzerin, die den Text für den rumänischen Leser übertragen hat, beigetragen. Wie Paula Schneider bei ihrer Buchvorstellung betonte, beabsichtigt sie, als weiteres Projekt ein Radiofeature über Liviu Babe{, der brennend aus Protest gegen den Diktator die Skipiste in der Schulerau hinabfuhr und seinen Verletzungen erlag, zu widmen. Auch wird sie sicher wieder kommen und eventuell auch Urlaub da machen. Sicher wird sie immer gerne erwartet und empfangen.