Wer hätte gedacht, dass das Enescu-Festival 2013 auch nach Kronstadt kommt? Oder dass die Philharmonie noch vor Spielzeitstart ihren lang ersehnten neuen Saal in Betrieb nimmt? Immer wieder gab es Verzögerungen bei den Sanierungsarbeiten, und über die Aussicht eines erfolgreichen Abschlusses ließ es sich vor wenigen Wochen noch rätseln. Vor allem die Sitze im Zuschauerraum sorgten mehrmals für Zoff und Gerichtsverhandlungen bezüglich der Auftragsvergabe, für skeptische Presseberichte – und für „Suspense“ bei den Stadtvertretern. Denn die Sitze wurden tatsächlich erst am Vortag der Eröffnung vom Produzenten geliefert – die letzten Sessel konnten wenige Minuten vor Beginn der Einweihungsfeier gerade noch installiert werden. Trotzdem ist das Unerhoffte eingetroffen: der festliche Start des „Patria“-Saals fand pünktlich statt, heute Abend spielt das Sinfonieorchester der Philharmonie das erste Konzert seiner 136. Saison.
Das ehemalige „Patria“-Kino in der Brunnengasse/Bd. 15 Noiembrie Nr. 50A hat seinen Namen behalten und wird fortan als Kulturzentrum genutzt werden. Das neue-alte Gebäude hat Künstler- und Publikumsfoyers, Probe- und Verwaltungsräume, Regiekabinen sowie eine Partituren-Bibliothek erhalten. Herzstück ist der große Konzertsaal mit 458 Plätzen, außerdem gibt es noch einen kleinen Kammermusiksaal mit 53 Plätzen, der auch für Filmvorführungen genutzt werden kann. Die Arbeiten haben im Dezember 2011 begonnen und insgesamt 10,9 Millionen Lei gekostet (von denen 98 Prozent europäisch finanziert wurden) – eine willkommene Investition für das alte Kino, das seit 2004 brachlag. 1962, bei seiner Eröffnung unter dem politisch getönten Namen „Partizanul Roşu“, war es eins der modernsten Filmtheater landesweit.
Auch der jetzige Saal lobt sich mit einem rumänienweiten „Ass im Ärmel“ – der hervorragenden Akustik. Wer am Montagabend im Enescu-Festivalkonzert war, weiß, dass der Klang samten-warm selbst in leisestem Pianissimo bis zur letzten Sitzreihe hörbar ist. Was allerdings eine Kehrseite hat: man vernimmt genauso gut auch die winzigsten Fehler, die auf musikalischen Zehenspitzen begangen werden.
Derer gab es aber wenige, denn Protagonist des Konzerts war der russische Star-Violinist Maxim Vengerov. Begleitet vom Kammerorchester „Die Virtuosen aus Bukarest“, spielte er mit größtem Feingefühl kristallklare Musik von Mozart – genau das richtige Repertoire, um die Akustik des Saals unter die Lupe zu nehmen. Vengerovs Technik ist von beeindruckender Natürlichkeit – so natürlich, dass man die Technik selbst vergisst. Seine Darbietung war gekennzeichnet von quecksilbriger Lebendigkeit sowie einem glasklaren Klang, der die Zuhörer mit tausend raffinierten Schattierungen überraschte.
Der Musiker ist kein Philosoph auf der Bühne, auch nicht in den langsamen Sätzen, die er eher lyrisch interpretiert – dafür erweist er sich als schelmischer Schauspieler, der mit Leichtigkeit verschiedenste musikalische Charaktere verkörpert, ungeahnte Nuancen unterstreicht und die üblichen Interpretations-Klischees durchbricht. Dass er bei Mozart sein aufbrausendes Temperament zügeln musste, wurde erst bei der Zugabe, der „Havanaise“ von Saint-Saëns deutlich – hier verblüffte Vengerov das Publikum mit seinem Können. Am Pult des Kammerorchesters, in der „Jupiter“-Sinfonie Nr. 41 von Mozart, zeigte er sich als sorgfältig abwägender Dirigent mit eigener musikalischer Vision. Ein aufmerksamer Konzertmeister und bemerkenswerte Holzbläser unterstützten ihn maßgeblich – und das Orchester, das in der Begleitung etwas zu durchsichtig spielte, war im Tutti überzeugend-kernig.
Die „offizielle“ Eröffnung des „Patria“-Saals hatte als geschlossene Veranstaltung schon am Freitag vor dem Konzert stattgefunden. Zu den Gästen (und Gastgebern) des Abends zählten Bürgermeister George Scripcaru, Maria Ivan, Leiterin der Entwicklungsagentur Zentrum, der Kreispräfekt Mihai Mohaci, der stellvertretende Kreisratsvorsitzende Mihai Pascu sowie weitere Repräsentanten der Kronstädter Politik und Kultur. Die musikalischen Einlagen, die ihre Ansprachen umrahmten, wurden von den Kronstädter Philharmonikern unter der Leitung von Daisuke Soga dargeboten. Den Instrumentalisten hatten sich auch ehemalige Philharmonie-Mitglieder gesellt, die nun im Ruhestand sind, doch jahrzehntelang auf einen eigenen Saal für ihr Orchester gewartet haben. Stellvertretend für die Musiker sprach der Dirigent seine Freude aus: „Nach 130 Jahren haben wir endlich einen Konzertsaal!“
Den Kronstädtern verspricht die Philharmonie mehr als 110 Musikveranstaltungen pro Saison, zu denen insgesamt etwa 28.000 Besucher erwartet werden. Die Generalproben werden zwar nicht mehr öffentlich sein, dafür soll es eigens organisierte Matineen mit freiem Eintritt für Senioren sowie Erzählkonzerte für Kinder und zahlreiche kammermusikalische Darbietungen geben. Für die sinfonischen Konzerte der Spielzeit 2013/2014 wurde der bisherige Eintrittspreis von 20 Lei beibehalten. Die Kronstädter Musikliebhaber, sowie die älteste Kulturinstitution der Region Zentrum, die als „Kronstädter Philharmonische Gesellschaft“ 1878 gegründet wurde, dürfen sich auf Musikdarbietungen in optimalem Ambiente freuen.