Im Spielfilm „Her“ aus dem Jahr 2013 entwickelt ein einsamer Schriftsteller eine unwahrscheinliche Beziehung mit seinem neu erworbenen Betriebssystem, das dazu geschaffen wurde, sämtliche Bedürfnisse zu erfüllen. Damals war es ein Sci-Fi-Szenario.
Was vor 10-12 Jahren der Phantasie entsprang. ist heute zum Alltag geworden – viele von uns kennen inzwischen Leute, die eher ChatGPT nach seiner Meinung fragen, was verschiedene Probleme betrifft, als seine Freunde anzurufen. Manche haben KI so stark in ihren Alltag integriert, dass sie sich ein Leben ohne die Hilfe von künstlicher Intelligenz kaum vorstellen können. KI erstellt Reiseplanungen, rät, was man für einen Urlaub ans Meer einpacken soll, listet die besten Hausmittel auf, die das Fieber senken, schreibt Aufsätze,Facebook-Posts und Briefe und tröstet bei Liebeskummer.
Das Filmfestival in Klausenburg konnte diese Realität unmöglich ignorieren. Es bot sowohl eine Film-Retrospektive zum Thema (mit dem Namen: Tomorrow is Fear) und wagte auch den Blick in eine von der Technologie beherrschte Zukunft. Die Fortschritte auf diesem Gebiet und der Einbruch der künstlichen Intelligenz in absolut allen Bereichen haben sicherlich ihre Vorteile, aber gleichzeitig erzeugen sie eine immer realere Angst, die die Welt, wie wir sie kennen, zu verändern droht, sobald die Dinge außer Kontrolle geraten.
Was gestern SciFi war, ist heute Alltag
Zum Spaß erstelle ich eine Aufgabe für die KI, die in meinem Handy installiert ist. Ich habe in der Woche, die ich in Klausenburg verbringe, viel zu tun. Dabei will ich genügend Filme sehen (drei pro Tag wäre ideal), für die Zeitung arbeiten, Dissertationsarbeiten lesen, ein Stück fertig schreiben, einen Workshop vorbereiten, mich mit Leuten treffen, an einem Abend ins Theater gehen und auch wenigstens eine Tiff-Party besuchen. Bitte erstelle ein Programm, damit ich alles schaffe. Tatsächlich bekam ich nach ein paar Minuten eine Tabelle mit einem genauen Stundenplan für jeden Tag, sogar mit Restaurant-Empfehlungen und mit Begründungen, warum der eine oder andere Film aus dem Programm ausgewählt wurde.
Natürlich habe ich den von KI erstellten Plan nicht eingehalten, aber ich fand des trotzdem beängstigend. Vor zwei-drei Jahren war KI noch überhaupt kein Thema, jetzt sprechen alle darüber. In ein paar Jahren werden die SciFi-Filme von gestern ganz normaler Alltag werden.
Doch wird es vielleicht in 10 Jahren beim TIFF einen von künstlicher Intelligenz geschaffenen Film geben?
Der diesjährige TIFF-Werbespot trägt den Titel „Viitorul sună bine?“– Hört sich die Zukunft gut an? (Anspielung auf einen bekannten Werbeslogan der 2000er)
Im Werbespot spielt der Schauspieler Gabriel Spahiu einen Filmliebhaber, der eine KI-Software benutzt, um Details über das Klausenburg der Zukunft he-rauszufinden. Wie wird die Stadt in 25 Jahren aussehen? Die KI generiert ein Bild vom Klausenburger Hauptplatz, wo ein riesiger Bildschirm aufgestellt ist– genau wie jetzt. Man kann erleichtert aufatmen –TIFF wird es weiterhin geben. Doch dann bemerkt der Filmliebhaber einige verstörende Details wie rumänische Flaggen und eine Roboter-Statue – wird das Land in zwei Jahrzehnten von rechtsextremen Parteien regiert werden? Das klingt nicht gerade ermutigend.
Ich frage Chat GPT: „Kann KI Schauspieler ersetzen?“ Die Antwort kommt in der nächsten Sekunde: KI kann nicht nur Schauspieler ersetzen, sondern auch in den kreativen Prozess der Filmproduktion eingreifen.
Teil 4: Vollmond über Birthälm
Wenn der Augustmond über den Dächern von Birthälm aufgeht, ist es im Dorf schon stockdunkel. Schwarze Katzen überqueren die schmalen Gassen, Eulen schreien in der Ferne. Die beleuchtete Kirchturmspitze ragt über der Filmleinwand im Open Air-Kino Vertigo. An diesem Abend wird der erste Horrorfilm aus Nigeria gezeigt: The Weekend.
Zum Anschluss an das Klausenburger TIFF hat vom 14. bis zum 16.August im malerischen Dorf zwischen Schäßburg und Mediasch die 10. Auflage des Horrorfilmfestivals „Lun˛ Plin˛” (auf Deutsch:Vollmond) stattgefunden. Filmliebhaber aus nah und fern, aber auch Jugendliche, die aus den Dörfern in der Umgebung gekommen sind sitzen auf Plastikstühlen und frieren. Denn sogar Mitte August sind die Nächte in Birthälm kalt.
Nichts für Angsthasen
In „The Weekend“ geht es um eine junge Frau, die darauf besteht, die entfremdete Familie ihres Verlobten zu besuchen. Nikiya deckt bald die Wahrheit auf, die Luc von seiner Familie entfernt hat, und erkennt, dass der Preis für die Zugehörigkeit höher sein könnte, als sie erwartet hatte. Denn Luc kommt aus einer Kannibalen-Familie. Die Zuschauer und Vollmond-Fans sind derartige Geschichten gewöhnt. Nosferatu, Poltergeist und Frankenstein sind familiäre Figuren, sie haben „The Shining“, „Psycho“ oder „The Blair With Project“ schon mehrere Male gesehen. Das Festival in Birthälm ist nichts für Angsthasen. Auf dem Weg vom Vertigo-Kino zur Festival-Bar „Zum Pfahl“ hören wir Schritte hinter uns. Ein schwarz gekleidetes Wesen huscht an uns vorbei und wir könnten schwören, dass es keine Schuhe trägt, sondern Hufen an den Füßen hat. Solche Erscheinungen sind ganz normal, wenn man den ganzen Tag gruselige Filme schaut.
Von Klassikern der Filmgeschichte bis zu gewagten Experimentalfilmen oder Horror-Kurzfilmen, die mit dem Smartphone oder mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz gedreht wurden – Fans des Genres finden in Birthälm alles, was das Herz begehrt. Horror-Klassiker oder neue Produktionen auf einer Riesenleinwand mitten im Dorf oder in den in Kinos verwandelten Kultursälen „Ion Hobana“ und „Karloff“ zu schauen, ist immer spannend. Aber das größte Highlight ist die Festival-Atmosphäre. Das Rahmenprogramm ist ausgezeichnet. Außer Filmen gibt es eine große Geisterjagd, Vampir-Partys, Lagerfeuer, Fantasie-Workshops, Ausflüge mit dem Fahrrad, Brunch-Veranstaltungen, Führungen durch die Kirchenburg und durch die Weinkeller und einen Markt mit traditionellen Produkten und handgemachten Gegenständen, wo man sich Souvenirs kaufen kann. Es gibt auch einen Verkaufsstand mit Voodoo-Puppen, leuchtenden Skeletten und T-Shirts mit gruseligen Sprüchen.
Dracula, Rindfleischsalat und Chat GPT
Das Vollmond-Filmfestival in Birthälm war die Idee der Organisatoren des TIFF, das seit mehr als zwei Jahrzehnten die Stadt Klausenburg zu einem Treffpunkt der internationalen Filmwelt gemacht hat. Nachdem im Jahr 2007 auch Hermannstadt dem TIFF angeschlossen wurde, kam die Idee auf, sich an einem Filmfestival im ländlichen Raum zu versuchen. In diesem Sommer fand das Vollmond-Festival zum zehnten Mal statt – unter den Zuschauern gibt es Leute, die von Beginn an Jahr für Jahr kommen. Der Film, den wir am nächsten Nachmittag im Kino „Ion Hobana“ sehen, ist Dracula von Radu Jude, der gerade einen Jury-Preis in Locarno erhalten hatte. Vor dem Kinosaal werden die Zuschauer mit „Salata Boeuf“ und Sekt erwartet.
Das ist eine Anspielung auf das Filmplakat, in dem Vlad }epe{ auf einem Rindfleischsalat abgebildet ist. Drei Stunden lang halten wir es in einem unklimatisierten Saal bei über 30 Grad aus. Es gibt Momente, in denen wir gehen wollen, aber dafür ist der Film viel zu spannend.
Den Rahmen der Geschichte (die eigentlich aus 14 Kapiteln besteht, die durch das Thema Vampirismus verbunden sind) bildet der junge Filmregisseur Adonis. Er soll einen Dracula-Film drehen, hat aber keine Inspiration. Also holt er sich Hilfe von Chat GPT. Die KI schlägt verschiedene Ideen vor, wie die Geschichte rund um einen Dracula-Schauspieler aus einer Restaurantshow in Schäßburg, der aus einer Vorstellung flieht und von ausländischen Touristen verfolgt wird, die ihn pfählen wollen. Eine andere Geschichte erzählt den ersten rumänischen Horror-Roman, in einer weiteren Geschichte sucht eine in die Jahre gekommene Frau in der Klinik von Ana Aslan das Rezept zur ewigen Jugend und stößt dabei auf einen Vampir.Beim Ausgang bekommen alle Zuschauer einen kleinen Pfahl. Wem der Film gefallen hat, darf den Pfahl in das Filmposter einrammen.
Haifisch-Filme und Pommes mit Spiegelei
Am letzten Tag stehen zwei Haifisch-Filme auf dem Programm. Man feiert gerade das Jubiläum des Klassikers „Der weiße Hai“ in der Regie von Steven Spielberg, der vor 50 Jahren zum ersten Mal über die Leinwand lief. Bei der Projektion im Karloff-Kino merken wir, wie gut dieser Film gealtert ist und wie er auf elegante Weise sozial reflektiertes Kino einerseits und massentaugliche Unterhaltung andererseits vereint, was in den heutigen Horrorfilmen ein wenig verloren gegangen ist. Wie im nächsten Haifisch-Film, dem australischen „Dangerous Animals“ von Sean Byrne, in dem eine Surferin von einem Serienmörder entführt wird, der Haie als Teil seiner grausamen Rituale benutzt.
Im Anschluss an die Filme essen wir in einem Lokal in der Nähe der Kirchenburg Pommes mit Spiegelei. Und beschließen, auch im nächsten Jahr nach Birthälm zu kommen. Wer frühzeitig bucht, kann während des Festivals in einer der Pensionen im Dorf übernachten (ein Doppelzimmer kostet im Durchschitt 400 Lei pro Nacht). Die authentische Festival-Atmosphäre erlebt man aber besser, wenn man zeltet. Während des Festivals stellen die Organisatoren einen Campingplatz auf dem Fußballfeld des Dorfes zur Verfügung. Auch Festivalbesucher, die ohne Auto anreisen, kommen leicht nach Birthälm. Aus Hermannstadt oder Schäßburg gibt es die Möglichkeit, mit dem UNESCO-Bus zu fahren und ein junger Mann aus dem Dorf bietet Taxi-Dienstleistungen an.
TIFF dauert den ganzen Sommer. In fast jeder Großstadt wurde im Juli, August und September im Rahmen der „TIFF-Karavane“ eine kleine Auswahl der diesjährigen Festival-Filme gezeigt.
Das Festival in Birthälm ist das einzige, das auf dem Land stattfindet. Und das schon eine eigene Identität hat.





